Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week, die am Freitag in die zwölfte Runde startet.

Foto: Nathan Murrell

Lilli Hollein kommt einige Minuten zu spät zum Gespräch ins Büro der Vienna Design Week an der Rechten Wienzeile. Angesichts ihres derzeitigen Terminkalenders hätte man ihr auch ein paar Minuten mehr verziehen. Während sich die Autos unter dem offenen Fenster den Naschmarkt entlangstauen, freut sie sich auf einen Kaffee und nimmt im Besprechungszimmer des Büros Platz. An der Wand hängen ein Stadtplan sowie unzählige Post-its in verschiedensten Farben, die Ordnung in das Wirrwarr von 150 Veranstaltungen während der Design Week ab Freitag bringen sollen.

STANDARD: In einer Woche geht's los mit dem Rambazamba der Design Week an etlichen Orten in Wien. Haben Sie schon Blasenpflaster besorgt?

Lilli Hollein: Nein, denn ich trainiere monatelang auf diesen Marathon hin.

STANDARD: Und wie schaut es mit dem bevorstehenden Schlafdefizit aus?

Hollein: Da habe ich kein Problem. Klar ist das Programm erschöpfend, aber ich finde es super. Außerdem gibt es so etwas wie Festival-Adrenalin.

STANDARD: Die Nanny wird auch Überstunden machen.

Hollein: Sagen wir es so: Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er viel abfedert. Es gibt überhaupt ein tolles Netzwerk, das sich quasi mit mir auf die Design Week und so manche Nachtschicht vorbereitet. Und das ganz ohne Protest.

STANDARD: Gutes Stichwort: Ein Bereich, dem sich die Design Week heuer widmet, lautet Protest. Wie kann Design protestieren?

Hollein: Design kann ein Werkzeug zum Sichtbarmachen von Protest sein, vom klassisch analogen Plakat bis hin zu digitalen Strategien. Der Designbereich ist in den vergangenen zehn Jahren wichtiger geworden, weil auch mehr protestiert wird.

STANDARD: Inwiefern?

Hollein: Designer haben zunehmend erkannt, dass sie am Beginn einer Konzeptionskette stehen. Sie können durch verschiedene Werkzeuge ihre Anliegen sichtbar machen. Dazu gehört auch Überzeugungsarbeit gegenüber Unternehmern und Produzenten. Gelingt diese, kann man gegen Überfluss, falschen Umgang mit Ressourcen etc. protestieren.

STANDARD: Also ein ökologisches Thema?

Hollein: Ja, aber auch ein soziales. Es geht um eine Bewusstseinsschaffung. Das betrifft zum Beispiel das Hinterfragen von Trendzyklen, wie sie in der Mode vorherrschen, wo ständig neue Begehrlichkeiten entwickelt werden. Auch hier ist die Kommunikation mit Designern gefragt.

STANDARD: Ein Kollege von der "Süddeutschen Zeitung" hat Sie als geniale Kommunikatorin bezeichnet ...

Hollein: ... an dem Abend habe ich wohl etwas richtig gemacht.

STANDARD: Hilft diese Eigenschaft beim Protestieren?

Hollein: Protest bedeutet Artikulation und somit Kommunikation. Kommunikation bedeutet auch eine Art von Aufstehen und Sagen, was man denkt. Manchmal macht man sich das Leben auch schwerer, wenn man kommuniziert (lacht). Da steht man halt hin und wieder als Hantige da, aber damit kann ich leben.

STANDARD: Es gibt Menschen, die behaupten, Sie wollten sich die heimische Designszene krallen und es gebe in Sachen Design kaum ein Vorbeikommen an Ihnen.

Hollein: Ich tu mir jetzt gerade schwer mit dem Begriff "krallen". Ich stelle immer wieder erstaunt fest, dass es nicht wirklich viel Konkurrenz gibt. Mein keineswegs luxuriöser Job ist ein vehementes Engagement für eine Szene. Es gibt viele Leute, die mir dankbar sind. Dass auch solche existieren, die einen infrage stellen, weiß jeder, der sich in eine etwas exponiertere Rolle begibt. Damit muss man leben. Klar kann man auch aus dem Hintergrund etwas bewegen, aber wenn es darum geht, Bewusstsein für eine Entwicklung zu schaffen, muss man ein Stück weit heraustreten. Aber glauben Sie mir, ich exponiere mich mehr, als es mir persönlich Spaß macht. Ich habe durchaus meine introvertierten Seiten.

STANDARD: Das glaube ich.

Hollein: Ehrlich? Endlich jemand, der mir das glaubt (lacht).

