Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) scheint bei seinem Alpbacher Auftritt einen Paradigmenwechsel bei seiner persönlichen Politik gegenüber der EU verkündet zu haben.

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Bundeskanzler Sebastian Kurz scheint bei seinem Alpbacher Auftritt einen Paradigmenwechsel bei seiner persönlichen Politik gegenüber der EU verkündet zu haben. In der jüngeren Vergangenheit hatte er stets den Fokus auf die von ihm so empfundenen Defizite der EU gelegt, natürlich vor allem auf den seiner Meinung nach mangelnden Außengrenzschutz gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Seine anderen Lieblingsthemen waren die – angebliche – Überbürokratisierung der EU, ihr schwerfälliger Entscheidungsprozess, die "Regulierungswut" und die Notwendigkeit, Befugnisse von Brüssel wieder auf die lokale, regionale und nationalstaatliche Ebene zu verlegen ("Subsidiarität").

Diese Hitparade der konservativen und rechtspopulistischen Kritik an der EU hat Kurz bei seiner Alpbacher Rede nicht völlig ausgelassen. Aber er begann sein Statement mit einer Erinnerung daran, was für eine großartige Sache die EU in Wahrheit ist.

Sie sei die "größte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Errungenschaft des 20. Jahrhunderts". Die Fundamente der EU, nämlich die Grundwerte Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit, aber auch Friede, Sicherheit und Stabilität seien ein berechtigter Anlass "für ein gesundes Selbstbewusstsein der Union im Umgang mit den eigenen Problemen und Selbstzweifeln sowie angesichts der Zudringlichkeiten fremder Akteure". Ein solches Selbstbewusstsein dürfe aber nie mit Nationalismus einhergehen.

Also ungefähr das Gegenteil dessen, was EU-"Skeptiker" ständig daherjammern. Und dessen, was der Koalitionspartner von Kurz, nämlich die FPÖ unter Vizekanzler H.-C. Strache mitsamt ihren rechtsextremen Partnern in Frankreich, Italien, Deutschland, Ungarn und anderswo, ständig (und wider jede Evidenz) behauptet.

Schwerpunktwechsel

Woher dieser Schwerpunktwechsel von Sebastian Kurz? Er ist kein Emotional-Europäer wie die Staatsmänner der Nachkriegsgeneration. Aber er weiß, welche Gefahr vom Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in Europa für das europäische Projekt ausgeht. Man wird von ihm immer noch kein kritisches Wort zu "illiberalen Demokraten" wie Viktor Orbán oder dem italienischen Halbfaschisten Matteo Salvini hören. Bis vor kurzem schien Kurz sogar anzudeuten, Kritik an diesen wäre irgendwie eine "Schubladisierung" und "spaltet und zerstört" (!) die Union.

Aber was etwa ein Salvini derzeit treibt, der die wirtschaftliche Stabilität Italiens durch Schuldenpolitik unterminiert und alles auf die EU schiebt, muss einen österreichischen Kanzler alarmieren. Überdies sind im Mai nächsten Jahres EU-Wahlen, und alle konservativ-christdemokratischen Parteien, auch die ÖVP, müssen damit rechnen, an die Rechtspopulisten massiv zu verlieren.

Bei allen Problemen: Die EU ist genau das, was Kurz jetzt gesagt hat – die größte Errungenschaft unserer Zeit. Und das muss man in diesem allgemeinen Genörgel und Wutgerede auch sagen. Selbstbewusst und deutlich. Nicht nur als Kanzler, aber es war gut, dass er den Startschuss gab. (Hans Rauscher, 28.8.2018)