Wien – Marcel T. (Name geändert, Anm.) ist 16 Jahre alt und lebt in einer Einrichtung der Caritas. Laut Informationsbroschüre eine Unterkunft für "männliche Jugendliche in akuten Entwicklungskrisen", in der "sozialarbeiterische Beratung und Betreuung" geboten werden, "Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags" und "Krisenintervention". Im von Richterin Daniela Zwangsleitner geführten Prozess wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, versuchter Nötigung und gefährlicher Drohung zeigt sich aber, dass das Werbeimage mit der Realität nicht übereinstimmt.

"Ich muss in der WG von 8.30 bis 21 Uhr draußen bleiben", erzählt der mit Diversionen vorbelastete Teenager der Richterin. Die fragt außerhalb des Protokolls einen im Saal anwesenden Mitarbeiter, ob das stimme. "Von 8.30 bis 17.30 Uhr müssen die Betreuten die Unterkunft verlassen", verrät der. "Das sieht das Projektkonzept so vor. Damit sie in die Schule oder die Arbeit gehen." – "Ja, aber T. ist ja nicht mehr schulpflichtig und arbeitslos. Wo soll er denn hingehen?", wundert sich Zwangsleitner. Der Betreuer schweigt.

Hauptbeschäftigung Langeweile

"Und was machen Sie den ganzen Tag?", wendet sich die Richterin an den Angeklagten. "Mich langweilen. Manchmal bei Freunden sein", lautet die Antwort. "Sind Sie beim AMS gemeldet?", will Zwangsleitner weiter von T. wissen. "Weiß ich nicht. Ich wurde abgemeldet."

Die Folge der Langeweile und Ziellosigkeit des Burschen, der Medikamente nimmt und in psychologischer Betreuung ist, war im April beispielsweise eine "Schaumparty" in einer Tiefgarage. T. hatte mit einem Freund zwei Feuerlöscher entleert. "Das war für ein Foto", nennt er als Motiv. "Aber ist Ihnen klar, was passiert, wenn es brennt und die Feuerlöscher defekt sind?", fragt ihn Staatsanwältin Anja Oberkofler. Die Gefahr ist T. bewusst.

"Wahrheit oder Pflicht" mit Watschen und Brandwunden

Ein weiterer Anklagepunkt: Bei einem Spiel soll T. seinem 14-jährigen Freund eine Brandnarbe zugefügt haben. "Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt", erzählt er. "Erst gab es Watschen, dann haben wir Branding gemacht." Zwangsleitner lässt sich erklären, was "Branding" bedeutet: Man hält ein Feuerzeug kopfüber, sodass sich die Metalleinfassung erhitzt, anschließend wird diese Stelle dem Opfer mehrere Sekunden auf die Haut gedrückt und hinterlässt eine Brandwunde.

Sein Freund Arian habe, wie alle anderen (betrunkenen) Teilnehmer, dieser Konsequenz zugestimmt, beteuert der Angeklagte. Der 14-Jährige erzählt als Zeuge aber, dass er beim ersten "Branding" durch einen anderen laut geschrien habe und aussteigen wollte. "Da schreit Ihr Freund schon, und Sie machen es danach noch einmal?", fragt die Richterin den Angeklagten. "Ich habe eh gesagt: 'Chillt a bissi'", rechtfertigt sich der.

Mit drei Jahren ins Heim

Auch seine Mutter hat ihn wegen gefährlicher Drohung angezeigt, ihre Aussage offenbart weitere Abgründe. Aus Furcht vor einem Ex-Partner habe sie T. und seine Geschwister vor 13 Jahren ins Heim gegeben. Seither wanderte er von Einrichtung zu Einrichtung. Bei seltenen Besuchen komme es immer wieder zu Streit, sagt die 39-Jährige.

Die juristische Aufarbeitung einer früheren Auseinandersetzung endete für T. mit einer Diversion samt außergerichtlichem Tatausgleich. Dabei sollen Opfer und Täter unter Anleitung einen Modus Vivendi finden. T. kam zu dem Termin, seine Mutter nicht. "Warum?", will Zwangsleitner von ihr wissen. "Weil mich das nicht interessiert hat. Weil er endlich lernen muss, dass es Konsequenzen gibt!" T. sagt über die Frau: "Sie ist ein Arschloch. Ich will mit dieser Person nichts mehr zu tun haben."

Das Urteil: drei Monate bedingt plus Bewährungshilfe und die Weisung, sich weiter psychologisch betreuen zu lassen. (Michael Möseneder, 20.9.2018)