Der Weg zu einer grünen Logistik ist noch weit, Radfahren in der Paketzulieferung ist nur der Anfang.

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Der Brückeneinsturz von Genua, der im Sommer 2018 die italienische Stadt erschütterte, war eine Tragödie für viele unmittelbar betroffene Menschen. Zu den längerfristigen Negativfolgen der Katastrophe zählen auch Probleme bei Verkehrsplanung und Logistik. "Mit dem Wegfall der Brücke ist eine Engstelle ausgefallen. Letzten Endes zerfällt die Region damit in zwei Teile", erklärt Nikolas Popper. "Anders als beim Straßennetz würde man bei Internet-Infrastruktur eine Stadt niemals nur mit einer Datenautobahn anbinden", vergleicht der Wissenschafter, der das Centre for Computational Complex Systems (Cocos) an der TU Wien koordiniert. Nicht nur die Brücke hat versagt, sondern auch die Planung eines Verkehrssystems, das über ausreichend Redundanzen verfügt, um Ausfälle ausgleichen zu können.

Die Modellierung komplexer, dynamischer Systeme, bei denen die Veränderungen eines Parameters weitreichende Folgen für viele weitere Bereiche haben können – das ist Poppers Metier. Als einer der Vortragenden beim diesjährigen Forum Green Logistics, das am Mittwoch in Wien stattfindet, wirft er einen systemanalytischen Blick auf Veränderungen in der Logistik. Die Veranstaltung, die unter anderen mit der Wiener Boku, dem Hafen Wien und dem Mobilitätslabor Thinkport Vienna organisiert wird, fragt nach Gründen für die schwerfällige Transformation: "Warum gelingt die Umstellung nicht so rasch, wie wir es uns wünschen?"

Schneller Konsum

"Das Konsumverhalten ändert sich heute ungeheuer schnell", sagt Popper und nennt die Etablierung von Services wie Airbnb und Uber oder den Trend zu einer individualisierten Produktion als Beispiele. Vor 30, 40 Jahren war das anders: "Die Etablierung Italiens als Urlaubsland in der Nachkriegszeit hat Jahrzehnte gedauert", gibt der Forscher ein Beispiel.

Während die Systeme, die den wirtschaftlichen Alltag bestimmen, nun immer komplexer werden, können die Mittel, mit denen man dieser Komplexität Genüge tun will, aber nicht Schritt halten. "Amazon ist das weltweit wertvollste Unternehmen. Die Mechanismen, die diesen Status erreichen ließen, sind zum Teil aber tiefstes 20. Jahrhundert – etwa Verpackungsanlagen, in denen tausende Mitarbeiter zum Ausbeuterlohn arbeiten", veranschaulicht Popper. Wie wird man also einer weiteren Zunahme der Komplexität begegnen? Wie wird etwa ein System aussehen, das Patienten mit individuell hergestellten Präparaten versorgt, während die Wege zwischen Laboren, Ärzten und Patienten exponentiell ansteigen?

Schon in der Gegenwart würden die Dynamiken bestehender Systeme oft unterschätzt. "Wir haben einmal den Umzug einer Universität simuliert. Es gab die Vorstellung, dass die Räumlichkeiten ausgelastet seien. Eine Analyse ergab aber eine Auslastung von nur 15 Prozent", gibt der Forscher ein Beispiel.

Radikale Lösungen

Dort, wo Ökologie und Ökonomie an einem Strang ziehen – also bei einer Verbesserung von Auslastungen oder der Einsparung von Treibstoffen -, sei die Sache noch einfach. Anders sieht es aus, wenn die gewohnte schrittweise Innovation nicht mehr möglich ist. Dann müsse die Verbesserung der Effizienz in radikaleren Lösungen gedacht werden. Popper: "Bei Dieselautos wurde nicht geschummelt, weil es nicht besser geht, sondern weil man die Fahrzeuge weiter verkaufen will." Man könnte natürlich auch die Konzepte, wie Menschen und Güter von A nach B kommen, grundsätzlich überdenken.

Die Unternehmen brauchen geeignete Regulatorien, um einem Gesamtsystem gerecht werden zu können – beispielsweise Incentives, die mehr Kooperation schaffen. "Im Energiemanagement ist es eine einfache Maßnahme, Strom außerhalb der Spitzenzeiten billiger zu machen", erläutert der Forscher. "In der Logistik gibt es das kaum." Lokale Anbieter von Erdbeeren haben etwa gegenüber energieintensiven Importen aus Spanien kaum Vorteile.

Gerade mit Blick auf den urbanen Raum wird klar, wie sehr sich Bereiche wie Verkehrs- und Stadtplanung, Logistik und Energiemanagement gegenseitig beeinflussen. Modelle, die den Planungen zugrunde liegen, müssen Komplexität und Dynamik der Realität im geeigneten Maß abbilden. Popper: "Heute werden den Entscheidungsträgern leider oft noch Zahlen serviert, die aus simplen Excel-Tabellen stammen." (Alois Pumhösel, 10.9.2018)