STANDARD: Es gibt auch Menschen, die sagen, die Design Week köchle zu sehr in ihrem eigenen Süppchen und erreiche eine breite Öffentlichkeit eher weniger.

Hollein: Das würde ich so nicht sagen. Wir bekommen durchaus beeindruckendes Feedback von Menschen, die in die Design Week mehr oder weniger hineingestolpert sind. Es gibt sehr wohl viele "Normalos", die nicht aus dem Designbereich kommen und über unser Festival den Einstieg in dieses Gefilde geschafft haben. Gott sei Dank, das ist immer ein erklärtes Ziel von uns gewesen.

STANDARD: Deshalb wechseln Sie auch jährlich den sogenannten Fokusbezirk?

Hollein: Ja, natürlich. Und das ist ein Riesenaufwand. Hätte ich das Festival seit zwölf Jahren in derselben Messehalle untergebracht, würden gut 70 bis 80 Prozent der Gründe verlorengehen, warum ich tue, was ich tue. Mir geht es um Verbindungen und die Aktivierung der internationalen und lokalen Besucher. Heuer steht übrigens der siebente Bezirk im Fokus.

STANDARD: Verstehen Sie sich eigentlich auch als Besucherin?

Hollein: Klar, und durch die jährlichen Wechsel habe auch ich einen Riesenspaß, ständig Neues zu entdecken in einer Stadt, die man nur vermeintlich so gut kennt.

STANDARD: Der Designdoyen Rolf Fehlbaum von Vitra sagt, Design sei eine junge, vitale Disziplin, die sich selbst durchsetzen müsse.

Hollein: Tut sie ja auch, oder? Was meint er genau damit?

STANDARD: Nun, zum Beispiel, dass er nichts von irgendwelchen Designkursen an Schulen hält.

Hollein: Ich finde es zunehmend schwierig, mit dem Schlagwort Design etwas zu diskutieren. Unter dem Mantel dieses Begriffes steckt unglaublich viel. Menschen, die Social-Design-Projekte umsetzen, sind an manchen Stellen sehr weit vom klassischen Produktdesigner entfernt.

STANDARD: Aber das macht es doch umso notwendiger, Dinge zu erklären, oder? Bei manchen fängt das Wissen um Design bei Philippe Starck an, hört bei ihm aber auch schon wieder auf.

Hollein: Das ist ja eh schon viel.

STANDARD: Finden Sie?

Hollein: Nach zwölf Jahren Design Week kann ich ganz ohne Bitterkeit sagen, dass den Menschen die Namen von Designern kaum vertraut sind. Wenn Sie Menschen nach zehn Künstlern fragen, wird Ihnen der eine oder andere genannt werden. Beim Design schaut es da viel schlechter aus.

STANDARD: Wenn Stefan Sagmeister eine Ausstellung zeigt, strömen ganze Massen ins Museum.

Hollein: Ja, aber kaum einer kann sagen, was der Mann so gemacht hat, außer der Ausstellung, die die Leute gerade besuchen. Vielleicht fällt Ihnen noch das Rolling-Stones-Cover ein.

STANDARD: Woran hapert es unterm Strich?

Hollein: Das Problem ist, dass viele unter dem Begriff Design noch immer Dinge mit "Chichi, irgendwie unnötig, teuer" etc. zusammenfassen. Dass Design ganz elementar die Gesellschaft beeinflusst, in der wir leben, dass es sinnstiftend ist, mit Designschaffenden zusammenzuwirken, wird noch immer zu wenig erkannt.

STANDARD: Wie schaut es mit Ihrem Designbewusstsein aus? Wäre Ihr Vater nicht Architekt und Designer, sondern Steuerberater gewesen, glauben Sie, Sie wären trotzdem in den Designgefilden gelandet?

Hollein: Mein Vater war nicht Architekt, wie andere Steuerberater sind. Hinter ihm stand ein umfassendes Lebens- und Familienkonzept, er war tief in der Kunstwelt verankert, und all das wirkte sich auf uns aus. Das hat mich derart geprägt, dass ich nicht sagen kann, was gewesen wäre, wenn ...

STANDARD: Springen wir zwei Generationen vor. Wie taucht Ihre Tochter in die Welt des Designs ein?

Hollein: Also stellen Sie sich unser Zuhause nicht als Bootcamp vor, in dem die Namen von Designern abgefragt werden oder Kaffeelöffel formal analysiert werden. Meine Tochter kommt mit vielen unterschiedlichen Leuten aus der Welt des Designs zusammen. Da bekommt sie natürlich viele Persönlichkeiten und Herangehensweisen mit. Und sie hat mich heute beim Frühstück gefragt, welches Programm ich bei der heurigen Design Week für ihre ehemalige Hortgruppe zusammengestellt habe.

