Als ob der Handel eine Karotte vor der Nase hätte: Große Produktionen stellen in Österreich auf Bio um. Das regt Debatten um Kosten, Preise und Werte an.

Heribert Corn

Sie sind die Zierde eines jeden Supermarkts und die beliebtesten Hauptdarsteller idyllischer Werbespots. Biologische Lebensmittel verhelfen Händlern zu einem Wachstumsschub, von dem junges konventionelles Obst und Gemüse nur träumen kann. Mehr als neun Prozent der Produkte österreichischer Handelsketten sind bio. Das ist der höchste Anteil in Europa. Vor gut zehn Jahren lag er noch bei weniger als fünf Prozent.

Hinter den Kulissen aber gärt es. Auslöser ist ein Kräftemessen zwischen Spar und kleinen Lieferanten, das auf große Teile der Branche ausstrahlt. Der Konzern ist im Wettlauf um Österreichs Biomarkt hinter der Rewe-Gruppe und Diskonter Hofer undankbarer Dritter.

Was Spar nun dazu bewog, sich einzelne Lieferanten enger an die Brust zu nehmen. Die Botschaft an sie war unmissverständlich, erzählen Produzenten dem STANDARD: Wolle der betroffene Biopartner weiterhin in den Regalen der Spar gelistet bleiben, müsse er seine Ware künftig um bis zu 30 Prozent billiger geben. Zugleich habe der Handelsriese anderen Lieferanten zugesichert, ihnen mehr konventionelle Agrarware abzunehmen – geknüpft an die Bedingung, dass auch sie ihre Preise für Bio kräftig senken.

Kräftemessen

Einer werde hier ohne mit der Wimper zu zucken gegen den anderen ausgespielt, sagen Lieferanten, die sich aus Angst vor Repressalien nicht namentlich nennen lassen. Verhängnisvolle Machtkämpfe, die immer wieder ins Visier der Kartellbehörden geraten, erfassten nun auch die gern als heile Welt verkaufte Biobranche. Zumal Spars Aufforderungen zu Nachlässen auch die Konkurrenten Rewe und Hofer alarmierten. Alte Regel im Handel: Wer die Preise für den einen senkt, der muss es auch dem anderen günstiger liefern – und wenn ihm dabei finanziell die Luft ausgeht.

Spars Vorgehen sei typisch für den Lebensmittelhandel. Der Konzern kenne es nicht anders und hoffe, damit auch auf dem Biomarkt durchzukommen, sagt Otto Gasselich, der als Obmann der Bio Austria Wien und NÖ tausende Bauern vertritt.

Angesichts der Dominanz weniger Handelsketten habe ein regionaler Lieferant kaum Chancen, den eingeforderten Deal abzulehnen, ist Gerhard Zoubek, Gründer des Biohofs Adamah, überzeugt. Die Preise werbewirksam auf Talfahrt zu schicken, wie Spar es jüngst tat, sei ein völlig falsches Signal. Bio lasse sich nicht rein über Rabatte verkaufen.

Ausloten von Spielraum

Der Druck auf Einkaufsmanager im Handel, ihren Chefs zu berichten, wo sie neuerdings Preise reduzieren konnten, sei eben groß, ergänzt Franz Sinabell, Landwirtschaftsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. "Und wenn es klappt, sehen sie: Es gibt auch anderswo noch Spielraum."

Spar weist angedrohte Auslistungen und Preisforderungen als Unsinn zurück. "Natürlich gibt es im Sinne der Kunden harte Verhandlungen", sagt Konzernsprecherin Nicole Berkmann. Generell arbeite man aber sehr lange und intensiv mit Lieferanten zusammen. Aktionen hätten im Übrigen nichts mit preislichem Spielraum zu tun. "Aktionen dienen zur Ankurbelung des Geschäfts und sind im Lebensmittelhandel unbedingt notwendig. Die Kunden erwarten das auch. Und man erreicht dadurch auch neue Kundenschichten." Die Kosten der Rabatte teilten sich Hersteller und Handel, betont Berkmann. Quer durchs gesamte Sortiment liegt der Aktionsanteil österreichischer Supermärkte bei 30 Prozent.

Spar steht wie andere Händler unter Beobachtung der Wettbewerbshüter. Diese versuchen sich derzeit gegen den Willen der Supermärkte an einem sogenannten Code of Conduct: Benimmregeln, die unlautere und unfaire Geschäftspraktiken eindämmen sollen. Und derer gibt es viele, von Vertragsauflösungen einen Tag vor Lieferung bis hin zu mannigfaltigen Pönalzahlungen.

Boom der Bioflächen

Der Grund, warum Lebensmittelketten bei Bio auf eine Preisspirale nach unten hoffen: Die Landwirtschaft hat in den vergangenen Jahren rasant auf Bio umgestellt. Seit 2014 stieg der Anteil an Bioflächen im Grünland und Ackerbau in Österreich von weniger als 18 auf mehr als 24 Prozent, rechnet Biobauer Gasselich vor.

