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"Positiv gelebte Mehrsprachigkeit im Kindergarten heißt aber nicht, dass zu Hause kein Deutsch gesprochen werden soll oder darf."

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Die Regierung hat einen Wertekatalog für Kindergärten ausgearbeitet, der zum wiederholten Male die kindliche Sprachförderung mit der Förderung von Deutschkenntnissen gleichsetzt. Abermals wird damit ein Entweder-oder-Denken tradiert. Das widerspricht dem bundesländerübergreifenden Bildungsrahmenplan, dem aktuellen normativen Orientierungsrahmen für österreichische Kindergärten, in dem die Förderung der Erstsprach- sowie der Deutschkompetenz als ein gesamtsprachlicher Bildungsprozess verankert ist.

Der Fokus in Kindergärten darf nicht allein auf Deutsch, sondern muss auf der Gesamtsprachentwicklung – des Deutschen als Bildungssprache als auch der Muttersprachen – liegen. Das ist aus zweierlei Gründen wichtig: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass erstens sprachliche Entwicklung ein komplexer, mehrjähriger Prozess ist, der selbst nach der Volksschule nicht abgeschlossen ist, und dass zweitens eine erfolgreiche Zweitsprachkompetenz nur durch eine ebenso erfolgreiche Erstsprachkompetenz möglich ist. Eine gefestigte und geschätzte Familiensprache ist die Grundlage für eine erfolgreiche Zwei- und Mehrsprachigkeit. Besonders erfolgreich sind Kinder, die Zwei- oder Mehrsprachigkeit bereits im Kindergarten und dann systematisch in der Schule kompetent begleitet erfahren dürfen – zweisprachige Alphabetisierung eingeschlossen.

Entwertung von Sprachkompetenz

Was die Kinder und Eltern bei den aktuellen sprachpolitischen Maßnahmen mit ausschließlichem Deutschfokus jedoch erleben müssen, ist die Entwertung ihrer Sprache und somit die Entwertung ihrer selbst. Es wird ihnen signalisiert, dass ihre sprachlichen Ressourcen nichts wert und unerwünscht sind. Das ist nicht nur dem Sprachlernprozess, sondern dem Lernen insgesamt abträglich, weil es das Selbstvertrauen der Kinder unterminiert und ihnen somit von Anbeginn die Freude am (Sprachen-)Lernen, demnach auch am Deutschen, nimmt.

Positiv gelebte Mehrsprachigkeit im Kindergarten und Elternhaus heißt aber nicht, dass zu Hause kein Deutsch gesprochen werden soll oder darf beziehungsweise die bildungssprachliche Förderung des Deutschen im Kindergarten vernachlässigt wird. Vielmehr erhält durch kompetente sprachsensible Bildungsarbeit in Kindergärten Sprache als solche noch mehr Aufmerksamkeit.

Eltern als Sprachvorbilder

Auch die Eltern sind wichtige Sprachvorbilder für Kinder. Wenn diese erleben, dass die Erwachsenen neben der Familiensprache gut und gerne Deutsch sprechen und im Beruf damit erfolgreich sind, ist dies einer der wichtigsten Motivatoren für die Kinder. Hierbei geht es jedoch um das generelle Interesse am Sprachenlernen, das im Elternhaus vermittelt werden sollte.

Denn auch bei der Sprachförderung geht es vor allem um den Aspekt schichtspezifischer Unterschiede. Der kleine Bub einer hochgebildeten, perfekt zweisprachigen Mutter hat ungeachtet dessen, wann er die zweite Sprache zu erlernen beginnt, bei kompetenten Pädagoginnen oder Pädagogen in Kindergarten und Schule die besten Chancen, zur Elite zu gehören. Anders ist es um die Kinder der Familien bestellt, in denen die Eltern weniger Kompetenzen, Geld und Zeit zur Verfügung stellen können – ob mit oder ohne Mehrsprachigkeitshintergrund.

Elterlicher Bildungshintergrund entscheidend

Fehlende Kompetenzen in der Unterrichtssprache entstehen meist nicht aufgrund des Versagens oder individueller Defizite von Kindern und deren Eltern, sondern sind durch den sozialen Kontext bedingt. Das zeigt die von Barbara Herzog-Punzenberger präsentierte Analyse von 70.000 Schülerinnen und Schülern der achten Schulstufe (2011/12), über die DER STANDARD berichtete.

Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und solchen ohne Migrationshintergrund haben wenig damit zu tun, ob Deutsch die Erstsprache der Kinder ist oder nicht. Ausschlaggebend für die Leistungsunterschiede in der Schule ist vielmehr der Bildungshintergrund der Eltern. Die Leistung steht nicht im Verhältnis zur Mehrsprachigkeit der Schüler.

Die von Minister Heinz Faßmann getroffenen Maßnahmen mit dem alleinigen Ziel "Deutsch muss fortan im Fokus stehen" sind daher weit von Bildungsgerechtigkeit entfernt. Denn man erlaubt mehrsprachigen Kindern nicht, das sprachliche Kapital ihrer Mehrsprachigkeit für die Bildungskarriere zu nutzen. Dabei ist das ein Recht von mehrsprachigen Kindern, ein Kinderrecht, welches hier durch die österreichische Regierung ignoriert wird.

Außerdem greift diese einseitige Sprachförderung mit reinem Deutschfokus viel zu kurz, um die Bildungsleistungen österreichischer Schüler zu heben. Denn sie schenkt den sozialen und schichtspezifischen Aspekten von erfolgreichen Bildungskonzepten zu wenig Beachtung.

Ein verbesserter Erzieher-Kind-Schlüssel im Kindergarten, mehr Ressourcen für die gesamtsprachliche Förderung der Kinder in Kindergarten und Schule, Qualifizierungsmaßnahmen für Pädagoginnen und Pädagogen im Umgang mit Mehrsprachigkeit, ganztägige kostenlose Bildungsangebote, die den Kindern ein förderndes Lernumfeld anbieten können, sowie eine soziale Indexierung der Bildungseinrichtungen (ab dem Kindergarten) würden zu besseren Bildungsergebnissen führen und den geforderten Werten von Humanität, Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität der Regierung besser gerecht werden. (Karin Steiner, 7.9.2018)