Was Franzi nicht lernt, lernt Franz nimmermehr: Die positiven Effekte frühkindlicher Bildung lassen sich später nur schwer nachholen.

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Die frühen Kinderbewahranstalten, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts genannt wurden, sollten die Berufstätigkeit der Eltern ermöglichen. Sie waren damals vorrangig für die Arbeiterkinder gedacht, um diese von der Straße zu holen und sie sauber, sicher und versorgt zu wissen. Kinderbewahranstalten können als das Vorlaufmodell der institutionellen Kinderbetreuung bezeichnet werden.

Sauber, sicher und versorgt – das reicht heute als Anspruch für die außerhäusliche Betreuung nicht mehr aus. Pädagogische Konzepte haben sich seither grundlegend geändert. Auch die gesellschaftspolitische Realität ist eine gänzlich andere. Dass Väter und Mütter von unter Sechsjährigen ihrer Arbeit nachgehen, ist seit geraumer Zeit Normalität. Und die positiven Effekte außerfamiliärer Betreuung und professioneller Frühförderung sind durch zahlreiche Studien belegt. Kindergärten sind zur ersten Bildungseinrichtung für die Kleinen geworden.

Akademisierung der Kindergartenpädagogik

Hinterher hinkt aber nach wie vor die Aufwertung des Berufsbildes. Österreich ist das einzige europäische Land, in dem Elementarpädagoginnen und -pädagogen bislang nicht an Universitäten und Fachhochschulen ausgebildet werden. Dass sich das ändern muss, davon ist Nina Hover-Reisner überzeugt. Als Leiterin des Bachelorstudiengangs für Sozialmanagement in der Elementarpädagogik an der Fachhochschule Campus Wien macht sie sich stark für die Akademisierung der Kindergartenpädagogik.

"Pädagoginnen brauchen allemal mehr Kompetenzen als gute musisch-kreative Fähigkeiten", sagt Hover-Reisner. Das sind zwar wichtige Fähigkeiten, um den Alltag im Kindergarten lustvoll zu gestalten, aber zusätzlich bräuchten Pädagoginnen und Pädagogen auch ein breites Fachwissen über die frühkindliche Entwicklung. "Pädagoginnen müssen Bescheid wissen, wie sich Sprache entwickelt, oder darüber, wie sich Traumata in kindlichen Seelen anfühlen", so die Bildungswissenschafterin. Hochschulen mit ihrer langen Tradition im Identifizieren, Aufbereiten und Vermitteln von wissenschaftlich gestütztem Wissen würden sich als Reflexionsräume besonders gut eignen, sagt sie. Denn: Es braucht Orte, um über sich und sein pädagogisches Handeln, aber auch über die Kinder, die Eltern und die Teams differenziert nachdenken zu können.

Männer in die Kindergärten

Eines steht für Hover-Reisner fest: An Schulen, wo zumeist Mädchen zwischen 14 und 19 Jahren auf ihre Matura hinarbeiten und gleichzeitig mit ihrem eigenen Großwerden beschäftigt sind, lassen sich solche Räume weniger gut entwickeln. "Eine Akademisierung bringt auch einen Imagewandel mit sich und könnte dadurch ein erstrebenswerterer Beruf für Männer werden", so Hover-Reisner. Gegenwärtig liege der Männeranteil in elementarpädagogischen Einrichtungen in Österreich bei etwa einem Prozent. Geringes Gehalt, wenig gesellschaftliches Prestige und kaum Aufstiegschancen sieht die Studiengangleiterin als Gründe dafür. Aber ob dem Kindergartenpersonal in der Folge auch ein akademisches Honorar gezahlt werde?

Noch schlägt sich ein Uni-Abschluss in diesem Bereich nicht im Gehalt nieder, sagt Hover-Reisner. Sie plädiert dafür, die Entlohnung aller Pädagoginnen und Pädagogen anzugleichen, und zwar unabhängig vom Alter der betreuten Kinder: "Ich sehe keinerlei Anlass, dass eine Elementarpädagogin weniger gezahlt bekommt als eine Volksschullehrerin."

