Unter Jugendlichen gelten Sneaker als offiziell anerkannte Währung. Mit den richtigen Turnschuhen erntet man bewundernde Blicke auf dem Pausenhof und steigert seinen persönlichen Marktwert. Zum Leid der Eltern kosten angesagte Sneaker schon einmal 200 Euro aufwärts.

Aber dem nicht genug: Sie sind auch verdammt schwer zu kriegen. Labels betreiben einen wahren Hype um ihre Treter, der Trick ist simpel, aber effektiv: Je weniger es gibt, desto gefragter sind sie. Künstliche Verknappung, Kooperationen mit Stars und massive Präsenz in den sozialen Medien sorgen dafür, dass Kids nächtelang vor Läden anstehen. Oft auch, um ein gutes Geschäft zu machen: Ein Kultschuh kann um ein Vielfaches seines Kaufwerts wieder veräußert werden.

Objekt der Begierde: der Yeezy Boost 700.
Foto: Hersteller

Ich beschließe, einen Selbstversuch zu wagen: Am Samstag, dem 15. September, kommt der Yeezy Boost 700, genannt Wave Runner in Solid Grey, erstmals in Europa auf den Markt, der Schuh des US-Rappers Kanye West war zuvor nur in Amerika erhältlich. Zwei Shops werden ihn in Wien anbieten, Solebox und The 6th Floor im Steffl. Auf der amerikanische Sneaker-Börse StockX, die anzeigt, um welchen Preis Turnschuhe gerade gehandelt werden, notiert er zwischen 424 und 999 US-Dollar, in Wien wird er 300 Euro kosten. Werde ich den Schuh bekommen? Vielleicht sogar etwas verdienen, wenn ich ihn weiterverkaufe?

Hype um den Yeezy

Ich frage Experten. Florian Kampelmühler ist für den Turnschuh-Einkauf im Steffl zuständig. "Der ärgste Hype um Yeezy ist vorbei", sagt er. "Die Schuhe wurden zu oft gefälscht, die Jugendlichen verlieren ihre Freude daran." Als 2015 der Adidas Yeezy 750 Boost Light Brown auf den Markt kam, übernachteten die Kids auf der Straße, wer einen ergatterte, konnte ihn locker um einen Gewinn von 700 Euro weiterverkaufen.

Die Klientel wäre in den letzten Jahren immer jünger geworden, mittlerweile sind es die Zwölf- bis Siebzehnjährigen, die mit den Sneakern dealen. Jonathan James Cimbo vom Shop Solebox bestätigt das: "Ein Großteil der Jugendlichen verkauft weiter, die wollen nur Profit." In Sachen Sneaker sei Wien eine Hype-Stadt: "Es entwickelt sich wenig eigener Stil, die Leute tragen, was angesagt ist. Das Label Off-White hat Yeezy an Beliebtheit abgelöst."

Damit nicht dauernd Leute vor den Shops rumlungern, wurden sogenannte Raffles, also Ziehungen per Los, eingeführt. Wer gewinnt, hat das Recht auf ein Paar. Ich beteilige mich an fünf Online-Raffles, bei einem muss ich sogar meine Kreditkartendaten angeben. Falls ich gewinne, wird das Geld automatisch eingezogen. Zurücktreten kann ich nicht mehr.

Es ist eine Geheimwissenschaft, mitzubekommen, wann und wo man sich überhaupt anmelden kann. Drei Tage vor dem Release bietet auch The 6th Floor einen Raffle an. Um 11.52 Uhr geht die Meldung auf Facebook online, ich trage mich um 11.57 Uhr ein und bekomme die Nummer 195. Wow, die Konkurrenz schläft nicht. Die Shops hüten zwar das Geheimnis, wie viele Schuhe sie bekommen, Insider gehen bei Yeezy von 100 Paar pro Shop aus.

Die Yeezy-Dichte steigt

Bei Solebox muss man persönlich vorbeischauen, um sich anzumelden, und unbedingt den Pass mitnehmen. Am Donnerstag gegen 15 Uhr wird der Laden voll, die Yeezy-Dichte an den Füßen steigt. Man zeigt, was man hat: Gucci-Sneaker und sogar den extrem gefragten Off-White x Jordan 1 UNC Blue von Virgil Abloh, dem neuen Pop-Gott unter den Designern (im Resell kostet der Schuh schlappe 1000 Euro).

