Die Menschen haben sich mit Händen und Füßen gewehrt. Wozu das Ganze! So viel Geld! Das braucht doch keiner!" Doch die Gemeinde blieb stur und begann vor fast 20 Jahren eine allmähliche Renaissance, die Hinterstoder nun europaweit bekannt gemacht hat.

Foto: Heinz Schachner

Hinterstoder, so wie man es kennt.

Foto: Verein Landluft

"Das ist doch der perfekte Rahmen, um auf den Dachstein zu blicken, oder? Denn eines ist klar", sagt Robert Oberbichler, während er mit dem Zeigefinger auf das graue Gebirgsmassiv deutet, das sich mit einer ziemlichen Opulenz vor ihm ausbreitet. "Es kann nicht sein, dass nur das gebaut wird, was dem Bürgermeister gefällt." Der rote Stahlwürfel, der sich um eine von insgesamt drei Aussichtsplattformen entlang der sogenannten Rundwanderwelt aufspannt, habe damals, 2006, für ziemliche Diskussionen gesorgt. Doch mittlerweile, erzählt der 46-jährige Architekt und Ortsplaner, sei das Objekt kaum aus dem Landschaftspanorama wegzudenken. "Es ist, als wäre der Würfel immer schon da gewesen. Er ist ein essenzieller Teil von Hinterstoder geworden."

Es gibt nicht viele Gemeinden in Österreich, die sich mit einer derartigen Selbstverständlichkeit an zeitgenössische Architektur heranwagen. Und das nicht nur oben am Berg, sondern auch unten im Dorf, wo in den letzten Jahren etliche Neubauten errichtet und strukturelle Veränderungen vorgenommen worden sind. Um diesen Umstand und unerbittlichen Kampf zu würdigen, wurde die 900-Einwohner-Gemeinde im letzten Eck von Oberösterreich gestern, Freitag, unter 23 Einreichungen aus neun Ländern mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis 2018 ausgezeichnet.

20 Jahre harte Arbeit

"20 Jahre harter Arbeit, und jetzt das", sagt Angelika Diesenreiter. "Ein tolles Gefühl!" Die 66-Jährige war früher Vizebürgermeisterin und kümmert sich heute als Kulturreferentin um die kulturellen Belange im Dorf – um das Museum, um die regelmäßigen Flohmärkte, um das alljährlich stattfindende Dorffest neben dem Feuerwehrhaus. "Hinterstoder hatte früher weit über tausend Einwohner, und damals noch, in den Achtzigerjahren, stand der Tourismus in seiner Hochblüte. 1986 hat hier das allererste Skiweltcuprennen stattgefunden. Doch in den Neunzigern ging es mit den Bevölkerungs- und Besucherzahlen bergab. Wir hatten keine andere Wahl. Wir mussten einfach handeln."

In den darauffolgenden Jahren beschloss die Gemeinde, sich zu erneuern. Und zwar von Grund auf. Als erste Maßnahme wurde die Hauptstraße, die durch den Ort führt, auf einer Länge von 300 Metern neu gestaltet. Grund dafür waren die vielen aufbetonierten und aufasphaltierten Schichten, die die Fahrbahn im Lauf der Jahrzehnte immer höher und höher steigen ließen. An manchen Stellen lagen die Hauseingänge bereits 80 Zentimeter unter Straßenniveau. Mit der Nivellierung und der damit verbundenen Verkehrsberuhigung schuf die Gemeinde damals die allererste Begegnungszone Österreichs – mit gleichberechtigten Flächen für Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer.

"Das braucht doch keiner"

"Die Menschen haben sich mit Händen und Füßen gewehrt", erinnert sich Diesenreiter. "Unseren Bürgermeister Helmut Wallner hätte das bei der Wahl fast den Kopf gekostet. Wozu das Ganze! So viel Geld! Das braucht doch keiner!" Der gestrige Groll, so scheint es, ist längst verschwunden. Zwischen Blumenrabatten und im Halbkreis angeordneten Parkbänken steht ein kleines Wandergrüppchen unbesorgt am Straßenrand, ohne dabei gleich vom nächsten Auto überrollt zu werden. Und die größten Gegner der Nivellierung und Verkehrsberuhigung, die Wirte und Geschäftsleute, nutzen die Begegnungszone heute für ihre Gastgärten und machen damit mehr Umsatz als je zuvor.

