Helmut Rauch beim Interview im Wiener Atominstitut.

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Es gibt einige erfolgreiche Menschen, die glaubwürdig beteuern, eine wichtige Position in ihrer Karriere gar nicht angestrebt zu haben. Der Kernphysiker Helmut Rauch ist einer von ihnen, 1985 wurde er Vizepräsident des Wissenschaftsfonds FWF, 1991 Präsident, damals wie heute ein Amt, das man ausschließlich renommierten Wissenschaftern überantworten kann. Anlässlich des 50. Geburtstags der größten heimischen Fördereinrichtung für Grundlagenforschung sagt Rauch, mittlerweile 79 Jahre alt: "Ich habe mich wirklich nicht darum gerissen, ins Präsidium zu kommen."

Die Antwort auf die Frage, warum er es dennoch getan hat, fällt ihm offenbar gar nicht leicht. Da kommt es zunächst fast beschwörend: "Man hat schon ein sehr viel breiteres Wissen bekommen, weil man mit den unterschiedlichsten Projektanträgen zu tun hat." Auch ein pflichtbewusster Nachsatz ist zu hören: "Man kann sich nicht verweigern, das ist nicht leicht." Und schließlich sagt Rauch: "Für die eigene Arbeit war es ein Einbruch. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wären noch einige Arbeiten mehr entstanden."

Davor gab es für den langjährigen Vorstand des Atominstituts der TU Wien (1972 bis 2005) einige Durchbrüche. 1974 gelang ihm der Nachweis, dass Neutronen quantenphysikalische Eigenschaften haben. Teilchen wurden auf ein aus Siliziumkristallen hergestelltes Interferometer geschossen. Beim Durchlaufen der Apparatur verhielten sich die Teilchen wie Wellen: Ihre möglichen Wege teilten sich und überlagerten sich wieder. Wenn man das Ergebnis in den Makrokosmos überträgt, stößt man an die Grenzen des Vorstellbaren: ein Mensch, der gleichzeitig durch zwei Türen geht?

Frühes Exzellenzprogramm

In jedem Fall war es ein weltberühmtes Experiment, das Rauch zu einem Kandidaten für den Physik-Nobelpreis machte. Dass er ihn bisher nicht gewonnen hat, scheint dem Wissenschafter nicht wichtig zu sein. Was Rauch mehr umtreibt: ein bisschen weiter als bis zu den Grenzen Österreichs zu denken und mehr für die internationale Sichtbarkeit von Wissenschaft und Forschung zu tun. Wahrscheinlich hat er deshalb seinerzeit als FWF-Präsident die Spezialforschungsbereiche (SFBs) mit aus der Taufe gehoben: Das war ein erster Hebel, um mit langfristigen Förderungen Wissenschaftern die Möglichkeit zur Vertiefung von Forschungsarbeiten zu geben. Eine internationale Jury sorgte von Anfang an für die Beurteilung nach Qualitätskriterien.

Dieses frühe Exzellenzprogramm ermöglicht bis heute Projekte, die mit Zwischenevaluierung maximal acht Jahre finanziert werden. Der Richtwert liegt immerhin bei einer Million Euro pro Jahr. Allerdings können aufgrund des knappen FWF-Budgets derzeit pro Ausschreibung nur bis zu zwei SFBs bewilligt werden. Rückblickend sagt Rauch über die SFBs: "Das hat sich sehr bewährt. Alle Highlights der österreichischen Forschung sind aus solchen SFBs entstanden." Quantenphysiker aus Innsbruck und Wien ebenso wie Fettforscher aus Graz haben davon schon profitiert.

Rauch wünscht sich aber mehr, vor allem mehr Mut, so schnell wie möglich an internationalen Großforschungsprojekten teilzunehmen. Die Entscheidung für "Big Science" würde hierzulande in Regel zu lange dauern, was er am Beispiel der Europäischen Südsternwarte (European Southern Observatory, Eso) festmacht. Österreich ist seit 2008 Mitglied der schon 1962 gegründeten Institution, die mit mehreren Teleskopen in Chile bahnbrechende Entdeckungen in der Astrophysik möglich macht. Bei anderen Großforschungsprojekten wie der Röntgenlaser-Einrichtung X-Ray Free Electron Laser (X-FEL) in Hamburg und Schenefeld oder der Neutronenquelle European Spallation Source (ESS) in Lund in Schweden befürchtet Rauch eine zu späte Entscheidung, "wenn die besten Forschungsarbeiten schon gemacht wurden".

Nationale Notwendigkeit

Seitens des Wissenschaftsministeriums sieht man das naturgemäß anders: "Für das Ministerium – und die effiziente Verwendung von Steuergeld – ist jener Zeitpunkt für einen Beitritt der richtige, wenn es eine ausreichend große, also kritische Nutzergemeinschaft in Österreich gibt, die auch in der Lage ist, komplexe Einrichtungen zu nutzen." Österreich sei bei 38 Forschungseinrichtungen Mitglied, im Fall von X-FEL sieht das Ministerium "mangels universitätsübergreifender Initiative keine nationale Notwendigkeit", im Bezug auf ESS verweist man auf die Neutronenquelle Institut Laue-Langevin in Grenoble – und darauf, dass ein Wechsel möglich sei, "sobald die Mehrkosten gerechtfertigt sind."

Die Unis hätten zu wenig Geld für Infrastruktur, ergänzt Rauch. Und meint, dass da eine Balance nötig wäre zwischen der Förderung von Einzelprojekten und Mitteln für Instrumente, während er zum Herzstück des Atominstituts, zu Österreichs einzigem aktivem Reaktor, geht. "Auch hier braucht man mehr Infrastrukturmittel", sagt er und meint vorbeugend, dass die Besucher sich nicht fürchten müssen: Der Reaktor sei völlig ungefährlich. "Die Österreicher fürchten sich ja gern", ätzt er. Und kommt dann später auch auf des Österreichers Umgang mit dem Atom zu sprechen. Das Wort allein habe ein schlechtes Image. "Üblicherweise sollte uns bewusst sein, dass wir selbst und unsere Umgebung aus Atomen bestehen", sagt er. "Atomfrei" würde eine völlige Vernichtung unseres Planeten bedeuten. Trotzdem ist Atom ein Reizwort.

Vielleicht auch, weil Österreich nicht sehr fortschrittlich ist, wie Rauch meint. "Wenn man den Namen einer Beethoven-Symphonie nicht weiß, ist man unten durch. Wie weit die Erde von der Sonne entfernt ist? Das ist doch den meisten wurscht." Es sind übrigens im Mittel 149,6 Millionen Kilometer. Nur der Vollständigkeit halber sei das hier erwähnt. (Tanja Traxler, Peter Illetschko, 13.9.2018)