Eine typische Szene auf einer Studentenparty: ein Studierender fragt den anderen was er studiert, der antwortet "Physik" und ein langes, unangenehmes Schweigen macht sich breit. Als Physikstudent ist man manchmal mit Leuten konfrontiert, die nicht verstehen, warum man sich entschieden hat, dieses Fach zu studieren. Im Gegensatz zu anderen Naturwissenschaften, wie Chemie und Biologie, ist Physik ein Fach, welches die meisten Menschen als außergewöhnlich und extrem kompliziert definieren. Ganz zu schweigen davon, dass man als Physikstudent sofort als Nerd bezeichnet wird. Die Wahrheit ist, das Physikstudium erfordert keine besonderen Fähigkeiten und es ist definitiv nicht geschlechtsspezifisch. Aus unserer Sicht sind nur Neugier und logisches Denken erforderlich, um Physik zu studieren.

Der populäre theoretische US-Physiker Michio Kaku sagte in einem Interview einmal, dass der Wunsch, ein bestimmtes wissenschaftliches Fach zu studieren, aus der Motivation entweder durch eine Person oder durch ein bestimmtes Ereignis im Alter zwischen zehn bis vierzehn Jahren kommt. Für uns beide war das genau der Fall. Freilich ist dies nicht die Regel. 

Andrea: Der richtige Physiklehrer

Die meisten Leute glauben, dass ich Physik studiert habe, weil mein Vater Physiker ist. Nun, das ist definitiv nicht der Grund. Vielleicht spielte die Tatsache, dass ich als vierjähriges Kind einige Monate außerhalb der Labore des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart umherspielte, eine unterbewusste Rolle, aber die Person, die mich zum Physikstudium ermutigte, war mein Physiklehrer in der siebten Klasse. Er erklärte die Physik auf höchst interessante Art und begann den ersten Schultag mit den Worten: "Physik ist überall". Und das, glaube ich, ist wahr. Was auch immer wir tun, lässt sich durch die Physik erklären: jede Bewegung, die wir machen, alles was wir sehen, und sogar unsere bloße Existenz. Aber lasst uns nicht philosophisch werden. Was ich an meinem Physiklehrer mochte, war, dass er jedes physikalische Gesetz nicht als eine Formel, sondern als eine logische Konsequenz erklärte.

Einmal gab er uns eine kleine Platine, eine Glühbirne und zwei Schalter. Die Aufgabe bestand darin, den Stromkreis eines Schlafzimmers nachzuahmen, in dem man einen Lichtschalter am Eingang und einen neben dem Bett hat. Die Glühbirne sollte mit einem Schalter eingeschaltet und mit dem anderen ausgeschaltet werden. Eine einfache Aufgabe, die nur gelöst werden kann, wenn man logisch denkt. Ich fand diese Aufgabe faszinierend, weil sie so einfach war und mit unserem täglichen Leben zu tun hatte. Natürlich kann man argumentieren, dass dies mehr mit Elektronik als mit Physik zu tun hat, aber die Hauptbotschaft ist die Lösung eines logischen Problems. Als Hausaufgabe ließ er uns oft einfache Aufgaben aus dem Computerspiel "The Incredible Machine - TIM" lösen. Das aufregende am Spiel ist es, dass nicht nur die physikalischen Wechselwirkungen zwischen Objekten simuliert werden, sondern auch Umgebungseffekte wie variierender Luftdruck und Schwerkraft, so dass eine Lösung nicht nur logisches Denken, sondern auch Grundkenntnisse der Physik erfordert. In dem Jahr, und mit nur 13 Jahren, entschied ich, dass ich Physikerin werden wollte. Und obwohl die Forschung, mit der ich mich zur Zeit beschäftige, weit davon entfernt ist, alltägliche Probleme zu lösen, muss ich sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, etwas anderes zu tun.

Physik in Büchern
Foto: Navarro-Quezada/Adhikari

Rajdeep: Hiroshima und die Atombombe

Ich bin in einem kleinen Dorf im Osten Indiens, in der Nähe der Stadt Kolkata (Kalkutta, wie es damals hieß) aufgewachsen. Als kleines Kind wollte ich Lokomotivfahrer werden. Bis zu einem regnerischen Nachmittag, als ich zehn Jahre alt war, und eine Zeitschrift in die Hand bekam. Unter vielen Kurzgeschichten gab es einen kleinen Artikel über Hiroshima und die Atombombe. Ich verstand nicht viel von dem, was da stand, aber das Foto der Pilzwolke einer Atombombe erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich fragte mich, wie groß dieser "Feuerkracher" sein sollte und wie um alles in der Welt es funktionierte. Innerhalb von ein oder zwei Tagen tauchten weitere interessante Fragen auf. Zu dieser Zeit gab es weder Internet noch Google. Also habe ich es gewagt, meinen Lehrer im naturwissenschaftlichen Unterricht zu fragen: Wie hört sich die Explosion einer Atombombe an? Mein Schullehrer, der dachte, dass dies nicht die Art von Frage sei, die ein Schüler der Mittelschule im ersten Jahr stellen sollte, gab mir keine Antwort. Stattdessen wurde ich gebeten, im Unterricht aufmerksam zu sein. Ich kam nach Hause, darauf erpicht meine Antworten zu bekommen, also fragte ich meinen Vater, der Sprachlehrer war, die gleiche Frage. Er versprach mir, die richtige Person zu finden, die mir alles über die Atomwaffe erzählen würde.

