Ein paar letzte Verhandlungsrunden mit schwarzen Landespolitikern und der Sozialversicherung wurden in den vergangenen Tagen noch gedreht. Am Freitag legt die türkis-blaue Regierung nun den Gesetzesentwurf zu ihrer Sozialversicherungsreform vor.

Die zentralen Eckpunkte stehen schon länger fest: Die neun Gebietskrankenkassen werden zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert. Eisenbahner und Beamte werden ebenso zusammengelegt wie Selbstständige und Bauern, eigenständige Träger bleiben die Pensionsversicherung und die Unfallversicherungsanstalt (siehe Grafik). In Summe gibt es künftig also fünf statt 21 Träger.

Da die Regierung offenbar Widerstand der Kassen erwartet, hat sie sich weitgehende Durchgriffsrechte gesichert. Das System wird also gröber umgebaut. Ein Überblick:

  • Dach- statt Hauptverband: Bisher war der Hauptverband der Sozialversicherungsträger zentraler Akteur. Dieser wird künftig "Dachverband" heißen und die meisten seiner Aufgaben (unter anderem Kontrolle der Vertragspartner, Rezeptgebührenbefreiung, Prävention, Vorsorge, Pflegegeld, Rehabilitation) an die ÖGK oder die PVA abtreten müssen.

    Auch der bisherige Hauptverbandschef Alexander Biach, der als Sozialpartner alter Schule und mehr schwarz als türkis gilt, wird wohl seinen Job los sein. Dachverbands-Chef kann nämlich nur einer der fünf Obleute der neuen Sozialversicherungsträger werden. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, der derzeit auch Obmann der Selbstständigenversicherung SVA ist und wegen seiner vielen Jobs zuletzt in der Kritik stand, hat schon vorsorglich wissen lassen, dass er nach der Reform den SV-Posten zurücklegen und somit in den neuen Strukturen keine Funktion übernehmen werde.

    De facto spielt der Dachverband aber künftig ohnehin keine große Rolle mehr. Für die wenigen Kompetenzen, die er behält, wird noch ein Generalsekretär gesucht. Bestellt werden kann dieser von einer Dienstgebermehrheit.

  • ÖGK: Die wesentlichen Gesundheitskompetenzen wandern zur neuen Österreichischen Gesundheitskasse, deren Sitz in Wien sein soll (eine Zeitlang wurde über eine Niederlassung in einem anderen Bundesland nachgedacht). Sie soll künftig österreichweite Rahmenverträge aushandeln. Die Mitarbeiter der Gebietskrankenkassen werden zur ÖGK transferiert. Das passiert aber de facto nur auf dem Papier, es wird auch in Zukunft in jedem Bundesland eine Landesstelle der ÖGK geben.

  • Rotationsprinzip: Geführt wird die ÖGK von einem Verwaltungsrat, der zu je 50 Prozent aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zusammengesetzt sein wird (derzeit haben die Arbeitnehmer in den GKKs die Mehrheit). Wie berichtet soll der Verwaltungsratschef rotieren. Alle sechs Monate müssen einander ein Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter abwechseln. Auch in der PVA ist ein solches Rotationsprinzip geplant. Nur in der ÖVP-dominierten AUVA wird laut Entwurf immer ein Arbeitgebervertreter an der Spitze stehen.

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Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein wollen die Reform noch heuer durch das Parlament bringen.
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  • Überleitungsgremium: Damit die Fusion, die Anfang 2020 umgesetzt sein soll, nicht von innen sabotiert oder verzögert wird, muss ein sogenannter Überleitungsausschuss eingerichtet werden, der die Zusammenlegung abwickelt. Seine Mitglieder dürfen vorher nicht in einem anderen Selbstverwaltungsgremium gesessen sein.

