"Ich musste mich damit arrangieren, dass meine chinesischen Kollegen beim Arbeiten sich sehr auf ihre Aufgabe fokussieren und weniger in Teams arbeiten. Auch was Kritik und Pünktlichkeit angeht, haben Chinesen einen anderen Standard als wir", sagt Alexander Charlos.

Foto: Peek & Cloppenburg

"Mode war immer schon meins. Sie ist für mich Ausdruck meiner Kreativität, ich kann mich durch Kleidung neu erfinden. Die Kreativität wollte ich auch im Beruf ausleben. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium begann ich 2012 ein duales Studium in Business Administration bei Peek & Cloppenburg in Wien.

Ich arbeitete Vollzeit – zuerst als Verkäufer, dann als stellvertretender Leiter in unterschiedlichen Shop-Abteilungen – und wurde phasenweise für das Studium, das damals noch in Graz stattfand, freigestellt. Das ist eine Kooperation der FOM, der Hochschule für Ökonomie und Management; in München und der Karl-Franzens-Universität in Graz.

Nach dem Abschluss übernahm ich die Leitung der sogenannten Herrenboutique, der jungen Mode, bei Peek & Cloppenburg im ersten Bezirk in Wien. Mit Anfang 20 Chef zu sein ist nicht einfach, besonders wenn man ältere und erfahrenere Kollegen hat. Da musste ich lernen, meine Mitarbeiter nicht zu kumpelhaft zu führen. Dafür unterstützten mich meine Kollegen und Vorgesetzte, wenn ich mich mal nicht auskannte.

Zweieinhalb Jahre später wurden mir und ein paar anderen aus dem Führungsstamm angeboten, ein halbes Jahr in Hongkong bei unserem Beschaffungsbüro im Rahmen eines Praktikums zu arbeiten. Ich bewarb mich und wurde genommen. Vorbereitet habe ich mich kaum, auch keinen Chinesischkurs gemacht, sondern ich ließ es auf mich zukommen. Ich dachte mir, dass das andere auch schon geschafft haben, und machte mir mehr Gedanken, was man für ein halbes Jahr einpackt. Dadurch, dass Hongkong eine britische Kolonie war, sprechen viele relativ gut Englisch. Ist man in Vierteln mit vielen Einheimischen unterwegs, ist man allerdings aufgeschmissen, wenn man niemanden mithat, der Chinesisch spricht.

Entscheidungen treffen

Im Büro sprachen wir Englisch. Ich arbeitete im sogenannten Merchandising-Team, in der Warenbeschaffung. Wir waren dafür zuständig, dass die Ware, die in Düsseldorf designt wurde, hergestellt und geliefert wird. Während der Zeit produzierten wir die Outdoor-Kollektion der P&C-Marke Review. Ich war verantwortlich für die Produktion von Teddyfell-Jacken, Wollmänteln und Windbreakern, die im kommenden Jahr in unseren Geschäften hängen werden. Manchmal traf ich auch Entscheidungen, wenn wir aufgrund der sechsstündigen Zeitverschiebung niemanden in Deutschland erreichten. Zudem musste ich darauf achten, dass alle Termine und Qualitätsstandards eingehalten werden – etwa, ob ein Mantel ordentlich genäht wurde.

Im Zuge dessen war ich auch in unseren Produktionsstätten in Shenzhen, Hangzhou und Schanghai. Ich hatte mir die Fabriken schlimmer vorgestellt: Wir haben ausschließlich lizenzierte Produzenten, es gilt die EU-Vorschrift für ausländische Firmen, die Arbeitszeiten werden erfasst, und es entspricht alles den Sicherheitsvorschriften. Auch wenn es natürlich eine Fabrik bleibt – es ist laut, und in der Wäscherei riecht es etwas unangenehm.

Andere Standards als wir

Anders als in Wien, wo ich ständig auf den Beinen bin, saß ich in Hongkong fast nur am Schreibtisch. Das war ungewohnt. Auch musste ich mich damit arrangieren, dass meine chinesischen Kollegen beim Arbeiten sich sehr auf ihre Aufgabe fokussieren und weniger in Teams arbeiten. Gerade am Anfang war es daher schwierig für mich, in die Arbeit reinzukommen. Auch was Kritik und Pünktlichkeit angeht, haben Chinesen einen anderen Standard als wir. Dafür haben sie hohen Arbeitseifer, viele profilieren sich über ihre Arbeit. Und weil es eine hohe Fluktuation von Expats gibt, waren sie mir gegenüber sehr offen.

Das merkte ich auch auf der Straße. Sobald ich an einer Ecke stand und nach dem Weg suchte, baten mir Passanten ihre Hilfe an. Das hatte ich mir von einer Stadt mit über acht Millionen Einwohnern nicht erwartet, zumal es auf den Straßen ein ständiges Gedränge ist. Weil die Wohnungen so klein sind, verlagert sich das Leben hinaus. Der Durchschnittshongkonger hat eine circa zehn bis zwölf Quadratmeter große Wohnung – ich lebte dagegen mit meinen 28 Quadratmetern im Luxus. Erst da habe ich den Platz, die Ruhe, die saubere Luft in Wien zu schätzen gelernt.

Wissen, wie viel eine Naht kostet

Auslandserfahrung ist nicht nur wichtig, um neue Kulturen kennenzulernen und sich selbst weiterzuentwickeln. Sondern auch – gerade wenn man in der Wirtschaft tätig ist -, um internationale Kontakte zu knüpfen und zu sehen, wie andere Märkte funktionieren. So konnte ich einiges für meine derzeitige Position als Abteilungsleiter und meine spätere Karriere mitnehmen.

Zum Beispiel, worauf in der Produktion geachtet werden muss, wo man Geld einspart, wie viel ein Knopf und eine Naht kosten und wie lange welche Prozesse dauern. Früher habe ich häufig die Nachproduktion eines T-Shirts beauftragt. Als mein Einkäufer dann meinte, dass das ein bis drei Monate dauert, dachte ich mir nur: 'Warum geht das nicht sofort?' Jetzt verstehe ich, dass das nicht in zwei Tagen hier sein kann: Die Produktion ist fast 10.000 Kilometer entfernt, und allein die Lieferung mit dem Schiff dauert einen Monat. Diese Dimensionen hat man gar nicht vor Augen, wenn man nur seine Verkaufsfläche betreut.

Künftig möchte ich in den Einkauf: als Retail Buyer. Bis dahin leite ich meine Abteilung, mache Kennzahlen-Reportings, baue die Ware auf und berate täglich Kunden. So erfahre ich, welche Trends angesagt sind oder welche Teile wir nachbestellen müssen. Ich schätze den Kundenkontakt, Leuten zu sagen, dass der Anzug besser sitzt als der andere. Dieser Service ist unsere Stärke in Zeiten des Onlinehandels." (Protokoll: Selina Thaler, 18.9.2018)