Vor wenigen Monaten schaffte es eine Studie der Online-Zeitschrift "Plos One" in etliche österreichische Medien: "In reichen Ländern wachsen die Waldflächen, in armen schrumpfen sie" schrieb beispielsweise DER STANDARD am 14. Mai. Die Botschaft war überaus erfreulich: Forscherinnen und Forscher um Pekka Kauppi aus Finnland hatten gezeigt, dass der Human Development Index in jenen Ländern, wo Wälder wachsen, höher ist als in Ländern, deren Wälder zurückgehen.

Wenn nur in allen Ländern ein hohes Maß an Wohlstand erreicht würde, wäre das Problem der globalen Entwaldung gelöst. Damit könne, so folgern die Forscherinnen und Forscher an anderer Stelle, zum Klimaschutz beigetragen werden, weil wachsende Wälder Kohlenstoff binden. Diese Gemengelage an Argumenten legt den Schluss nahe, dass mehr Wohlstand automatisch zu mehr Klimaschutz beitragen würde, weil die Wälder eben mit zunehmendem Wohlstand wachsen.

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit den Veränderungen von Nachhaltigkeitsproblemen im Zuge von Industrialisierungsprozessen. Dieser Blick zeigt, dass die einfache Annahme, steigender Wohlstand würde mehr landnutzungsbezogenen Klimaschutz mit sich bringen, ein sehr gefährlicher Trugschluss ist. Die sozial-ökologische Langzeitforschung hat Wiederbewaldung nämlich als Nebenwirkung von jenen Industrialisierungsprozessen identifiziert, die den Klimawandel überhaupt erst ausgelöst haben.

Wald mit vielen Funktionen

Stellen wir uns die Landnutzung in Österreich um 1830 vor: In jeder Ortschaft, auch in entlegenen Alpentälern, bauten die Bauern Getreide zur lokalen Versorgung an. Für die Almwirtschaft drängten sie die Waldgrenze durch Rodung nach unten und nutzten steile Hänge an den Talrandlagen als Weiden für ihr Vieh. Der Wald diente nicht nur der Produktion von Brenn-, Werk- und Nutzholz, sondern bediente insbesondere auch die Viehwirtschaft. In Waidhofen an der Ybbs wurden im Jahr 1830 im Franziszäischen Kataster folgende Waldnebennutzungen von Bauernwäldern genannt, "die selben wie in allen übrigen Gebirgsgemeinden": die Viehweide, das Branden, sowie das Abästen der Bäume zur Einstreugewinnung. Dadurch entstünde ein "Mißverhältnis" zu Lasten alter Bäume und zugunsten von Junghölzern.

Katasterelaborat der Katastralgemeinde Konradsheim (Waidhofen an der Ybbs), in dem typische Waldnebenbenützungen beschrieben werden (NÖLA, FK Operate, K332 Konradsheim, S. 34–35).
Foto: simone gingrich

Entlastung der Wälder

Heute sieht es in Österreich ganz anders aus: Ackerbau konzentriert sich auf die produktivsten Regionen, die die höchsten Erträge liefern. In hügeligen und alpinen Lagen wird grünlandbasierte Rinderwirtschaft betrieben, und an steilen Standorten, die für die Acker- oder Grünlandnutzung zu geringe Erträge abwerfen, wächst der Wald. Wälder haben nicht nur an Fläche zugelegt (heute machen sie 48 Prozent der österreichischen Gesamtfläche aus), sondern im selben Maß auch an Bestockungsdichte: auf einem durchschnittlichen Quadratmeter Wald steht heute um rund 25 Prozent mehr Biomasse als noch vor 200 Jahren. Außerdem werden die Wälder heute so bewirtschaftet, dass sie höhere Erträge liefern und trotzdem noch als Kohlenstoffsenke wirken.

Heute sind 48 Prozent der österreichischen Landesfläche von Wald bedeckt.
Foto: simone gingrich

Wie lassen sich diese Prozesse erklären? Aus der Perspektive sozial-ökologischer Langzeitforschung hängen diese Landnutzungsveränderungen direkt mit Veränderungen in der Energieverwendung zusammen. Der Energieeinsatz Österreichs hat sich seit 1830 von etwa 110 Petajoule auf knapp 1.500 Petajoule mehr als verzehnfacht. Durch die Erschließung moderner (vielfach fossiler) Energieträger, wurden die Wälder von vielen ihrer früheren Funktionen entlastet: trotz der enormen Steigerung des Energieeinsatzes benötigen wir heute viel weniger Brennholz. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft produktiver geworden. Obwohl die landwirtschaftlichen Flächen zurückgegangen sind, produzieren sie rund viermal so viel Nahrung wie Anfang des 19. Jahrhunderts. Außerdem liefert die Landwirtschaft genug Futter und Einstreu für die österreichischen Viehbestände und kann auf günstige Importe aus dem Weltmarkt zugreifen, sodass es kaum noch Waldweide oder Waldstreunutzung gibt. All das wurde durch den Einsatz fossil-energiebasierter Technologien möglich, wie Mineraldünger, Traktoren und andere Maschinen.

Wie die Wälder heute aussehen, hat viel mit der Verwendung von Technologien zu tun, die auf fossile Energieträger angewiesen sind.
Foto: simone gingrich

Beitrag zum Klimaschutz?

Und was bedeutet das für den Klimaschutz? Erstens, Wiederbewaldung kann nur eine unter mehreren Klimaschutzmaßnahmen sein: Österreichs Emissionen aus Fossilenergie machen mehr als das sechsfache der Kohlenstoffsenke in Wäldern aus. Zweitens muss bei Aufforstungsmaßnahmen darauf geachtet werden, dass nicht über Umwege wie landwirtschaftliche Intensivierung, Importe oder den verstärkten Einsatz fossiler Energieträger mehr Emissionen erzeugt werden, als der Wald als Senke bindet.

Die Prozesse zu identifizieren, die die Wälder entlasten, und ihre Emissionen zu quantifizieren ist allerdings methodisch nicht trivial. Das Forschungsprojekt "Hidden Emissions of Forest Transitions", das im April 2018 am Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur Wien gestartet hat, wird genau diese Fragen untersuchen und damit zu einem besseren Verständnis des landnutzungsbezogenen Klimaschutzes beitragen. Das Problem des globalen Klimawandels wird sich nämlich sicherlich nicht durch eine weitere Zunahme des Wohlstands lösen lassen. (Simone Gingrich, 14.9.2018)