Vor allem in Ostösterreich kamen, vielfach auf Druck der Agrana, große Produktionen hinzu. Bestehende Betriebe stockten ihre Flächen zusätzlich auf. In einzelnen Gemeinden im Marchfeld wachsen bereits auf bis zu drei Vierteln der Felder Biorohstoffe. Es sind vielfach ehemalige konventionelle Rübenbauern, die angesichts der neuen Zuckermarktordnung und verbotener Pestizide grün sehen.

Bio verspricht ihnen Förderungen und überschaubarere Risiken – sofern man das Handwerk beherrscht. "Zuckerschlecken ist die Umstellung keine", sagt Sinabell. Mehr Rohware ist zudem international im Umlauf. Der Bioboom in Spanien etwa drückt große Mengen zusätzlich ins Land. Gut zwei Millionen Hektar sind dort bereits als Biofläche zertifiziert.

Verhängnisvoller Patriotismus

Im Gegenzug steckt Österreich viel Energie in den Export. Ob Getreide, Kartoffeln oder Äpfel: Die Produktion übersteigt die heimische Nachfrage vielfach bei weitem. Doch auch wichtige Abnehmer wie Deutschland pflegen zunehmend den Konsumpatriotismus. Wer etwa keine deutschen Erdäpfel aß und lieber zu importierten Feldfrüchten griff, musste sich dort zeitweise fast Verräter nennen lassen, klagen Lieferanten. Die Folge: Österreichische Anbieter blieben auf vollen Lagern sitzen. Tonnen an Biokartoffeln mussten als konventionelle abverkauft werden.

Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Die starke Hitze dezimierte die Ernten in ganz Europa, das nahm Druck aus dem Markt, sagt Johann Ackerl, der Lebensmittelketten mit Zwiebeln, Karotten und Erdäpfeln versorgt.

Wachsender Export

Die Hoffnung der Supermärkte, bei Bio zu niedrigen Preisen auf Dauer aus dem Vollen schöpfen zu können, dürfte sich daher nicht erfüllen, glaubt Gasselich. "Wir brauchen weiterhin mehr Anbauflächen. Nutzt der Handel das aus, wird das jedoch ein Schuss ins eigene Knie." Dann werde dieser nämlich Bio importieren müssen. "Wir selbst tun alles, um Bio stärker zu exportieren."

Spar jedenfalls heftet sich auf die Fahnen, "Bioprodukten eine breite Plattform zu geben und sie quasi demokratisiert" zu haben. Tatsächlich sind die Absatzmengen auch in Bereichen hoch, wo die Preisdifferenz zum konventionellen Pendant gering ist.

Biomilch etwa kostet vielfach pro Liter nur zehn bis 20 Cent mehr als konventionelle. Bioäpfel schlagen sich pro Kilo meist mit 50 Cent mehr zu Buche. Detail am Rande: Rund ein Drittel des Preises, den Kunden dafür im Handel bezahlen, fließt hier an die Bauern zurück. Bei konventionellen Äpfeln sind es hingegen allein zwölf bis 15 Prozent, sagt Fritz Prem, Präsident des Europäischen Bioobst Forums. Denn mehr als 20 Lieferanten buhlen hier um die Gunst vier großer Handelsketten. Auf dem Biomarkt jedoch sitzen diesen bei Verhandlungen allein drei nennenswerte, gut organisierte Anbieter gegenüber.

"Bio muss leistbar sein"

Der Bioanteil an Schweine- oder Geflügelfleisch wiederum stagniert seit Jahrzehnten auf mageren ein, zwei Prozent: Bio sorgt hier aufgrund der erheblich teureren und aufwendigeren Produktion für bis zu dreifache Preise. "Bio muss leistbar bleiben", gibt der Branchenexperte Wilfried Oschischnig zu bedenken. Bio erhalte hohe Förderungen, die von der Allgemeinheit getragen werden. Daher müsse es für sie auch zugänglich sein.

Generell sei die Bereitschaft, für Bio mehr zu bezahlen, bei frischem Gemüse, Obst oder Eiern höher als bei verarbeiteten Produkten, beobachten die Geschäftsführer der Rewe-Biomarke Ja! Natürlich, Martina Hörmer und Andreas Steidl. "Die alte Daumenregel, ein Drittel höhere Preise, funktioniert nicht immer." Ein Wiesenhendl etwa sei vielen Kunden das Doppelte eines herkömmlichen Huhns wert.

Entscheidend bei den Debatten über die Preise sei auch, welche Folgekosten der Anbau konventioneller Rohstoffe nach sich ziehe, sagt Rewe-Biomanagerin Hörmer. Rechne man diese mit hinein, würden viele konventionellen Lebensmittel derzeit wohl zu günstig verkauft. (Verena Kainrath, 13.9.2018)