STANDARD: Und?

Um ehrlich zu sein, ich bin noch nicht dazugekommen.

STANDARD: Wenn Sie sich aus den tausenden Programmpunkten der letzten zwölf Jahre einen ganz besonderen Moment herausrauspicken müssten: Welcher wäre es?

Hollein: Wahrscheinlich der Eröffnungsabend des ersten Festivals, bei dem drei lustige, von sich selbst überraschte Leute, nämlich Tulga Beyerle, Thomas Geisler und ich, auf der Bühne standen und sich wunderten, dass es gelungen war, so ein Ding innerhalb von ein paar Monaten in Fahrt zu bringen.

STANDARD: Gibt es Überlegungen, das unglaublich dichte Programm zeitlich auszudehnen?

Hollein: Nein, zehn Tage sind eine gute Zeitspanne, Leute zusammenzubringen, auch betreffend internationales Publikum und Medienleute. Sie müssen bedenken, dass manche Designschaffende als Programmpartner mitmachen. Wenn die zum Beispiel aus Polen sind, müssen sie für die Zeit des Festivals zu Hause den Laden dichtmachen. Wenn wir zeitlich expandieren, würden solche Elemente verlorengehen, und die Design Week würde sich in Richtung Ausstellung entwickeln. Das fände ich schade.

STANDARD: Man hört immer wieder von Schwierigkeiten, die Design Week zu finanzieren.

Hollein: Nun, wir schaffen es jedes Jahr aufs Neue. Leider haben wir abgesehen von einigen Sponsorenvereinbarungen keine mehrjährigen Förderzusagen. Viele Festivals, die wie wir operieren, haben einen riesigen Partner, der 80 Prozent der Summe abdeckt. Wir klauben uns das Budget aus vielen Ecken zusammen. 50 Prozent stammen aus dem privaten, die andere Hälfte aus dem öffentlichen Bereich. Es ist ein jährliches Hasardieren. Wir sind mittlerweile ein Team, das aus acht Leuten besteht. Müsste ich zusperren, hätte das also nicht nur auf das Festival Auswirkungen.

STANDARD: Werden Sie der ganzen Sache nicht manchmal müde?

Hollein: Auf der einen Seite ist es jedes Jahr aufs Neue großartig, so viel Gestaltungsspielräume zu haben, Neues zu entdecken, Menschen zu treffen. Es ist eine der wunderbarsten Aufgaben, die ich mir vorstellen kann. Andererseits möchte ich in meinem Leben schon noch andere Dinge realisieren.

STANDARD: Ein Designmuseum, das es in Wien noch immer nicht gibt?

Hollein: Es gibt andere interessante Museen. Damit meine ich nicht nur das Mak. Mit meinem Hintergrund und meinen Erfahrungen kann ich mir unterschiedliche Wege und Positionen vorstellen.

STANDARD: Auch in der Kunst?

Hollein: Ich glaube, in der hochspezialisierten Kunstwelt gibt es größere Experten als mich. Dennoch ist die Kunst eine große Leidenschaft von mir. Ich habe mich auch immer über Funktionen im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum oder meine Tätigkeit im Kuratorium des Mumok gefreut.

STANDARD: Ein Mann, der großen Erfolg in der Kunstwelt hat, ist Ihr Bruder Max Hollein. Er bezog das Chefbüro des Metropolitan Museum of Art in New York. Sie sind bestimmt stolz. Auch ein bisschen neidisch?

Hollein: Ich bin sehr stolz und kein bisschen neidisch. Ich bekäme einen kleinen Albtraum, wenn ich dieses Museum auch nur einen Tag leiten müsste. Die Größe dieser Institution packen nur wenige Leute. Außerdem können sich alle in unserer Familie aus tiefstem Herzen für den anderen freuen. Neid war bei uns nie ein Thema.

STANDARD: Lernen Sie von Ihrem Bruder?

Hollein: Viel und ständig. Wenn man gemeinsam aufwächst, ist das wie eine Art Ausbildung. Eine ganz große Fähigkeit ist seine Gabe zuzuhören. Hat er ein Gegenüber, das ihn interessiert, merkt man sofort, wie viel er aus einer solchen Begegnung herausholt.

STANDARD: Was lernt er von Ihnen?

Hollein: Die Frage finde ich total indiskret. Nein, im Ernst. Sagen wir es so: Wir tauschen uns über vieles aus und sind uns der Qualitäten des anderen sehr bewusst. Es ist schwierig, das an einem Ding festzumachen. Aber ich glaube, ich habe mehr von ihm gelernt als umgekehrt. Er ist ja auch mein großer Bruder. (Michael Hausenblas, RONDO, 25.9.2018)

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