Diabetes Typ 2 betrifft immer mehr Kinder und Jugendliche. Deshalb muss "gesunde Lebensführung in der Schulbildung verstärkt zum Thema gemacht werden", sagt Christian Schelkshorn von der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft.

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Plötzlich waren sie da, die starken Schmerzen im Brustkorb und hinter dem Brustbein. Mehrere Minuten lang. Der Notarzt wird gerufen. Die Diagnose: Herzinfarkt. Bei den Folgeuntersuchungen wird festgestellt, dass der Patient deutlich erhöhte Blutzuckerwerte hatte.

Dieses Szenario ist im klinischen Alltag keine Seltenheit. Häufig wissen Herzinfarktpatienten aber nicht, dass auch ihr Blutzucker aus dem Ruder gelaufen ist. Denn wer kein diagnostizierter Diabetiker ist, hat mit regelmäßigen Blutzuckermessungen meist wenig am Hut. Dabei wäre es wichtig, die eigenen Werte zu kennen, um ein diabetisches Risiko früher zu erkennen und behandeln zu können.

Erbliche Vorbelastung und Lebensstil

In Österreich leben rund 600.000 Menschen mit der Diagnose Diabetes Typ 2. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher sein: Schätzungen zufolge weiß etwa ein Drittel der Betroffenen nichts von ihrer Erkrankung. Bei Diabetes Typ 2 kann der durch die Nahrung aufgenommene Zucker nicht ausreichend verbrannt werden und bleibt im Blut zurück.

Die Bauchspeicheldrüse produziert zwar Insulin, dieses kann den Zucker aber nicht in die Zellen weiterleiten. Es kommt zur Insulinresistenz. Die Folge: Der Blutzuckerwert ist überhöht, die im Blut verbliebene Glukose schädigt langfristig Blutgefäße und Nerven.

Diabetes Typ 2 ist keine Krankheit, die von einem Tag auf den anderen ausbricht. Sie kommt schleichend, langsam und ist multifaktoriell. Zu den möglichen Folgeschäden gehören neben Herzinfarkt und Schlaganfall auch Erblindung, diabetisches Fußsyndrom bis hin zur Amputation oder Nierenversagen. Meist liegen die Ursachen in einer Kombination aus erblicher Prädisposition und Lebensstil. "Bei Diabetes Typ 2 handelt es sich um einen dynamischen Krankheitsprozess", sagt Christian Schelkshorn von der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft.

Keine Frage des Alters

"Blutzucker ist nie nur ein Wert, sondern immer eine dynamische Größe", so der Experte weiter. Das heißt: Er ist veränder- und beeinflussbar. Wie sich der Krankheitsverlauf entwickelt, liegt also maßgeblich am Betroffenen selbst.

Die gute Nachricht: Wer weiß, ob er erblich vorbelastet ist und seine Blutzuckerwerte kennt, kann gezielt gegensteuern. Schelkshorn empfiehlt als ersten Schritt, sich über Diabetes-Typ-2-Erkrankungen in der eigenen Familie zu erkundigen. Auch wenn die Großeltern an "Alterszucker" leiden, sollte dies berücksichtigt werden.

Als zweiten Schritt sollte man sich über die eigenen Blutzuckerwerte informieren. Dafür, ab welchem Lebensjahr das sinnvoll ist, gibt es keine genauen Empfehlungen. Ein guter Anhaltspunkt ist die jährliche Gesundenuntersuchung, bei der die Blutwerte im Labor ohnehin analysiert werden.

Ab wann Medikamente notwendig sind

Schelkshorn appelliert auch an alle, deren Blutwerte im Rahmen einer Operation erhoben werden: Man solle die Gelegenheit nutzen und die erhaltenen Informationen an den Hausarzt weitergeben. Je früher man über das eigene Erkrankungsrisiko Bescheid weiß, desto eher könne man reagieren.

Der Normalwert des Nüchternblutzuckers liegt zwischen 70 und 100 Milligramm pro Deziliter. Ein leicht erhöhter Blutzucker zwischen 101 und 125 ist ein Indikator für Prädiabetes, eine Art "Vorstufe" der Erkrankung. "Diese Phase kann durch Lebensstilmodifikation auf unbestimmte Zeit verlängert werden", erklärt Schelkshorn. Das gilt auch für jene Personen, die erblich vorbelastet sind.

Übersteigen die Blutzuckerwerte mehrmals hintereinander die Grenze von 126 Milligramm pro Deziliter, lautet die Diagnose Diabetes. Auch in diesem Fall wird zuerst versucht, die Werte über eine Änderung des Lebensstils in den Griff zu bekommen. Steigen sie nach einem Vierteljahr trotzdem weiter an, wird medikamentös unterstützt.

Fett und Zucker reduzieren

"Zu allererst ist es nötig, ein Bewusstsein für die eigene Ernährung zu entwickeln und sich damit zu befassen, was auf den Teller kommt", legt Schelkshorn nahe. Doch nur das kulinarische Leben umzukrempeln ist zu wenig. Zwar können sich bestimmte Nahrungsmittel wie Zimt oder Hafer positiv auf die Insulinresistenz auswirken, tatsächlich müsse man aber die eigene Lebensweise umfangreicher betrachten. "Das ganze Leben kann kein Kochrezept sein", betont der Diabetes-Experte.

Neben Ausdauer- und Krafttraining empfiehlt der Mediziner allgemein eine ausgewogene Kost. Das heißt: viel Ballaststoffe, wenig Fett, Eiweiß bewusst zu sich nehmen und Kohlenhydrate über den Tag verteilt. "Das Wichtigste ist aber die Fett- und Zuckerreduktion", sagt er. Das betreffe vor allem auch Produkte, die versteckten Zucker enthalten. Erst im Mai hatte die Österreichische Diabetes-Gesellschaft (ÖGD) darauf hingewiesen, dass zwei Drittel der Milchprodukte zu süß sind, um gesund zu sein.

Diabetes Typ 2 wird landläufig als Altersdiabetes bezeichnet, weil er zumeist erst nach dem 40. Lebensjahr auftritt. Tatsächlich sind mittlerweile aber immer mehr junge Menschen betroffen. Im Idealfall beginnt deshalb die Bewusstseinsschärfung bereits im Kindergarten- und Volksschulalter. "Gesunde Lebensführung muss in der Schulbildung verstärkt zum Thema gemacht werden", ist Schelkshorn überzeugt. (Maria Kapeller, 25.9.2018)