Im Jahr, als Steven Spielbergs E.T. – Der Außerirdische große und kleine Kinderherzen rund um den Globus rührte, schlichen im englischen Rugby Peter Kember und Jason Pierce in den Probekeller. 1982 war das. Als sie vor die Welt traten, nannten sie sich Spacemen 3.

Jason Pierce alias J. Spaceman ruht nach getaner Arbeit. Die Unendlichkeit des Universums nährt die Kunst seiner Band Spiritualized.
Foto: Pias Records

Ihre Begeisterung für die Weiten des Alls vertonten sie auf originäre Weise. Ließ sich David Bowie noch eine Space Oddity ein fallen, an deren Ende Major Tom ohne Kontakt zur Erde in die Unendlichkeit driftet, saßen Spacemen 3 bei ihren Konzerten fest in ihren Sesseln und transzendierten mit ein, zwei Akkorden und eintönigem Gesang. Eines ihrer Alben trug den manifesten Titel Taking Drugs to Make Music to Take Drugs to.

Nach dem Ende der heute kultisch verehrten Band machten Kember und Pierce jeweils solo weiter. Eben haben sie ein Zwei-Millionen-Pfund-Angebot für eine Reunion abgelehnt. Pierce gründete 1990 Spiritualized und vertont mit ihnen seit damals seine extraterrestrischen Fantasien. Am Freitag erscheint sein neues Album; es heißt And Nothing Hurt.

Das All hat die Popmusik immer beschäftigt. Der Fortschrittsglaube der Nachkriegszeit, der politische Wettlauf ins All und die Möglichkeit, mittels psychedelischer Drogen von der Erde abzuheben, schlugen sich mannigfaltig nieder. Im Space-Age der 1950er- und 1960er-Jahre wurden Aliens besungen, später entsandte Starman David Bowies Ziggy Stardust und Major Tom auf die Milchstraße.

David Bowie mit "Space Oddity".
David Bowie

Die Beatles reisten Across the Universe, Pink Floyd begaben sich mehr als einmal auf denselben Trip. Jimi Hendrix’ Gitarre küsste das Firmament, und sogar Hinterwäldler wie der Legendary Stardust Cowboy entwickelte einschlägige Sehnsüchte. Gruppen wie Stereolab produzierten Musik für die Reise ins Lavalampenland hinter der Sonne, Zeitgenossen wie The Flaming Lips oder Tame Impala sind diesbezüglich ebenso anfällig, wie es früher Synthie-Burgbewohner wie Jean-Michel Jarre waren oder es heute Künstler aus dem Ambientfach sind.

Spiritualized veröffentlichten 1997 das monumentale Doppelalbum Ladies and Gentlemen, We Are Floating in Space. Darauf erweiterte Pierce seine musikalische Vision um eine dem Band namen verpflichtete Note: eine gottlose Spiritualität. Bald beschäftigte er ganze Orchester und Gospelchöre, um seine musikalischen Visionen adäquat umzusetzen und diesen emotionalen Input zu bereichern und sie seinen turmhohen Soundwällen einzugemeinden. Dazu singt er ermattete Menschleinlieder.

Heute ist Jason Pierce alias J. Spaceman 53 Jahre alt und zweifacher Vater. In den letzten Jahren quälten ihn vor allem irdische Probleme. In den Nullerjahren raffte ihn beinahe eine Lungenentzündung hinweg, zuletzt soll er arge Probleme mit der Leber gehabt haben – die Spätfolgen eines jahrelangen Abusus.

Realistischer Irrsinn

Daraus entstand unter widrigen Umständen ein wunderschönes Album. Anstatt wie erträumt in einem legendären Studio 60 Musiker zu dirigieren, bastelte Pierce diesen Sound mangels Budget am Laptop nach. Später beschäftigte er eine helfende Hand, um den so angesammelten Irrsinn auf ein realistisches Maß zu reduzieren.

Video zu "I'm Your Man" von Spiritualized.
SpiritualizedVEVO

And Nothing Hurt ist eine Wall-of-Sound-Platte geworden. Pierce durchmisst sie wie ein erschöpfter Phil Spector. Er schleicht in sein Album: Schultern nach vorn, Kopf gesenkt, Sonnenbrille indoors. A Perfect Miracle klingt wie ein Song, den er schon mehr als einmal aufgenommen hat. Man nennt das Handschrift. Doch die vermeintliche Lethargie weicht bald einem Klang, der Pracht und Erhabenheit verströmt. Streicher zirpen, Glocken und Glöckchen bimmeln, Pierce selbst scheint Ukulele zu spielen. Diese Vereinbarkeit von größenwahnsinnigem Pomp und kleinteiliger Lieblichkeit zieht sich durch Pierce’ Arbeit.

And Nothing Hurt fällt verhalten optimistisch aus. Davor sprach er davon, es könnte sein letztes sein. Nun kann er sich vorstellen, doch weiterzuarbeiten. Jeder Song hier ist ein Argument dafür. Die trägen Bläser in I’m Your Man erzählen von seiner Liebe zur Soulmusik, On the Sunshine, eine Uptempo-Nummer, empfiehlt ihn mit Mach 14 ins All. Der Song erinnert an den Garagenrock, den Pierce mit den Spacemen 3 einst intravenös illuminiert hatte.

Der Albumtitel nimmt schließlich unverblümt Bezug auf seine lange Krankengeschichte. Als er mit Schmerzmitteln in jenen süßen Schlummer gebracht wurde, den er früher mit Substanzen herbeigeführt hatte, die ihn später krank machen sollten. Kosmische Ironie. Am Ende singt er Sail On Through – und rauscht mit schweren Lidern davon. Möge er bald wiederkehren. (Karl Fluch, 7.9.2018)