Unter den Folgeprojekten befinden sich die Hösshalle von Riepl Riepl Architekten, in der Seminare, Theateraufführungen und Pressekonferenzen für den Skiweltcup stattfinden, das in Holz und Glas errichtete Heimatmuseum Alpineum, das sogar für den Europäischen Museumspreis nominiert war, eine umgebaute Feuerwehrstation, ein neu errichtetes Vereinshaus für die Musikkapelle, die sogenannte Hinterstoder-Lounge mit Reise- und Tourismusbüro sowie ein kleines Biomassekraftwerk, das das Ortszentrum mit Nahwärme versorgt. Und dann natürlich die roten Stahlwürfel oben in 2.000 Meter Höhe.

Immaterielle Maßnahmen

"Es hat eine richtige Renaissance stattgefunden, langsam und über viele Jahre verteilt, und mit der Zeit ist das architektonische Niveau in Hinterstoder mehr und mehr gestiegen", meint Ortsplaner Oberbichler, der nicht nur die planerischen Geschicke der Gemeinde leitet, sondern nebenbei Privatbauherren bei ihren Projektideen berät. Jeder Bauwerber erhält bei ihm standardmäßig eine Beratungsstunde – kostenlos, wohlgemerkt. "Doch das Wichtigste", sagt er, "sind nicht die baulichen Maßnahmen, sondern eigentlich die vielen unsichtbaren, die vielen immateriellen Maßnahmen im Hintergrund."

Es geht um die richtige Balance aus Bürgerbeteiligung und Führung, aus Geben und Nehmen, aus Zuckerbrot und Peitsche. Viele Projekte, wie etwa die Rundwanderwelt mit insgesamt 13 Wanderwegen in der Region, wurden partizipativ entwickelt. An anderer Stelle wiederum beschloss die Gemeinde, einige Schlüsselbauwerke im Zentrum bewusst im Gemeindeeigentum zu belassen. Ein noch größerer Tabubruch war die Rückwidmung von bereits gewidmeten Baugrundstücken in Grünland. Und nicht zuletzt ist das Parken in der winzigen Innenstadt neuerdings gebührenpflichtig – doch dafür bietet Hinterstoder seinen Einwohnerinnen und Besuchern kostenlosen Zugang zu Taxi, Bus und ÖBB-Shuttle. Wer will, kann sich auch den kleinen Elektroflitzer Renault Twizy schnappen, der etwas einsam und vergessen vor dem Gemeindeamt parkt.

Voll bobo auf dem Land

"Ich bin hier aufgewachsen, aber mit dem damaligen Hinterstoder ist der heutige Ort kaum noch vergleichbar", sagt Yvonne O'Shannassy. "Die Menschen sind irgendwie offener und moderner geworden. Es lebt sich echt gut hier." Vor ein paar Jahren kaufte die weitgereiste Yacht-Stewardess ein etwas in die Jahre gekommenes Haus an der Hauptstraße auf, richtete darin acht Gästewohnungen ein und baute die ehemalige Fleischerei zu einem kleinen Café mit Torten und Eiskaffee um, das immer noch die alten Fleischerhaken an der Wand und immer noch den alten Namen an der Fassade trägt. Wenn's sein muss, kann auch die Pampa voll bobo sein.

Hinterstoder ist das, was Landleben gemeinhin bieten sollte. Ein hübsches Dörfchen mit einer irgendwie gut funktionierenden Infrastruktur. Nicht mehr und nicht weniger. Doch solange dieses Mindestmaß an kommunaler, baukultureller Qualität in Österreich nicht selbstverständlich ist, ist der biennal vergebene Dorferneuerungspreis ein wichtiger und unverzichtbarer Katalysator für die Entwicklung des ländlichen Raums. (Wojciech Czaja, 23.9.2018)