Warum sie mehr Männer in Kindergärten fordert? Nicht, weil sie glaubt, dass es bestimmte Kompetenzen gäbe, die Kinder bräuchten und die nur Männer abdecken könnten. "Das Geschlecht allein bedingt nicht die pädagogische Qualität", so Hover-Reisner. Aber: Im Sinne einer pluralen Gesellschaft und deren Abbildung in den Institutionen braucht es im Kindergarten eine Vielfalt an Menschen: "Eine Vielfalt an Kompetenzen, an Haltungen, an Überzeugungen – und auch an Geschlechtern." Das heißt für die Wissenschafterin auch, dass mehr Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und kulturellen Hintergründen sowie Menschen mit Behinderung im Kindergarten arbeiten sollen. Letztere würden derzeit allerdings an den Aufnahmehürden für die Bildungsanstalten für Elementarpädagogik (BAfEP) scheitern, weil sie im Turnsaal den Sprung über einen Bock nicht schaffen. Hover-Reisner sieht hier Aufholbedarf in Österreich: "Unsere Welt ist nicht nur fit und schnell", sagt sie.

Paradigmenwechsel

Zurück zum Bildungsauftrag der Kindergärten. Welcher Bildungsbegriff wird an der FH Campus Wien geteilt? Hover-Reisner: "In unserem Studiengang möchten wir den leitenden Pädagoginnen vermitteln, sich mutig zu verabschieden von der Idee, den Kindern wie mit einer Gießkanne Wissen und Erfahrungen hineinzugießen."

Vielmehr gehe es darum, einen Schritt zurückzutreten, nicht in die Untätigkeit, aber in die wahrnehmende Beobachtung. Wo stehen Kinder in ihrer Entwicklung? Was brauchen sie? Und, so die Haltung von Hover-Reisner, "es ist wichtig wahrzunehmen, wo Kinder schlichtweg einmal emotional wohlwollende Erwachsene brauchen, um Bedürfnisse abzudecken, die sie vielleicht zu Hause zu wenig mitbekommen – Struktur, Grenzen und auch mal ein Nein".

Dazu gäbe es spannende Debatten, wie viel Anleitung im Kindergarten nötig sei. Hover-Reisner jedenfalls sieht die Aufgabe von Pädagoginnen weniger darin, Kindern die Welt zu erklären und ein Bildungsangebot nach dem anderen zu liefern. Kinder würden "durch ihre intrinsische Motivation und Neugierde" ohnehin die Welt entdecken und erkunden wollen. Statt "ständig aktive Animateurin" zu spielen, müsse es zur Jobbeschreibung einer Pädagogin gehören, "besonnen, klug und scharf wahrnehmend" die Kinder zu begleiten. Hier hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen.

Geld und Ressourcen

Woran es aber nach wie vor fehlt? An Geld und Ressourcen, wie so oft. Um die Herausforderungen trotz unterschiedlicher kultureller Prägungen und Religionen bewältigen zu können, benötigen Pädagoginnen mehr Unterstützung und Begleitung.

Hover-Reisner: "Wir wollen, dass Kinder, wenn sie in die Schule kommen, Deutsch sprechen, investieren aber wenig Ressourcen, um das möglich zu machen." Sie wünscht sich "mehr Respekt für die Berufsgruppe der Elementarpädagoginnen, die jeden Tag Unglaubliches leistet, indem sie Kinder in ihren Sorgen und Nöten begleitet". Respekt äußert sich auch in Bezahlung, sagt die Wissenschafterin.

Dass man sich mittlerweile von der Bezeichnung "Tante" verabschiedet habe, sei als Aufwertung des Berufsstandes eindeutig zu wenig. (Christine Tragler, 21.9.2018)