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Der Verband der Unabhängigen (VdU) war ein Sammelbecken jener Nationalsozialisten, die auch nach 1945 an ihrer Einstellung festhielten. Später ist daraus die FPÖ entstanden. Im Bild: VdU-Vorsitzender Herbert Kraus 1949 bei einer Kundgebung auf dem Wiener Rathausplatz.

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Zwar sind die Ermittlungen zur Liederbuch-Affäre um den freiheitlichen Politiker Udo Landbauer vergangene Woche aufgrund Verjährung eingestellt worden. Antisemitische Codes in einem Liederbuch der Burschenschaft, dessen stellvertretender Vorsitzender Landbauer war, haben einmal mehr die Frage aufgeworfen, auf welchem ideologischen Fundament die FPÖ steht. Die Partei nahm dies zum Anlass, eine Historikerkommission einzusetzen, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dafür sind wenige Monate angesetzt – im Herbst werden erste Ergebnisse erwartet.

Die Historikerin Margit Reiter vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema. "Zwar gibt es bereits einige Arbeiten zur Parteigeschichte der FPÖ, allerdings kommen diese meist aus dem Umfeld der Partei, sind sehr affirmativ angelegt und klammern die Problematik des Nationalsozialismus großteils aus." Mit ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt über "ideologische Kontinuitäten und politische Umorientierung im 'Ehemaligen'-Milieu in Österreich 1945 bis 1960" soll diese Wissenslücke gefüllt werden.

Zwölf Prozent für den "Verband der Unabhängigen"

Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die "Ehemaligen" jene Nationalsozialisten, die auch nach Kriegsende ihren Überzeugungen treu geblieben sind. Das politische Auffangbecken für sie war der "Verband der Unabhängigen" (VdU), der bei den Wahlen 1949 – als die entnazifizierten früheren Nationalsozialisten wieder an die Urnen durften – knapp zwölf Prozent der Stimmen erhielt. Zwar habe sich der VdU offiziell von den ehemaligen Kriegsverbrechern abgegrenzt, zugleich aber wurden die "Ehemaligen" pauschal als "Entrechtete und Ausgegrenzte" umworben.

Reiter legt ihren Forschungsfokus auf personelle und ideologische NS-Kontinuitäten im VdU und der frühen FPÖ. "Ich versuche, den politischen Formierungsprozess und die Netzwerke von ehemaligen Nationalsozialisten nach 1945 so genau wie möglich nachzuzeichnen und zu analysieren und dabei auch manche Legenden kritisch zu hinterfragen."

Das nationale Lager sei in der Nachkriegszeit alles andere als homogen gewesen, so Reiter. "Im VdU standen unterschiedlichste Gruppierungen zueinander in Konkurrenz." So galten die beiden Parteigründer Herbert Kraus und Viktor Reimann als Liberale – "was sie bei genauerer Analyse allerdings nur bedingt waren". Während Reimann, ehemaliges NSDAP-Mitglied und Antisemit, unmittelbar nach Kriegsende noch für eine gerechte Bestrafung der NS-Täter eintrat, entwickelte er sich bald zu einem heftigen Kritiker der Entnazifizierung.

Nationalsozialist als Obmann

Nicht zufällig ging gerade 1955/1956, als durch den Staatsvertrag die Kontrolle Österreichs durch die Alliierten beendet wurde, aus dem VdU die FPÖ hervor. Ihr Motto: "Glaube, Treue, Opferbereitschaft". Der erste FPÖ-Obmann war der NS-Multifunktionär Anton Reinthaller – "ohne Zweifel ein ideologisch gefestigter Nationalsozialist", so die Historikerin. "Dass er seinen Überzeugungen auch nach 1945 mehr oder weniger treu blieb, zeigen unter anderem seine handschriftlichen Aufzeichnungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit."

Seine Hauptagenda war es, die "Ehemaligen" wieder verstärkt in die Partei einzubinden. Diese waren in den 1950ern zunehmend unzufrieden mit dem ihrer Meinung nach allzu gemäßigten VdU. "Um Reinthaller haben sich die Nationalen formiert, daraus ist dann die FPÖ entstanden", fand Reiter in ihren Recherchen heraus. Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, dem "liberalen" VdU die nationale FPÖ gegenüberzustellen. "Zwar haben anfangs im VdU die eher gemäßigten Kräfte dominiert, aber schon damals waren auch viele Nationale mit dabei." Historisch noch weiter von der Realität entfernt sei die von der FPÖ gepflegte Legende, wonach die Gründung der FPÖ mit einer ideologischen Mäßigung im Vergleich zur Vorgängerpartei VdU einhergegangen sei. "In der FPÖ haben sich die stärker belasteten Nationalsozialisten formiert."