    Um Widerstand von (meist roten) Arbeitnehmervertretern zu unterbinden, muss der Vorsitzende von den Arbeitgebern gestellt werden. Dieses Gremium kann sämtliche Beschlüsse von den Gebietskrankenkassen an sich ziehen. Gibt es keinen Konsens, kann der Vorsitzende sich an das Sozialministerium wenden, das dann entscheidet.

    Die Bürogeschäfte dieses Gremiums werden laut Entwurf überhaupt von einem leitenden Angestellten geführt, der vom Finanz- und vom Sozialministerium bestellt wird. Das wäre also eine massive Einschränkung der Selbstverwaltung.

  • Mehr Kontrollrechte: Diese Einschränkung zeigt sich auch noch in einem anderen Punkt. Die Aufsichtsrechte des Sozialministeriums werden ausgeweitet. Als Aufsichtsbehörde kann es Themen von der Tagesordnung der Sozialversicherungsgremien nehmen, mit denen es nicht einverstanden ist, oder umgekehrt welche draufsetzen, die es für richtig hält. Gegen Beschlüsse der Sozialversicherung, die gegen den Grundsatz der "Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit" verstoßen, kann Einspruch erhoben werden.

  • Tests für Funktionäre: Für Kassenfunktionäre sind zudem neue Eignungstests geplant. Nur wer ein Jusstudium abgeschlossen hat oder bereits fünf Jahre als Geschäftsführer tätig war, muss keinen Test absolvieren.

  • Aus für Mehrfachversicherung: Bei all diesen Dingen geht es primär um machtpolitische Fragen. Eine Maßnahme betrifft aber auch unmittelbar die Versicherten. Mehrfachversicherungen – vor allem von Selbstständigen und Unselbstständigen – werden abgeschafft.

  • Innovationsfonds: Um "Gesundheitsreformprojekte" wie den Ausbau von Hausärzten und Präventionsmaßnahmen zu finanzieren, wird ein neuer Innovations- und Zielsteuerungsfonds eingerichtet. Dafür sollen 0,8 Prozent der Beitragseinnahmen aufgewendet werden. Wie es in Verhandlerkreisen heißt, bedeutet das de facto aber weniger Geld, weil der bisherige Ausgleichsfonds doppelt so hoch dotiert gewesen sei.

  • Prüfer zur Finanz: Die Sozialversicherungsprüfer sollen künftig an die Finanz übertragen werden. An der dienst- und besoldungsrechtlichen Einstufung soll sich aber nichts ändern.

Das Gesetz soll noch heuer beschlossen werden. Interessant wird, ob es ÖVP-intern noch Widerstand gibt. In den westlichen Ländern gab es zu Beginn der Reform kritische Stimmen, zuletzt wurde es aber ruhig. Nur der schwarze Tiroler Arbeiterkammerpräsident Erwin Zangerl wetterte am Donnerstag neuerlich gegen den "Anschlag auf die Bundesländer". Die Arbeiterkammer und Gebietskrankenkasse in Oberösterreich sieht in der geplanten Machtverschiebung "die größte Enteignung in der Geschichte Österreichs".

Aber auch der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, ist unzufrieden und sprach von einer "gewissen Betroffenheit" über die Reformpläne. Das Rotationsprinzip und die Schwächung des Hauptverbandes ist für ihn nicht nachvollziehbar. "Was soll das? Das würde kein Unternehmer machen, die Führung nach so kurzer Zeit auszuwechseln." Auch für die Ablöse von Biach, der aus der Wiener WKO kommt, zeigt er kein Verständnis, dieser habe seinen Job "sehr gut" gemacht. Ruck stellt die Frage, ob die türkis-blauen Pläne verfassungsrechtlich halten, ist doch die Selbstverwaltung in der Verfassung verankert.

In Sozialversicherungskreisen wird hinter vorgehaltener Hand zudem die Befürchtung geäußert, dass rasch durchgezogene Fusionen noch jahrelang zu Mehrkosten (etwa für Beratungsleistungen) führen werden, bevor es zu Einsparungen kommt. (Günther Oswald, 13.9.2018)