Sprachkenntnisse von Zuwanderern müssen als kulturelles Kapital gesehen werden, anstatt dieses leichtfertig zu verspielen.

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Die Europäische Union hat sich aufgrund ihrer enormen Sprachenvielfalt zum Ziel gesetzt, diese Vielfalt zu fördern und sie für ihre Bürger attraktiv zu machen. Dazu soll auch der heutige Europäische Tag der Sprachen beitragen. Mit den jüngst getroffenen Bildungs- und Integrationsmaßnahmen in Österreich bewegt man sich gesellschaftlich aber weg vom großen europäischen Ziel. Die Kenntnis der deutschen Sprache wird hierbei vielmehr als ein Instrument der Abgrenzung als der Integration verwendet. Das Erlernen des Deutschen wird über alles gestellt. Die von Zuwanderern mitgebrachten Sprachkenntnisse werden so marginalisiert und auch diskreditiert. Leichtfertig wird damit ein kulturelles Kapital verspielt, dessen es sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich angesichts zunehmend interkultureller und interlingualer Anforderungen so dringend bedarf.

Manchmal komme ich mir in die Vergangenheit versetzt vor. Spracherwerb wird als mechanischer, kulturell und emotional entleerter Vorgang angesehen. Um es mit den Worten des israelischen Autors Aharon Appelfeld zu sagen: "Lern die Wörter, dann kannst du die Sprache. Zugegeben, dieser Ansatz, der dich aus deiner Welt entwurzeln und in eine andere verpflanzen soll, in der dich kaum etwas hielt, hat gesiegt. Aber um welchen Preis! Um den Preis der Vernichtung der Vergangenheit und der Verflachung der Seele." Der Mensch ist ein komplexes Lernwesen, und gerade Sprache braucht die emotionale und gesellschaftlich kontextuelle Verknüpfung.

Enormer Druck auf Eltern und Pädagogen

In meinen Seminaren erlebe ich sowohl Eltern als auch Pädagogen erneut verunsichert ob des Umgangs mit zwei- oder mehrsprachigen Kindern. Dabei hat die langjährige empirische Forschung und Erfahrung uns längst gezeigt, wie es richtig geht. Alle Sprachen im Leben des Kindes sind wichtig, jede braucht ihren Raum, da sie ihre Berechtigung hat. Auch in unseren Deutschkursen für Kinder sehe ich, was für ein enormer Druck auf den Eltern und Pädagogen lastet, sprachliche Erwartungen zu erfüllen, die oft weder der kindlichen noch der sprachlichen Entwicklung entsprechen.

Die holprigen, undurchdachten Maßnahmen führen dazu, dass das Erlernen der deutschen Sprache zur Hürde wird oder werden soll. So verlieren Kinder ein Jahr in der Schule, weil sie statt in die erste Klasse in die Vorschulklasse eingeschult werden. Dort sollen sie ihre Sprachkenntnisse verbessern, denn viele Schulen wollen sich die Deutschförderklassen ersparen. Zu Recht, denn diese sind das Gegenteil von förderlich – riesige Gruppen, keine Durchmischung und Überforderung bei der Organisation. Aber die fehlende Schulreife aufgrund fehlender Sprachkenntnisse zu attestieren ist falsch.

Kein Lernerfolg durch finanzielle Sanktionen

Auch soziale Leistung soll an Sprachkenntnisse gebunden werden. "Sprichst du nicht gut genug Deutsch, so gibt es weniger Mindestsicherung." Zugegeben, diese Maßnahme ist bestimmt populär innerhalb einer bestimmten Wählerschaft, aber mit effektiver Integrationspolitik hat sie nichts zu tun. Denn gäbe es wahres Interesse, hätte die Regierung nicht das Budget für Deutschkurse gekürzt und hätte mehr und effizienter in die sprachliche Bildung der Kleinsten investiert. Wie so oft in der Geschichte der Sprachpolitik, wird Sprache als Mittel zur Diskriminierung und Segregation verwendet. Die Sprache soll abgrenzen und "das wir" und "die anderen" sticht noch deutlicher hervor. Natürlich sind davon Menschen betroffen, die gesellschaftlich wenig prestigeträchtiges Sprach- und Kulturkapital mitbringen. Niemand verpflichtet den Uno-Mitarbeiter dazu, Deutsch zu lernen.

Zu unserer Heterogenität stehen

In einer globalen Gesellschaft gibt es viele Sprachgemeinschaften, die miteinander auskommen müssen. Das ist unsere Realität. Ein gezielter Umgang damit könnte viele Herausforderungen in der Bildung überwinden. Mit den politischen Maßnahmen, die derzeit getroffen werden, rückt dies leider in die Ferne. Und damit auch das europäische Bewusstsein, denn dafür müssten wir als Gesellschaft zu unserer Heterogenität stehen und sie nicht bekämpfen. (Zwetelina Ortega, 26.9.2018)