Die Ehe für alle zeigt, woran sich die Regierung wirklich spaltet: an gesellschaftspolitischen Fragen.

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Wahrscheinlich war es einfach nur ein Versuch, den schwelenden Regierungsstreit über den Umgang mit dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs zur Öffnung der Ehe und Partnerschaft für alle zu beenden, als Justizminister Josef Moser ankündigte, das Urteil vollständig umsetzen zu wollen. Ein Versuch deshalb, weil es gerade am Sommerende keinen Anlass gab, plötzlich das monatelange Schweigen von ÖVP und FPÖ zu brechen. Und wohl ein nicht ganz abgesprochener Versuch, wenn man das betretene Schweigen am Tag danach betrachtet. Aus den Klubs der Regierungsparteien gab es keinen Kommentar und schon gar keine sichtbare Unterstützung, nur der Regierungssprecher ließ ausrichten, dass noch verschiedene Optionen geprüft werden.

"Der Wille, Kinder zu zeugen"

Das war nur der erste Akt eines Schauspiels, das die Medien seit Wochen beschäftigt. Das Erstaunliche daran ist wohl, dass die sonst so organisierte und professionell kommunizierende Regierung plötzlich beginnt, sich Meinungen über Medien auszurichten. Zwar sind Minister, die von den eigenen Kollegen öffentlich sabotiert werden, in Österreich nichts Neues – das kennen wir ja bestens aus den Zeiten von Schwarz-Blau I –, aber im Kabinett Kurz war bisher peinlichst auf die einheitliche Kommunikation geachtet worden. So ganz scheint das diesmal nicht zu klappen.

Dem Schweigen auf Mosers Vorstoß folgten Widerstand aus katholischen Verbänden und eine Erklärung des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache, der zuerst mit der Kirche über das Thema reden will – über die staatliche, nicht die kirchliche Ehe, um genau zu sein. Der Kanzler erklärte daraufhin im ORF-"Sommergespräch", dass das VfGH-Urteil anzuerkennen sei. Den dritten Akt des türkis-blauen Dramas dominieren jetzt wieder die Freiheitlichen, die mit dem Wunsch aufhorchen lassen, trotz des Urteils nach Wegen zu suchen, um die Ehe und vor allem "den klaren Willen, Kinder zu zeugen", zu privilegieren.

Keine neue Debatte

Die "Ehe für alle" ist für Österreich keine neue Debatte, es wird auf der politischen Bühne seit Jahren darüber diskutiert. SPÖ, Neos und Grüne waren stets dafür, die Umsetzung scheiterte aber an der Koalitionsräson. Die FPÖ blieb in der Debatte stets bei ihrem Bild der klassischen Kernfamilie, die gefördert werden müsse. Dass gesellschaftliche Realitäten wie Patchworkfamilien, Alleinerziehende oder gar Regenbogenfamilien im freiheitlichen Weltbild noch nicht angekommen sind, hat wohl niemanden wirklich überrascht. Ganz zu schweigen vom Ziel, alle Familienformen bestmöglich abzusichern und zu unterstützen.

Die ÖVP blieb in der ganzen Frage, trotz manchen internen Widerstands, beim klassischen Dreipunkteplan: Erstens wollen viele ihrer urbanen Wähler keine Diskriminierung. Zweitens wird angenommen (sic!), dass manche Konservative auch keine gleichen Rechte für gleichgeschlechtliche Paare wollen. Warum also, drittens, die Diskussion überhaupt erst beginnen? Es kann ja auch jemand anders entscheiden, zum Beispiel der VfGH. Dieses Beharren wurde besonders deutlich, als die ÖVP sich Mitte 2017 – zum Startschuss der "neuen Volkspartei" und während in Deutschland Parteifreundin Merkel das Thema innerhalb weniger Tage abwickelte – nicht traute, die Frage ein für alle Mal zu klären.

Nur nicht streiten

Jetzt, mehr als 280 Tage nach dem VfGH-Entscheid, kommt plötzlich wieder Leben in die Diskussion – und vor allem in die Debatte zwischen ÖVP und FPÖ. Und während es den Anschein erweckt, als wolle die ÖVP abblocken und die Zeit bis zum 1. Jänner 2019 einfach aussitzen, so ist die FPÖ plötzlich erstaunlich mutig. Zwar wird der Kanzlerpartei nicht direkt widersprochen, aber eine abgestimmte Kommunikation sieht anders aus. Spannend daran ist besonders der Vergleich zu anderen, brennenderen Themen der letzten Monate, dem Zwölfstundentag oder der Lehrlingsdebatte. Das Motto: ja kein Streit, ja nicht zulassen, das etwas vom geplanten Themensetting ablenken könnte. Und plötzlich, bei einem Thema, das vom Höchstgericht glasklar entschieden wurde, gibt's Konflikt.

Das stellt vor allem den unbedingten Machtwillen der ÖVP auf eine Probe: Das Kurz'sche Credo "Nur nicht anecken, nur niemanden vergraulen" wird hart getestet, wenn der Koalitionspartner einfach nicht Ruhe geben will.

Demokratiepolitisch bedenklich

Rufen wir uns den Entscheid der Verfassungsrichter in Erinnerung: "Die Unterscheidung in Ehe und eingetragene Partnerschaft lässt sich heute aber nicht aufrechterhalten, ohne gleichgeschlechtliche Paare zu diskriminieren." Damit wurde in Österreich entschieden, was in den meisten anderen Ländern der Welt die Politik regeln konnte: Die Ehe wurde endlich für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, und die eingetragene Partnerschaft steht künftig auch Heterosexuellen offen. Wenn nun aber eine Regierungspartei nach Wegen zu suchen scheint, Schlupflöcher im Urteil unserer Höchstrichter zu finden, dann ist das nicht nur moralisch, sondern auch demokratiepolitisch bedenklich. Es lässt tausende Familien, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, im ganzen Land weiter im Ungewissen.

Und es zeigt, woran sich diese Regierung wirklich spaltet: nicht am Umgang mit den Rechten von Arbeitnehmern, Pensionisten, Migranten oder Frauen. Sondern an (längst geklärten) gesellschaftspolitischen Fragen wie der Gleichstellung Homosexueller – die kleinere Partei ist dagegen, die größere möchte einfach nichts dazu sagen. Für ein Land wie Österreich, das lange als modernes Vorbild gefeiert wurde, ist das traurig – und vor allem ein Signal dafür, dass der Kampf um Gleichstellung für viele Gruppen in unserem Land noch lange nicht vorbei ist. (Mario Lindner, 13.9.2018)