Foto: Karin Cerny

Ich fühle mich ein bisschen wie früher im Plattenladen: ein Mädchen unter Jungs, die fachsimpeln und angeben. "Dabei hat sich in den letzten Jahren viel verändert", erzählt mir Kettie Ari, die bei Solebox arbeitet und selbst Sneaker sammelt. "Früher begannen angesagte Paare erst ab Größe 41. Der Trend zum Unisex-Sneaker macht es für Frauen einfacher."

Im Laden sind trotzdem vor allem junge Männer. Kurt ist mit 28 einer der Ältesten, er möchte den Schuh für sich und ärgert sich, dass viele damit nur Kohle machen wollen. "Da kommt Hype-Bennie, mit dem musst du reden", sagt Kettie. Bennie ist 14, trägt den Yeezy Boost 350 v2 Zebra und hat schon rund 2.500 Euro mit Sneakern verdient. In seiner Schule tragen alle Rolex und Gucci, erzählt er.

Sammelobjekt Sneaker

Wann hat das eigentlich begonnen, dass Sneaker Sammelobjekte und Statussymbole wurden? 1984 bringt Nike den Air Jordan I auf den Markt, 1986 rappen Run-DMC in ihrem Song "My Adidas" über ihre Turnschuhe, die aus der gefährlichen Bronx in den Mainstream geschwappt waren.

Popkultur wird ein zentraler Katalysator für Mode. Dabei waren Sneakerheads, also leidenschaftliche Sammler, früher deutlich älter. "Es ging um Qualität und Modelle, über die man redete, nicht um Verkaufbarkeit", sagt Stefan, eine Art lebendes Sneaker-Lexikon. Der 14-jährige Bennie hängt an seinen Lippen. Man merkt schon: Die Jungen wollen nicht nur Geld verdienen, sondern auch Experten werden.

Foto: Karin Cerny

"Gewinner werden am nächsten Tag ab 12 Uhr angerufen", heißt es nach meiner Anmeldung bei Solebox. "Wer nicht abhebt, fliegt raus. Zweite Chance gibt es keine." Ich nehme also am Freitag das Handy mit aufs Klo, benutze wegen Funklochgefahr lieber nicht den Lift. Um 13.57 Uhr bekomme ich einen Anruf: Ich kann meine Schuhe morgen abholen. Ich bin aufgekratzt und juble – meine Bürokollegen schauen befremdet.

Final Day: Kurz vor 10 Uhr steht ein Grüppchen junger Männer vor dem Shop. Bewundernde Blicke auf die Füße: Ein besonders cooler Asiate hat seine Yeezys zerschnitten, Sandalen aus ihnen gemacht. Es wird viel getuschelt, die Reseller sind unsicher, was der Schuh bringen wird. "Im Internet steht, er ist nichts wert", sagt Amoh, der überzeugt ist, trotzdem 200 Euro Gewinn zu machen. Simon, 13, ist mit dem Tretroller da. Er hat den Wave Runner einem Klassenkollegen versprochen und wird 100 Euro an ihm verdienen. Mir werden vor dem Shop für mein Modell 50 Euro mehr angeboten.

Foto: karin cerny

Ein chinesischer Reseller wartet mit einem riesigen Koffer, der dann direkt nach China geht: "Ich kann leider nur 20 Euro über Verkaufspreis zahlen, der Schuh bringt in China nur 350 Euro", sagt er. Der Markt sei übersättigt, immer mehr Hype-Sneaker kommen in kürzester Zeit heraus.

Im Steffl spricht mich Julius an und lädt mich zum Sneaker-Stammtisch Wien ein. Der Yeezy interessiert ihn nicht. Er findet, es sollte nicht ums Geschäftemachen gehen, sondern darum, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ich beschließe, meinen Wave Runner zu behalten und mich ganz kindisch über die bewundernden Blicke in der U-Bahn zu freuen.

Falls ich ihn später verkaufen möchte, habe ich jetzt Kontakte. Ich habe zwar viel Zeit investiert, aber auch viel gelernt. Die Jagd nach Sneakern ist ein Abenteuer, das Adrenalin geht hoch, selbst wenn es absurd ist, sich für Schuhe so ins Zeug zu legen. Beim nächsten Raffle bin ich trotzdem wieder dabei. Auch, weil ich das Sneaker-Business nicht den Jungs überlassen möchte. (Karin Cerny, RONDO, 21.9.2018)

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