Bild nicht mehr verfügbar.

Ranga Yogeshwar bei der Republica-Konferenz im Mai. Donald Trump ist nur einer unter vielen, der sich mehr an gefühlte Wahrheit als an die tatsächliche Realität hält.
Foto: Britta Pedersen / dpa / Picturedesk

Er brennt für Wissenschaft und versteht es, noch so komplexe Dinge zu entzaubern und verständlich zu erklären – auch mit vollem Körpereinsatz. Seit 25 Jahren präsentiert Ranga Yogeshwar Quarks, das Wissenschaftsmagazin des deutschen TV-Senders WDR. Anlässlich des Festivals Be Open zum 50-jährigen Bestehen des Wissenschaftsfonds FWF ist er kommende Woche in Wien zu Gast. Wir haben ihn vorab am Telefon erreicht.

STANDARD: Ich zeichne das Gespräch auf, wenn das in Ordnung für Sie ist.

Yogeshwar: Ist das nicht verrückt? Journalisten zeichnen Gespräche auf und brauchen einen Konsens dafür. In vielen anderen Bereichen werden unsere Daten einfach weggefressen, und niemand fragt danach. In Zukunft wird das aber möglicherweise unbedeutend, da man meine Stimme so perfekt durch Computer imitieren wird können, dass ich selbst den Unterschied nicht mehr höre.

STANDARD: Macht Ihnen das Angst?

Yogeshwar: Ich habe keine Angst, eher Sorge. Wir leben in einer phänomenalen Phase des Umbruchs, das sehen wir im Alltag wie in der globalen Politik. Ein Teil davon geht auf Technologien und ihren Einsatz zurück. Wir erleben instabile Zeiten. Wenn Sie sich die derzeitigen Debatten in Deutschland ansehen, muss man sich fragen: Lässt ein Teil der Bevölkerung die Grammatik der Aufklärung hinter sich? Sind wir als Gesellschaft noch dialogfähig, oder zersplittern wir in Inseln, die ihre eigene Logik haben?

STANDARD: Sie meinen die Flüchtlingsdebatte und rechte Krawalle?

Yogeshwar: Diese Blasen gehen über die Flüchtlingsdebatten hinaus. In dieser erleben wir aber in einem sehr hohen Maß die Diskrepanz zwischen gefühlter Wahrheit und tatsächlichen Fakten. In einer internationalen Studie wurden Personen gefragt, wie hoch der Ausländeranteil in ihrem Land ist. In der Wahrnehmung der Deutschen ist jeder Dritte ein Immigrant, in Wahrheit sind es aber nur 15 Prozent. Die Deutschen haben auch das Gefühl, dass die Zahl der arbeitslosen Migranten bei annähernd 40 Prozent liegt, de facto sind es weniger als zehn Prozent. Wir kommen auf eine Ebene, wo gefühlte und tatsächliche Realität nichts mehr miteinander zu tun haben. Das ist gefährlich, weil damit Stimmung gemacht wird. Aufklärung hatte und hat immer die Verifizierung von Fakten als Grundlage und den Konsens, sich an Fakten zu halten.

STANDARD: Und dieser Konsens über Fakten löst sich auf.

Yogeshwar: Ja, und zwar nicht nur im Fall von Migranten. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Sportskollegen, ein promovierter Ingenieur und AfD-Unterstützer. Er erzählte mir von einem neuen Reaktortyp namens Dual Fluid Reactor. Das ist totaler Fake, was er mit seinem technischen Wissen eigentlich erkennen müsste. Trotz aller Argumente war er überzeugt davon. Da wurde mir bewusst, dass Logik etwas ist, das uns normalerweise eint. Aber in einer Gesellschaft, in der ein Teil sagt, eins und eins ist nicht zwei, sondern drei oder fünf, haben Sie keine Chance. Weil jeder Dialog davon lebt, dass Sie einen elementaren Konsens haben. Der Dialog ist der eigentliche Kitt der Demokratie, und der löst sich auf, Stichwort alternative Fakten. Wir schreiben das Herrn Trump zu, er kündigt das Klimaabkommen und kürzt Forschungsgelder, obwohl die Fakten klar sind. Es ist aber mehr: Hier braut sich offenbar etwas zusammen, das nicht mehr der Grammatik der Aufklärung folgt.

STANDARD: Wie kann die Wissenschaft den Dialog aufnehmen?