Anpassung an das Umfeld

In jener Pressekonferenz 1956, mit der sich VdU-Gründer Herbert Kraus aus der Politik verabschiedete, sprach er von einer lange vorbereiteten "Machtübernahme durch einen kleinen Kreis von Rechtsextremisten und NS-Führern" und bezeichnete die neu gegründete FPÖ als "Nachfolgeorganisation der NSDAP". "Dieser Vorwurf ist zwar übertrieben, entbehrt aber nicht jeder Grundlage", sagt Reiter. Sowohl vom VdU als auch von der FPÖ wurden Entschädigungszahlungen an NS-Opfer bekämpft oder zynischerweise mit der Forderung nach Entschädigungen für ehemalige Nazis verknüpft – etwa für entgangene Sozialversicherungsansprüche aufgrund von Berufsverboten.

Die "Ehemaligen" pflegten die Praxis des "doublespeak", mit der man sich an das jeweilige Umfeld anpasste. "In der Öffentlichkeit wurde zur Erreichung politischer Ziele wie Amnestie oder Entschädigungen stärker die Opferversion strapaziert, wohingegen man im Binnendiskurs selbstbewusst Stärke und Prinzipientreue propagierte", so die Historikerin. Die Selbstpräsentation als unschuldige Opfer war über Generationen hinweg wirksam. So sprach etwa der damalige FPÖ-Bundesrat Siegfried Kampl noch im Gedenkjahr 2005 von der "brutalen Naziverfolgung" nach 1945.

Nach außen wurde auch stark mit Codewörtern gearbeitet – Juden beispielsweise bezeichnete man als "Emigranten" oder "Neo-Amerikaner". "Im internen Diskurs werden dagegen oft ganz unverblümt die alten Stereotype vom 'hässlichen Juden', vom 'Sau- oder Pressejuden' verwendet", wie Reiter in Korrespondenzen und anderen Quellen nachlesen konnte.

Verbale Ausrutscher

In der Öffentlichkeit bekannte man sich zu Österreich, intern sehr häufig zum Deutschtum. "In diesem ersten Nachkriegsjahrzehnt hat sich die ideologische Basis der FPÖ herauskristallisiert, an der sich in der Folge nicht mehr viel geändert hat", resümiert die Historikerin. Jörg Haider habe hier seine Wurzeln. "Er war das Produkt dieses 'Ehemaligen'-Milieus der zweiten Generation." Sein Vater war nach 1945 im amerikanischen Internierungslager Glasenbach in Salzburg, wo als gefährlich erachtete Nationalsozialisten inhaftiert worden waren.

An die 10.000 Nazis wurden nach Kriegsende in Österreich in solchen Lagern festgehalten. "In diesen Kreisen war man auch später gut vernetzt, hat sich getroffen, eine eigene Zeitschrift herausgegeben und Jugendlager organisiert", sagt Reiter, die sich bereits in ihrer Habilitation mit den "Kindern der Täter" beschäftigt hat. Verbale Ausrutscher Haiders – wie der Begriff "Straflager" für die KZs der Nazis – seien Codes, die er in diesem Milieu mitbekommen habe. Öffentlich stellten sich die "Glasenbacher" als "unmenschlich" behandelte Opfer der Siegermächte dar, doch im eigenen Umfeld galten sie als "geistige Elite" – "bezwungen, doch nicht gebeugt". Glasenbach entwickelte sich zur "Kaderschmiede", in der die Weichen für zahlreiche spätere berufliche Karrieren gestellt wurden.

Diverse "Einzelfälle"

"Während sich Antisemitismus und Rassismus in den frühen Jahren der FPÖ noch sehr unverbrämt zeigten, hat man sie dann sukzessive auf die 'Hinterbühne' verbannt und nur zu gegebenen Anlässen reaktiviert, wie diverse 'Einzelfälle' belegen", berichtet Reiter. "Dringen diese Haltungen durch bestimmte Äußerungen und Codes, teils unfreiwillig wie in der Liederbuch-Affäre, an die Öffentlichkeit, werden sie dort zu Recht als Normverletzung und als Skandal empfunden."

Angesichts von 700.000 österreichischen NSDAP-Mitgliedern stellt sich die Frage, ob nicht auch in den beiden Großparteien etliche "Ehemalige" gelandet sind. "Für die SPÖ wurde das schon aufgearbeitet", so Reiter. "Man weiß, dass es auch in dieser Partei Nazis gab, aber im Unterschied dazu war die FPÖ von ihrem Grundverständnis her das Sammelbecken der 'Ehemaligen'." In der ÖVP harren die brauen Flecken noch einer Aufarbeitung: "Zwischen den 'Ehemaligen' und der ÖVP gab es viele Schnittstellen und Übereinstimmungen." Reiters Forschungen liefern nun zumindest für die FPÖ erstmals stichhaltige Informationen über die Entstehung und Entwicklung dieser Partei und ihr Verhältnis zu den Werten des Nationalsozialismus. 2019 werden die Ergebnisse in einem Buch nachzulesen sein. (Doris Griesser, 29.8.2018)