Theresa May suchte beim EU-Gipfel in Salzburg Anschluss. Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigte sich unbeeindruckt.

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Großbritannien erwartet in den Brexit-Verhandlungen größeres Entgegenkommen von der EU. Einen Tag nach dem in London allgemein als Rückschritt interpretierten Gipfel von Salzburg wandte sich Premierministerin Theresa May am Freitagnachmittag mit einer live im Fernsehen übertragenen Erklärung an die Nation. Brüssel und London sollten nichts Unmögliches voneinander verlangen, sagte die Konservative: "Ich habe die EU stets mit Respekt behandelt, das Vereinigte Königreich erwartet das Gleiche von der EU." Derzeit sieht sie die Brexit-Verhandlungen "in einer Sackgasse".

May hatte ursprünglich draußen in der Downing Street sprechen wollen, zog sich aber wegen Regenschauern und eines Stromausfalls in ihren Amtssitz zurück. Da das Unterhaus während der Parteitagsaison in den Ferien weilt, musste sich die 61-Jährige keine Fragen der Opposition gefallen lassen, auch Journalisten waren zur Verlesung der achtminütigen Ansprache nicht eingeladen.

Mit ihren Forderungen reagierte May auf das "Desaster von Salzburg", wie ihr Auftritt beim EU-Gipfel am Freitag in den britischen Medien bezeichnet wurde. Namentlich wandte sie sich an EU-Ratspräsident Donald Tusk: In dieser späten Phase der Verhandlungen sei es "nicht akzeptabel", Vorschläge der Gegenseite ohne detaillierte Erklärung oder Gegenvorschlag abzulehnen. Tusk hatte in Salzburg manche von Mays Vorschlägen, die im sogenannten Chequers-Papier zusammengefasst sind, gelobt, aber hinzugefügt: "Die vorgeschlagene ökonomische Zusammenarbeit wird nicht funktionieren." Dass er später auf Instagram May für ihre "Rosinenpickerei" neckte, vervollständigte den Eindruck klarer Ablehnung und schockierte das Londoner Establishment.

Bei den britischen Medien verstärkt sich die Tendenz, die europäische Haltung als Bestrafung für den Austritt zu werten. "May gedemütigt", schrieben "Telegraph" und "Guardian" übereinstimmend, während die "Daily Mail" für die Zukunft wenig Gutes voraussagte: Die "wütende Premierministerin" mache sich darauf gefasst, die Verhandlungen zu verlassen.

"EU-Ratten"

Den Vogel schoss wieder einmal das Revolverblatt "Sun" des US-Medienzaren Rupert Murdoch ab: Es bezeichnete Tusk und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron als "Mobster" und "EU-Ratten". Man könne "gar nicht schnell genug" aus dem arroganten Klub entkommen.

Mit dem auf ihrem Landsitz Chequers verabschiedeten Kabinettspapier hatte May im Juli Kurs auf einen weichen Brexit genommen. Die angestrebte enge Assoziation sieht die Zahlung von mindestens 40 Milliarden Euro in die EU-Kasse sowie eine Übergangsfrist bis Ende 2020 vor, in der Großbritannien praktisch EU-Mitglied ohne Stimmrecht bleibt.

Darüber hinaus soll die Brexit-Insel in einem Binnenmarkt für Güter verbleiben, will hingegen bei Dienstleistungen eigene Wege gehen. Dagegen erheben nicht zuletzt kleinere, nordeuropäische EU-Mitglieder Einspruch wegen unfairen Wettbewerbs: Gerade bei Hightech-Gütern machen Dienstleistungen bis zu 40 Prozent des Verkaufswertes aus.

Zu Wochenbeginn übernahm May einen aggressiven Werbeversuch: Es werde "meinen Deal geben oder keinen Deal", sagte sie in mehreren Interviews, drohte also mit Chaos-Brexit ohne Austrittsvereinbarung. Das zielte vor allem auf die oppositionelle Labour-Party, deren Parteitag an diesem Wochenende in Liverpool beginnt. Die ambivalente Brexit-Haltung der Parteiführung dürfte unter den Druck EU-freundlicher Aktivisten geraten. Diese wollen ein zweites Referendum erzwingen; die Premierministerin lehnt dies bisher kategorisch ab.

Dass May am Salzburger Verhandlungstisch die Behauptung wiederholte, über Chequers lasse sich eigentlich nicht mehr verhandeln, verärgerte viele der anderen 27 Staats- und Regierungschefs. Zudem erschreckte sie den irischen Premier Leo Varadkar mit der Mitteilung, eine Lösung für das Problem der inneririschen Grenze sei bis zum EU-Gipfel im Oktober nicht zu finden.

Am Freitag betonte May, die Brexit-Verhandlungen könnten nicht fortschreiten, wenn die EU keine Alternative zu Chequers vorlege. Ausdrücklich hob die Premierministerin jedoch hervor: Die Rechte von mehr als drei Millionen EU-Bürgern auf der Insel würden in jedem Fall gewahrt bleiben. (Sebastian Borger, 21.9.2018)