Yogeshwar: Die Wissenschaft selbst hat keine nachhaltige Tradition der Wissenschaftskommunikation. Kommunikation wurde oft mit Nachhilfeunterricht verwechselt, vieles ist Wissenschaftsmarketing. Jetzt kommen wir in eine Phase, in der Kommunikation nicht nur für die Wissenschaft existenziell wird. Denn wenn wie in den USA unter der Trump-Regierung ganze Wissenschaftsfelder zur Disposition gestellt werden, ist es wichtig, dem Dialog eine andere Qualität zu geben. Wir leben in einer Welt, in der alles so komplex geworden ist, dass wir oft nicht mehr in der Lage sind, Dinge selbst zu beurteilen. Selbst ein Bankchef kann unmöglich sämtliche Finanzprodukte verstehen, weil ihn die Mathematik dahinter völlig überfordern würde. Das ist nicht schlimm, setzt aber voraus, dass die Menschen Experten glauben müssen.

STANDARD: Das wiederum setzt Vertrauen in eine Expertise voraus.

Yogeshwar: Genau. Wir haben eine Vertrauenskrise. Und diese ist, muss man selbstkritisch sagen, teilweise auch begründet. Man denke an die Finanzkrise und das Gebaren an den Finanzmärkten. Oder nehmen Sie die Gen-Schere CRISPR/Cas9 und schauen Sie hinter die Kulissen. Dort tobt ein erbitterter Rechtsstreit zwischen drei Wissenschaftern, die die Entdeckung für sich beanspruchen. Parallel finden in einer wahnwitzigen Intensität Patentanmeldungen für CRISPR-Anwendungen statt. Wir haben mit der Gen-Schere ein Fenster zu neuen Möglichkeiten eröffnet, über die wir als Gesellschaft reden müssen. Anstatt dessen erleben wir bereits den Basar der Patentrechte, bevor die breite Bevölkerung überhaupt verstanden hat, worum es geht. Das lässt Wissenschaft zu.

STANDARD: Stiehlt sich die Wissenschaft aus der Verantwortung?

Yogeshwar: Es ist für mich elementar, dass die Wissenschaft, bedingt durch den Einfluss, den sie in unserer Gesellschaft hat, zunehmend Verantwortung im Sinne des Gemeinwohls übernehmen muss, und zwar an der Quelle. In der Medizin gibt es den hippokratischen Eid, der Regeln formuliert, damit Menschen Wissen nicht missbrauchen. Vielleicht brauchen wir etwas Ähnliches in anderen Bereichen. Der Dieselskandal ist auch das Werk von Technikern, die mit wissenschaftlichen Methoden überlegt haben, wie man Kunden betrügt. Kein Informatiker, der am Cambridge-Analytica-Skandal beteiligt war, hat im Vorfeld gesagt: Stopp! Ich bin nicht bereit, mein Know-how in den Dienst fragwürdiger Applikationen zu stellen. Die Auseinandersetzung mit ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen sollte Teil auch technischer Ausbildungen werden und nicht nur an Soziologen ausgelagert werden. Wir brauchen eine Professionalisierung dieses Reflexionsprozesses ebenso wie eine Professionalisierung der Vermittlung von Wissen.

STANDARD: Wie können komplexe Themen den Menschen professionell nahegebracht werden?

Yogeshwar: Das bedeutet, komplexe Zusammenhänge wahrhaftig zu erläutern, aber so, dass man auch die Logik und die Prinzipien dahinter versteht, ohne zu verfälschen oder zu vereinfachen – das ist die hohe Kunst. Es braucht dabei das Bewusstsein, dass man immer nur einzelne Aspekte und elementare Prinzipien verstehen kann, weil die Welt kompliziert bleibt. Das Wissen hilft den Menschen nicht nur, einzuordnen. Diese Aufklärung hat auch eine befriedende, gemeinschaftsstiftende Funktion. Wenn wir Dinge wirklich so erklären, dass der Laie sie begreift, schaffen wir es nicht nur, Ängste abzubauen, sondern zumindest elementare Verständnisse zu generieren, egal ob es um die Finanzkrise oder Migration geht. (Karin Krichmayr, 6.9.2018)

Ranga Yogeshwar erklärt 2011 die Kernschmelze in Fukushima – weil die geplante Animation ausgefallen war, improvisiert er mit Sektkübel, Glas und einem Marker.
gundt