Die Ausstellung "Doppelleben" im Mumok erzählt von bildenden Künstlern, die Musik machen. Einige davon kann man in der Konzertreihe des Mumok live erleben.

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Hermann Nitsch wird bei seinem "ersten musikalischen Liveauftritt" auf einer elektronischen Johannus-Orgel für das Publikum improvisieren.

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Die schwedische Künstlerin Emily Sundblad.

Foto: Emily Sundblad / Loretta Fahrenholz

Essachai Vow (Christian Kosmas Mayer und Alexander Wolff).

Foto: Klaus Pichler © mumok

Kontrabassist Michael Duch präsentiert Werke von Hanne Darboven.

Foto: Klaus Pichler © mumok

Die Readymades von Marcel Duchamp wie sein berühmtes Urinal haben längst Kultstatus. Doch nur wenige wissen, dass der Gründungsvater der Konzeptkunst und Ahnherr der Dadaisten auch revolutionäre musikalische Ideen verfolgte, indem er etwa die Noten für ein Stück buchstäblich aus dem Hut zauberte und somit ihre (Un-)Ordnung dem Zufall überließ. Er wandte eine musikalische Collagetechnik in nuce an, die vorher nicht vorstellbare Kombinationsmöglichkeiten ermöglichte.

Fast zeitgleich, 1913, schrieb der futuristische Maler Luigi Russolo das Manifest L'arte dei rumori (dt. "Die Kunst der Geräusche") und schuf damit die Utopie für eine bis dahin undenkbare Revolution in der Tonkunst. Zehn Jahre später überlegte László Moholy-Nagy, der Allrounder im Weimarer Bauhaus und Leiter der Metallwerkstatt, wie man durch das Ritzen in Schallplatten direkt Klang erzeugen konnte – ein Prozess, der erst ab den 1970er-Jahren von DJs systematisch realisiert wurde.

Das Eigenleben der Partitur

Das sind nur drei Beispiele dafür, wie die musikalischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts Impulse von außen erhielten, die oftmals aus der bildenden Kunst stammten. Umgekehrt sprengten auch Komponisten die etablierten Genregrenzen: Arnold Schönberg verstand sich ebenso sehr als Maler wie als Komponist, auch wenn seine Bilder weniger revolutionär waren als jene von Wassily Kandinsky, mit dem er einen regen Gedankenaustausch pflegte.

Im Lauf des Jahrhunderts wurde mit der Auflösung traditioneller musikalischer Formen auch der grafische Aspekt der Partituren so bedeutsam, dass dieser sich verselbstständigte und mitunter – in einer wahren "Augenmusik" – zum Wesentlichen wurde. Musiker wurden zu Aktionisten, Literaten zu Bild- und Klangkünstlern, Maler zu Musikern. Das, was Adorno die "Verfransung der Künste" nannte, wurde zu einem weit verbreiteten Phänomen.

Ein "Tao der Musik"

Gerhard Rühm, Mitbegründer der Wiener Gruppe, erkundete solche Grenzüberschreitungen nicht nur in seinen Lautgedichten und in seiner visuellen Poesie, sondern entwickelte außerdem sein ein-ton-stück, das er dezidiert ein "Tao der Musik" nannte, während in den USA gleichzeitig Musik in Meditation und absichtsvolle Absichtslosigkeit überging.

Für Amerika wie Europa die wohl einflussreichste Figur war hier John Cage, und es ist kein Zufall, dass ihm Duchamp ein halbes Jahrhundert nach seinen eigenen musikalischen Experimenten ein Notenblatt schenkte. Cage und die gesamte New Yorker Avantgarde wären undenkbar ohne ihre enge Verbindung zu bildenden Künstlerinnen und Künstlern. Und auch in der Fluxus-Bewegung, die nach dem Dadaismus nochmals den Kunstbegriff radikal infrage stellte, verschmolzen per Aktion klangliche und performative Elemente zu einem Gesamtbild.

Um all diese Entwicklungen kreist die aktuelle Ausstellung Doppelleben. Bildende Künstler_innen machen Musik im Museum moderner Kunst Wien (Mumok). Und es ist nur folgerichtig, dass es in ihrem Zusammenhang eine exemplarische Konzertreihe gibt, die das Thema anschaulich und hörbar macht. Drei Konzerte haben bereits vor dem Sommer stattgefunden, nun wird die Reihe mit vier weiteren Projekten fortgesetzt.

Eine Nitsch-Premiere

Der erste dieser Abende verspricht bereits Spektakuläres: Hermann Nitsch, der im Sommer seinen 80. Geburtstag feierte und als einer der wichtigsten Vertreter des Wiener Aktionismus einen bedeutenden Raum in der Sammlung des Mumok einnimmt, feiert eine Premiere.

In Nitschs Orgien-Mysterien-Theater war vom Künstler selbst geschaffene Musik von Beginn an ein wesentliches Element, außerdem stammen von ihm Werke für Orchester, Orgel (Harmonium) und Streichquartett. Nun aber wird Nitsch selbst auf einer elektronischen Johannus-Orgel für das Publikum improvisieren – und zwar bei seinem "ersten musikalischen Liveauftritt", wie Mumok-Direktorin Karola Kraus betont (4. Oktober).

Von Krautrock bis Folk

Zwei Tage später ist Kontrabassist Michael Duch im Rahmen der Langen Nacht der Museen im Mumok zu Gast. Er präsentiert Werke von Hanne Darboven, die auf bildender Kunst und deren Ordnungssystemen beruhen, Zahlenfolgen in die Zeit projizieren. So ungewöhnlich ausgedehnt sind die Stücke, dass Duch das Projekt als "Marathon" beschreibt (6. Oktober).

Außerdem gastiert die Band der beiden bildenden Künstler Christian Kosmas Mayer und Alexander Wolff, Essachai Vow. Präsentiert werden instrumentale Nummern, die von Jazz, Dreampop, Krautrock und experimenteller Musik inspiriert sind (11. Oktober).

Zum Abschluss der Reihe treten die Künstlerin und Sängerin Emily Sundblad sowie Organist Hampus Lindwall in der Jesuitenkirche auf. Sundblads Horizont reicht von Schubert bis Folkmusic, sie bringt die vitale New Yorker Art-Rock-Scene für diesen Abend nach Wien (25. Oktober). (Daniel Ender, Spezial, 28.9.2018)