Wien – Nach der Bluttat in Wien-Leopoldstadt, bei der am Samstagabend eine 50-Jährige durch Stiche in den Hals getötet wurde, werden nun Details über den mutmaßlichen Täter bekannt. Der 40-Jährige Freund der Frau hätte zum Tatzeitpunkt eine Haftstrafe von neun Monaten anzutreten beziehungsweise abzusitzen gehabt.

Zu neun Monaten verurteilt

Der Verdächtige – ein gebürtiger Iraker – war am 16. August 2017 vom Landesgericht für Strafsachen wegen schwerer Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Sachbeschädigung zu neun Monaten unbedingter Haft verurteilt worden. Nachdem das Wiener Oberlandesgericht (OLG) das Urteil bestätigt hatte, wurde dem Mann am 26. Jänner die Aufforderung zum Strafantritt zugestellt.

Er ersuchte in weiterer Folge um einen Haftaufschub wegen behaupteter Vollzugsuntauglichkeit, wobei sich das Vorbringen auf ein Gutachten eines bekannten Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie stützte, der sich für einen Haftaufschub von zumindest einem halben Jahr wegen einer "floriden psychiatrischen Erkrankung" aussprach.

Psychiatrische Gutachten

Die von der Justiz beigezogene psychiatrische Sachverständige Sigrun Rossmanith kam allerdings zu dem Schluss, dass die von ihrem Kollegen gestellten Diagnosen – eine mittel- bis schwergradige depressive Episode, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Angst- und Panikstörung – "aktuell nicht festzustellen" seien, wie es in ihrer Expertise hieß. Aus psychiatrischer Sicht lägen die medizinischen Voraussetzungen der Strafvollzugstauglichkeit vor, wobei sich Rossmanith allerdings dafür aussprach, den Mann in einer Vollzugsanstalt mit einer angeschlossenen Krankenanstalt unterzubringen, um diesem im Fall einer psychischen Krise rasche ärztliche Hilfe und eine bedarfsgerechte Medikation zukommen lassen zu können.

Das Landesgericht für Strafsachen wies aufgrund von Rossmaniths Ausführungen am 11. Mai den Antrag auf Strafaufschub ab. Dagegen legte der Iraker Beschwerde ein. Diese lehnte das OLG am 24. Juli allerdings ab. Rossmaniths Gutachten sei "schlüssig und nachvollziehbar begründet", eine Vollzugsuntauglichkeit liege demnach nicht vor, heißt es in dem sechsseitigen OLG-Beschluss.

Keine neuerliche Aufforderung zur Haft

Dass der beantragte Haftaufschub vom Oberlandesgericht endgültig abgelehnt wurde, hatten der Wahlverteidiger des Mannes und die Justizanstalt Wien-Simmering, wo er seine neunmonatige Haftstrafe hätte absitzen sollen, am 31. Juli erfahren. Eine neuerliche Verständigung, seine Strafe anzutreten, wurde ihm nicht mehr zugestellt.

"Es bedarf in solchen Fällen keiner neuerlichen Aufforderung mehr", erklärt Thomas Spreitzer, Sprecher des Landesgerichts für Strafsachen. Dem Mann sei bereits im ersten Beschluss des Landesgerichts vom 11. Mai mitgeteilt worden, dass er grundsätzlich seine Strafe unverzüglich anzutreten habe. Dessen dagegen gerichteter Beschwerde sei zwar eine aufschiebende Wirkung zugekommen, die aber mit dem OLG-Beschluss vom 24. Juli vom Tisch war. Üblicherweise vergehen in vergleichbaren Fällen dann nur mehr wenige Tage, bis Betroffene in der ihnen zugeteilten Justizvollzugsanstalt einrücken. Wer sich beharrlich weigert, kann von der Polizei zwangsweise ins Gefängnis gebracht werden.

Iraker tauchte unter

Der mittlerweile Mordverdächtige zog es stattdessen offenkundig vor unterzutauchen. Er sollte Montagnachmittag aus dem Polizeigewahrsam in die Justizanstalt Josefstadt überstellt werden. Weitere Einvernahmen durch die Ermittler waren nicht geplant. Der Mann hatte in den Verhören geschwiegen beziehungsweise keine Angaben zur Tat gemacht.

Nachbarn hatten am Sonntag in der Ybbsstraße aus der Wohnung der Frau einen lautstarken Streit gehört. Als der 40-Jährige dann aus dem Stiegenhaus lief, verständigten die Anrainer die Exekutive. Kurz vor 19 Uhr fanden die Einsatzkräfte die blutüberströmte Leiche des Opfers. Reanimationsmaßnahmen blieben erfolglos. Hinweise führten gegen 20.30 Uhr zur widerstandslosen Festnahme des Verdächtigen in einem Lokal in der Quellenstraße.

Polizeibekannte mutmaßliche Täter

In den vergangenen Monaten gab es andere Fälle, in denen sich mutmaßliche Täter eigentlich in Haft bzw. unter Aufsicht von Behörden befinden hätten müssen oder – retrospektiv – zu früh entlassen wurden: Im März verletzte ein afghanischer Asylwerber vier Menschen mit einem Messer in der Nähe des Pratersterns. Später wurde bekannt, dass der zuvor wegen Drogenhandels verurteilte 23-Jährige nach seiner Entlassung zwei Anträge auf freiwillige Rückkehr in sein Heimatland gestellt hat. Und jener Mann, der verdächtigt wird eine Frau getötet, zerstückelt und im Neusiedler See versenkt zu haben, kam wenige Monate zuvor nach 21 Jahren Haft – wegen Totschlag und Vergewaltigung – bedingt frei. Grundlage dafür waren zwei Gutachten. (APA, red, 10.9.2018)