Die Wut vieler Amerikaner auf Banker und Wall Street war und ist groß. Am Prinzip des Kapitalismus hielten die USA fest, die Proteste sind auch am Zehnjahrestag überschaubar.

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Es ist vor allem eine Zahl, die deutlich macht, was die Finanzkrise für Amerikaner bedeutet: neun Millionen. So viele amerikanische Familien mussten im Zuge des Crashs aus ihren zwangsversteigerten Häusern oder Wohnungen ausziehen. Es handelt sich um die größte Entwurzelung von Menschen seit den 1930er-Jahren, als wegen Stürmen ruinierte Bauern aus Bundesstaaten wie Oklahoma massenhaft gen Westen zogen.

Das Platzen der Immobilienpreisblase hatte das Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen. Als die Häuserpreise nicht mehr stiegen und stiegen, konnte die Rechnung nicht mehr aufgehen. Die Annahme, dass man nichts falsch machte, wenn man ein Haus ohne einzigen Dollar an Eigenkapital gekauft hat, entpuppte sich als das, was sie von vornherein war: ein Märchen. Statt auf die Bremse zu treten, strickten die Banken kräftig mit an der großen Illusion.

Zum einen hofften sie mit windigen Subprime-Krediten viel Geld zu verdienen, oft mit Kunden, denen jegliche Erfahrung fehlte. Zum anderen hatten sie einen Dreh gefunden, das Risiko weiterzuschieben, indem sie Kredite zu Wertpapierbündeln zusammenschusterten, die man – von Ratingagenturen mit Höchstnoten bewertet – an Investoren rund um den Globus verhökerte. So kam es, dass die wacklige Hypothek auf ein Eigenheim in Las Vegas oder Tampa zu einem weltwirtschaftlichen Faktor werden konnte.

Kasino-Mentalität

Die Finanzkrise hatte viele Ursachen. Da wäre die Kasino-Mentalität der Banker. Da wäre die Gier der kleinen Leute, die auch deshalb am Glücksrad drehten, weil die Reallöhne seit Langem stagnierten und sie einen Befreiungsschlag landen wollten, was letztlich zu noch höheren privaten Schuldenbergen führte. Da wäre schließlich die Deregulierung der Finanzmärkte, unter Bill Clinton begonnen und unter George W. Bush fortgesetzt. Im Deregulierungsfieber verschwanden Barrieren, die eine Verquickung von Geschäfts- und Investmentbanken verhindert hatten, sodass das Glücksspiel erst richtig in Gang kommen konnte.

In der amerikanischen Erzählung aber ist der Absturz, der dem Kollaps von Lehman Brothers folgte, vor allem eines: ein Paradebeispiel dafür, dass der Staat Bankern, die sich verzockt haben, mit Steuergeldern aus der Patsche hilft, während er die kleinen Leute im Stich lässt.

Es ist einer der Gründe für den Aufstieg der Populisten. Ein Donald Trump wäre wohl nie im Weißen Haus eingezogen, hätte die Finanzkrise nicht zu einer anhaltenden Entfremdung breiter Wählerschichten von der politischen Klasse des Landes geführt.

Lehman-Bankrott

Nach dem Lehman-Bankrott gab der Fiskus viele Milliarden aus, um weitere Pleitekandidaten vor dem Ruin zu bewahren, die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, den Versicherungsriesen AIG, und obendrein in großem Stil Schrottpapiere aufzukaufen.

Das verstärkte ein Gefühl massiver Ungerechtigkeit. Die Elite der Politik half der Elite der Finanzwelt, Washington half der Wall Street, ohne dass auch nur ein einziger der Kasinobankiers hinter Gittern gelandet wäre.

So sah es Joe Sixpack, der Normalverbraucher mit dem Sechserpack Bier, während er den Eindruck hatte, dass man seinesgleichen seinem Schicksal überließ. Das war der Boden, auf dem Trumps populistische Saat aufgehen konnte. In jenem geografischen Fünftel der USA, in dem sich die wirtschaftliche Erholung am langsamsten vollzog, holte Trump 2016 nicht zufällig fast 60 Prozent der Stimmen.

Obamas Flop

Zurück zu den neun Millionen Zwangsversteigerungen. Ernsthafte Versuche, Leuten zu helfen, die ihre Hauskredite nicht mehr zurückzahlen konnten, hat "Uncle Sam" nie unternommen. Auch nicht unter dem Präsidenten Barack Obama, der zögerlicher agierte, als es seine Wahlkampfrhetorik vermuten ließ. Zwar rettete er mit den Autobauern General Motors und Chrysler zwei Giganten der Realwirtschaft, vor einem groß angelegten Arbeitsbeschaffungsprogramm nach dem Vorbild des "New Deal" von Franklin D. Roosevelt schreckte er jedoch zurück.

Im Tal der Rezession gingen pro Monat rund 800.000 Jobs Arbeitsplätze verloren, und noch heute erinnern sich Zeitzeugen an das Sinkfluggefühl jener Zeit. Doch das Konjunkturpaket, mit dem Obamas Regierung den tiefen Fall abzufedern versuchte, ging nicht weit genug. Die Republikaner liefen Sturm dagegen, ein überparteilicher Konsens für Wege aus der Krise war nicht zu finden.

Das alles trug mit dazu bei, die politische Spaltung noch zu vertiefen. Erst Trump, der selber zur New Yorker Wirtschaftselite gehörte, schaffte es, sich der Wut zu bedienen. Er spielte sich zum Rächer der Abgehängten, der Vergessenen auf – und punktete. (Frank Herrmann aus Washington, 15.9.2018)