Wenige Tage später brachte er seinen jungen Kollegen, den neuen Physiklehrer an seiner Schule, nach Hause. Der junge Lehrer fragte mich, was ich wissen wollte. Ich antwortete voller Enthusiasmus: "Alles über die Atombombe." Ich hörte ihm für die nächsten zwei Stunden aufmerksam zu, als er mir alles über das Atom erklärte: Lord Rutherford, Lise Meitner, Otto Hahn, das Manhattan-Projekt, Fat Boy und natürlich Einstein und seine berühmte Gleichung E = mc2. An diesem Tag wusste ich, dass ich Physik studieren und Kernphysiker werden wollte.

Als ich an die Universität kam, war Physik für mich mehr als nur ein Studienfach. Es wurde langsam zu meiner Leidenschaft. Während meiner Promotion war die Kernphysik für mich nicht mehr interessant, und so wurde ich experimenteller Physiker auf dem Gebiet der kondensierten Materie, spezialisiert auf Spintronik und Magnetismus. Jahre sind seit diesem regnerischen Nachmittag vergangen, aber dieses eine Bild und die vielen Fragen, die folgten, helfen mir immer wieder, mir neue Fragen zu stellen und nach möglichen Antworten zu suchen. Physik ist für mich philosophisch, spirituell, romantisch und manchmal erotisch.

Das Physikstudium

Wir sagten eingangs, dass keine besonderen Fähigkeiten erforderlich seien, um Physik zu studieren. Jedoch muss man daran denken, dass die repräsentative Sprache der Physik die Mathematik ist. Es ist also von Vorteil, keine Angst vor Mathematik zu haben. Nicht alle Physiker sind Experten für Mathematik, aber Grundkenntnisse und logisches Denken sind unbedingt erforderlich! Das Studium der Physik gliedert sich in zwei Hauptrichtungen: Theoretische und Angewandte Physik. Besonders aufregend ist, dass die Physik mit anderen Naturwissenschaften kombiniert werden kann. Zum Beispiel gibt es Biophysik, wo man die Physik hinter biologischen Phänomenen studiert, wie die Lichtadsorption von Enzymen und DNA. Ziel der Medizinphysik hingegen ist es, physikalische Fragen zu verstehen, die in der Medizin entstehen, wie Strahlenschutz und Forensik. Und natürlich gibt es physikalische Chemie oder chemische Physik. Dieser Zweig beschäftigt sich mit allen Phänomenen, die an der Grenze zwischen den beiden Wissenschaften liegen, das heißt man studiert die Physik chemischer Phänomene und umgekehrt.

Das Bachelor-Studium zielt in erster Linie darauf ab, den Studierenden die technischen Fähigkeiten zu vermitteln, die zum Verständnis eines physikalisches Problems erforderlich sind, indem theoretische und praktische Kurse kombiniert werden. Der Bachelor-Abschluss in Physik dauert offiziell sechs Semester. Es folgt ein viersemestriges Masterstudium. Also sind mindestens fünf Jahre erforderlich, um eine Karriere in der Physik zu starten - sei es als Lehrer, Wissenschaftler an der Universität oder Industrie, oder als Ingenieur. Für den höchsten akademischen Grad als Universitätsprofessor braucht man mindestens noch sechs bis zehn Jahre. Während des Master-Studiums spezialisiert man auf ein bestimmtes Fach, zum Beispiel: Nanowissenschaften, Kernphysik, Technische Physik, Medizinphysik, etc. Nach dem Masterabschluss kann man sofort einen Job suchen. Für den Fall, dass eine akademische Laufbahn in Betracht gezogen wird, ist ein Doktoratstudium erforderlich.

Wo kann man mit einem Physik-Abschluss arbeiten?

Wie schon in unserem ersten Blogbeitrag erwähnt, kann man als Physiker fast überall arbeiten, wie auch die vielen Postings im Forum gezeigt haben. Während wir beide im akademischen Bereich arbeiten, kennen wir viele Kollegen, die sich entschieden haben, in der Industrie zu arbeiten. In der Tat haben alle Studenten, die vor kurzem ihr Studium beendet haben – sei es Master- oder Doktorstudenten – sofort einen Job in der Privatwirtschaft gefunden. Der größte Vorteil ist, dass man mit einem Abschluss in Physik die technischen und logischen Fähigkeiten bekommt, die für fast jeden Job benötigt werden: Qualitätsmanagement, Prozessentwicklung, Forschung und Entwicklung, Verfahrenstechnik, Patentämter, und so weiter.

Eine befreundete Physikerin, die für eine Firma arbeitet, die auf dem Gebiet der Oberflächenforschung für Industriepartner forscht, hat einmal erzählt, dass sie die Rauheit von Badezimmerfliesen mittels optischer Spektroskopie untersucht hat. Das Ziel bestand darin, zu verstehen, welche der verschiedenen Beschichtungen auf den Fliesen im Nanometerbereich (1 Nanometer = 0,0000001 cm) rau genug war, um zu verhindern, dass Menschen auf den nassen Fliesen ausrutschen. Man sieht also: Physik ist überall. Man muss nur die Augen offen halten und die Neugier am Leben erhalten. Ein Zeitungsartikel, ein Bild, ein Dokumentarfilm oder ein Film warten darauf, euer Interesse, eure Neugier und eure Leidenschaft für das Thema zu wecken, das alles erklärt: beginnend mit dem Urknall, vom Nukleus bis zu den Galaxien, von Rollschuhen bis hin zu Computern. Das ist Physik. (Andrea Navarro-Quezada, Rajdeep Adhikari, 20.9.2018)