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Der Stuhlschiedsrichter (Umpire) auf seinem Platz.

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Jörg Bachl leitet die Schiedsrichterausbildung in Österreich.

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Man sagt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Man sagt auch, dass Schiedsrichter dann einen guten Job machen, wenn man nichts über sie sagt. Im Tennis gelang das kürzlich nicht gut. Serena Williams matchte sich im US-Open-Finale mit dem Stuhlschiedsrichter, Nick Kyrgios wurde von einem Referee gecoacht bis angespornt. Das Tennis-Schiedsrichterwesen ist im Gerede. Grund genug, den heimischen Schiedsrichterdelegierten zu befragen. Bloß: Der internationale Verband hat seine Vorgaben, aktuelle Ereignisse auf der Tour werden nur per Aussendung kommentiert. Allgemeines darf beantwortet werden, auch die Antworten darauf sind interessant.

STANDARD: Ist Tennis noch immer der sogenannte Gentlemen-Sport?

Bachl: Grundsätzlich ist es so, dass dem Schiedsrichter im Tennis von den meisten Spielern mit großem Respekt begegnet wird. Wo Schiedsrichter eingesetzt werden, sind Eklats die Ausnahme. Da ist es egal, ob österreichische Bundesliga oder Grand-Slam-Turnier.

STANDARD: Beim Fußball geht es in den unteren Ligen wilder zu.

Bachl: Im Tennis gibt es bis zur Landesliga keine Schiedsrichter. Also kann ich gar nicht sagen, ob es da rabiater wird.

STANDARD: Wieso wird man also Tennisschiedsrichter?

Bachl: Das passiert in den meisten Fällen eher zufällig. Mich hat damals mein Tennisclub gefragt, ob ich beim vereinsinternen Tennisturnier aushelfen könnte, dann habe ich mich dazu entschlossen die Ausbildung machen.

STANDARD: Wie sieht die Ausbildung konkret aus?

Bachl: Wir haben in Österreich eine zweistufige Ausbildung. Die erste Stufe wird von den Landesverbänden organisiert, dann kommt die ÖTV-Ausbildung, die ich derzeit mit meinem Team leite. Hauptsächlich geht es um zwei Punkte: Einerseits die Regelkunde, die man als Tennisspieler oder Fan eigentlich unterschätzt. Darüber hinaus konzentrieren wir uns darauf, wie man mit den Spielern umgeht und sich selbst auf dem Platz präsentiert. Die Kommunikation ist immens wichtig.

STANDARD: Wie unterscheiden sich Anforderungen für Stuhlschiedsrichter und Oberschiedsrichter?

Bachl: Der Stuhlschiedsrichter ist direkt auf dem Platz, direkt im Geschehen und muss direkt mit den Spielern kommunizieren. Es geht darum, schnell richtige Entscheidungen zu treffen. Der Oberschiedsrichter ist die weitere Regelinstanz und sollte den Überblick bewahren. Er steht dabei aber nicht so im Mittelpunkt.

STANDARD: Bei Turnieren auf niedrigerem Level gibt es ja oft gar keinen Stuhlschiedsrichter.

Bachl: Ja, da müssen sich die Spieler alles Unmittelbare selbst ausmachen. Der Oberschiedsrichter kommt, wenn es eine Regelinstanz braucht oder er einen aktiven Regelverstoß sieht, und ist für mehrere Spiele verantwortlich.

STANDARD: Was ist schwieriger zu leiten, ein Bundesligaspiel oder ein Grand-Slam-Finale?

Bachl: Die Anforderungen sind komplett unterschiedlich. In der Bundesliga ist man als Schiedsrichter allein auf dem Platz, ohne Linienrichter. Da geht es viel mehr darum, dass man den Ball richtig sieht. Im Grand-Slam-Finale rückt das in den Hintergrund, dafür ist die Kommunikation immens wichtig. Man steht im Rampenlicht, muss mit Spielern und Publikum kommunizieren.

STANDARD: Wie wird man Topschiedsrichter?

Bachl: Voraussetzung sind Einsätze. Nach der nationalen Ebene kann man auf internationalem Level kleinere Turniere besetzen und sich dann für die "White-Badge-Ausbildung" bewerben, entweder für Stuhlschiedsrichter, Oberschiedsrichter oder Referee. Grundsätzlich wird man nach jedem Spiel von einem höher ausgebildetem Schiedsrichter bewertet. Je besser die Bewertungen, desto eher besteht die Möglichkeit auf höherem Level eingesetzt zu werden. Das Toplevel, die Gold-Badge, wird einem verliehen.

STANDARD: Wovon hängen diese Bewertungen ab?

Bachl: Man kennt das aus anderen Sportarten: Der Schiedsrichter hat dann einen guten Job gemacht, wenn man nicht über ihn spricht. Das ist auch im Tennis so.

STANDARD: Kann man davon leben?

Bachl: Wenn man sich international einen Status erarbeitet hat, kann man das auf jeden Fall hauptberuflich machen. Auf nationaler Ebene können nur ganz wenige davon leben. Die Masse an Schiedsrichtern macht das als Hobby und aus Liebe zum Sport.

STANDARD: Es gibt weniger Schiedsrichterinnen. Wieso?

Bachl: Ich vergleiche das gerne mit Führungspositionen in der Privatwirtschaft. Da hinkt man auch noch hinterher. Aber gerade international wird versucht, das Schiedsrichterwesen für Frauen interessanter zu machen.

STANDARD: Ist es für Frauen schwieriger auf dem Schiedsrichterstuhl?

Bachl: Nein, es geht darum, schnelle Entscheidungen zu treffen und souverän aufzutreten, gerade als Stuhlschiedsrichter. Wenn man das macht, wird man auch als Frau sofort von den Spielern in dieser Rolle akzeptiert.

STANDARD: Was ist das Schlimmste, das einem als Stuhlschiedsrichter passieren kann?

Bachl: Wenn einem das Match entgleitet, die Autorität ausgesetzt ist und sich die Spieler auf dem Platz selbst alles ausmachen. Das kommt aber sehr selten vor.

STANDARD: Wie bereitet man sich vor? Beschäftigt man sich vor dem Spiel mit dem Ruf der Spieler?

Bachl: Nein, spezielle Vorbereitung gibt es keine, weil die große Aufgabe des Schiedsrichters ja darin besteht, beide Spieler gleich zu behandeln. Sonst wäre man voreingenommen. Womit man sich schon beschäftigt, sind die unterschiedlichen Sprachen. Es ist als Schiedsrichter schon wichtig, dass man die Kraftausdrücke der unterschiedlichen Sprachen kennt und versteht, wenn die Spieler ausfällig werden.

STANDARD: Wie wichtig ist Fingerspitzengefühl, wie viel Spielraum hat man bei der Regelauslegung?

Bachl: Das Fingerspitzengefühl bezieht sich nicht auf die Regelauslegung, sondern auf die Kommunikation mit den Spielern. Genau damit kann man Eskalationen vermeiden. Das ist vielleicht eine der wichtigsten Eigenschaften, die man haben muss. Die Regeln aber bestehen und Schiedsrichter sind dazu da, sie umzusetzen. (Andreas Hagenauer, 21.9.2018)