Erst vor zweieinhalb Jahren wurde Christian Kern zum neuen Parteichef der SPÖ gewählt. 2019 will er die Parteispitze bereits wieder abgeben.

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Chaos in der SPÖ: Am frühen Dienstagnachmittag sickerte die Nachricht durch, dass Christian Kern überraschend zurücktreten werde. Nach anfänglicher Ratlosigkeit in den eigenen Reihen bestätigten plötzlich Genossen seine Rückzugpläne, potenzielle Nachfolger sagten ab, politische Nachrufe wurden geschrieben. Bis sich schließlich Kern Stunden später zu einer Erklärung durchrang: Er will nach Brüssel und Spitzenkandidat der SPÖ bei der EU-Wahl am 26. Mai werden. Ob er auch für die europäischen Sozialdemokraten als Frontmann zur Verfügung stehe, ließ er zunächst noch offen.

Spätestens nach der EU-Wahl will Kern den Parteivorsitz übergeben, sagte er in einer knappen Erklärung. Er geht zwar als Parteichef, bleibt der Politik aber treu: "Es ist eine persönliche Überlegung, ich habe mich entschieden, bei der Europawahl als Spitzenkandidat der SPÖ anzutreten."

Beitrag aus der "ZiB 1".
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Sein Statement begann der ehemalige Kanzler mit einem Eingeständnis. Die SPÖ habe im Vorjahr die Nationalratswahlen verloren, seither habe die Partei wichtige Weichenstellungen getroffen, um sich auf künftige Wahlauseinandersetzungen vorzubereiten. Für das EU-Votum gelte es, das "europäische Erbe zu bewahren", damit Europa nicht im "nationalistischen Sumpf" untergehe. Die "liberalen Demokratien" seien bei dieser Wahl besonders durch die "Orbáns, Salvinis, Kaczyńskis und Straches herausgefordert", so Kern: "Hier agieren Menschen, die die Abrissbirne gegen Europa einsetzen."

Parteitag verschieben

Nun sind die roten Gremien am Zug. Denn für 6. und 7. Oktober war ein ordentlicher Parteitag in Wels geplant, an dem Kern sich eigentlich der Wiederwahl als Parteivorsitzender stellen wollte. Dieser wird nun verschoben, wie am Dienstagabend verkündet wurde. Voraussichtlich wird er Ende November über die Bühne gehen. Bis dahin soll auch die Führungsfrage geklärt werden. Bei dieser Veranstaltung soll auch die Kandidatenliste der Sozialdemokraten für die Europawahl festgelegt werden.

Dass er sich selbst zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ernannt hat, dürfte die Genossen in den Gremien überrumpelt haben. Das Treffen mit den Landeschefs war zwar schon länger für Dienstagabend geplant, nachdem sich aber die Nachricht über Kerns Zukunftspläne verselbstständigt hatte, zog die SPÖ die Ankündigung vor. Was das Kern-Umfeld irritierte: Vorab waren nur ganz wenige Vertraute informiert, dennoch landete die Meldung binnen kurzer Zeit bei der "Kronen Zeitung". Fest steht also: Der studierte Kommunikationswissenschafter Kern hat am Dienstag die Kontrolle über die Nachricht und kurzfristig auch über die Partei verloren.

"Noch nicht zu Ende"

"Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, es gibt einen zweiten Teil", ist ein führender SPÖ-Politiker, der die Wendung in seiner Partei nahe miterlebt hat, überzeugt. Er geht davon aus, dass Kern am Mittwoch beim Treffen der Chefs der europäischen sozialdemokratischen Parteien Unterstützung für die Spitzenkandidatur der Europäischen Sozialdemokratie bekommen wird. Für die Europawahl habe Kern – auch oder vor allem – für Österreich beste Chancen.

Ein Video-Rückblick auf Kerns bisherige politische Laufbahn
DER STANDARD

Wer die SPÖ in Zukunft führen soll, ist offen. Als Nachfolger drängt sich zunächst keiner auf. Hans Peter Doskozil möchte wie geplant Landeshauptmann im Burgenland werden. Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser sagte sofort ab und bekundete gleichzeitig seine Unterstützung für Kerns Europakandidatur.

Erste Chefin?

Wahrscheinlichstes Szenario laut Parteikennern: Die SPÖ bekommt erstmals eine Parteichefin. Gehandelt werden Nationalratspräsidentin Doris Bures und die frühere Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner. Für Bures spräche, dass sie eine der erfahrensten SPÖ-Politikerinnen ist und die Partei in- und auswendig kennt. Rendi-Wagner wäre ein Zeichen der Erneuerung. Eine Vorentscheidung könnte Ende dieser Woche fallen.(Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, Walter Müller, Wolfgang Weisgram, 18.9.2018)