Bild nicht mehr verfügbar.

"Konzert gegen rechts" in Chemnitz: Die Zivilgesellschaft setzt genügend Zeichen, jene aus der Politik bleiben aus.

Foto: dpa / Hendrik Schmidt

Emmanuel Macron und Angela Merkel wollen aus "Migration eine Chance machen, keine Befürchtung". Das sagten sie, vor stimmungsvoller Mittelmeerkulisse, vor kurzem in Marseille. Es ging um die EU, einen "gemeinsamen Schulterschluss", natürlich auch in Hinblick auf die EU-Wahl im Mai 2019 – und darum, ein anderes, helleres Bild zu skizzieren als jenes, das Europas Rechte gerade malt.

Es ist dies das erklärte Ziel des französischen Präsidenten, der den Erfolg seiner En-Marche-Bewegung gern auf Europa übertragen würde. Das klingt gut, nur scheint es – auch nach dem Treffen mit Merkel –, dass der Plan dazu fehlt.

Blutleere Ansage

Seltsam blutleer klang, was Merkel und Macron zu sagen hatten zur Zukunft Europas: Europa müsse sich in der Frage der Migration "auch beweisen", Deutschland und Frankreich wollen in Europa gemeinsam "weiter zusammenarbeiten, um die Zukunft vorzubereiten".

Derweil kochten in Chemnitz die Straßen.

Und am schönen Comer See kündigte der italienische Vizeregierungschef Matteo Salvini an, er werde mit dem ultrarechten Trump-Berater Steve Bannon zusammenarbeiten, "um Europa zu retten".

Was man im rechten Lager darunter versteht: Alles, was noch immer in Europa als gut und richtig gilt, soll künftig nichts mehr zählen. Zusammenarbeit, Solidarität, Einigkeit, Offenheit, Toleranz – und die Prinzipien des Rechtsstaats. Ungarn muss sich deshalb einem Verfahren des EU-Parlaments stellen. Aber vielen Europäerinnen und Europäern scheinen diese Haltungen zunehmend sympathisch zu sein.

Wenig Unterstützung

Jene, die dagegenhalten wollen, die sogenannte "Zivilgesellschaft", bekommen von politischer Seite recht wenig Unterstützung. Zu den rechten Ausschreitungen in Chemnitz sagte die deutsche Kanzlerin "nicht mehr als drei dürre Sätze", wie die satirische "Heute-Show" des ZDF ätzte. Und der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas warf den Menschen gar vor, sie seien zu bequem, um für die Demokratie zu kämpfen, sie sollten "vom Sofa hochkommen", die "Anständigen" müssten sich einmischen.

Das ist ziemlich frech, wenn man bedenkt, dass Maas und seine Kollegen nach Chemnitz auch kaum "aus dem Sofa hochkamen". Niemand fuhr hin, um vor Ort eine leidenschaftliche Rede zur Verteidigung der Demokratie zu halten. Man blieb in Berlin, verurteilte die Ausschreitungen, stritt um die Bedeutung des Wortes "Hetzjagd" und gab allen anderen gute Ratschläge.

Überheblich und hilflos

Die sogenannte Zivilgesellschaft, Adressatin der Maas'schen Rüge, wird sich herzlich bedanken. Nicht nur, dass immerhin 65.000 Menschen beim "Konzert gegen rechts" gegen Ausländerfeindlichkeit aufstanden.

Nicht nur, dass sich viele Menschen, die seit 2015 dranbleiben, um in ihrer Freizeit mit Flüchtlingen zu arbeiten, von der politischen Rechten als "Gutmenschen" verunglimpft und verachtet werden. Jetzt dürfen sie sich auch noch von einem sozialdemokratischen Politiker, dessen Partei seit Jahren schlüssige Gegenkonzepte zur Ausländer-raus-Politik schuldig bleibt, rüffeln lassen.

Die Wortmeldung klingt überheblich, zeigt aber vor allem Hilflosigkeit. Sie klingt nach einer politischen Kaste, die nicht mehr weiß, wie sie "den Menschen da draußen" begegnen soll. Auch deshalb fällt es offenbar so schwer, eine glaubwürdige Erzählung von jenem "anderen Europa" zu finden, für das es sich zu kämpfen lohnte. Es fehlen Überzeugungswille, -kraft – und -leidenschaft.

Nicht bei "denen da draußen"

Wie es gehen könnte, zeigte der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble – mit seinem Auftreten gegen die Spaltung der Gesellschaft durch Rechtsradikale blieb er allein auf weiter Flur. Alle anderen blieben blässlich. Es grenzt an Selbstbetrug zu glauben, die Menschen spürten das nicht. Nicht von ungefähr bekamen "Spiegel"-Redakteure bei ihrer Recherche in Brandenburg zu hören: Die AfD-Funktionäre seien die Einzigen, die sich regelmäßig in den kleinen Ortschaften blicken ließen – alle anderen Parteien kenne man eigentlich nur aus dem Fernsehen und von Wahlkampfauftritten.

Da hilft es auch nicht, wenn die Uno versucht, das gellende Schweigen durch grellen Aktionismus zu übertönen, wie es Michelle Bachelet zuletzt getan hat. Österreich und Italien in der Flüchtlingspolitik "unter Beobachtung" zu stellen ist kontraproduktiv und spielt nur jenen in die Hände, die demokratische Werte, Einrichtungen und Institutionen und nicht zuletzt Menschenrechte am liebsten "entsorgen" würden. (Petra Stuiber, 13.9.2018)