Wenn sie nicht Abba singt, Gutes tut oder gegen Donald Trump twittert, pflegt Cher ihre Perücken. Über 2000 sollen es sein.

Machado Cicala / Warner Music

Natürlich geht es sich nicht aus. Die Songs von Abba werden nicht besser, wenn jemand anderer sie singt. Ein Blick in jede x-beliebige Karaokebar dieses Planeten bestätigt das. Cher wusste das sicher, abba natürlich hat sie das nicht abgehalten, sonst wäre sie ja nicht Cher.

Die Popdiva veröffentlicht heute ein Album mit Abba-Coverversionen. Es heißt Dancing Queen, und das Cover zieren zwei Darstellungen Chers: einmal in Blond, einmal schwarzhaarig – Cher als Agneta und Anni-Frid.

Scheitern ist nicht vorgesehen

Geformt hat sich die Idee anlässlich ihres Auftritts in dem Abba-Film Mamma Mia! Here We Go Again. Darin übernahm Cher die Rolle einer vitalen Großmutter und untermauerte so ihr Faible für die schwedische Popgruppe, das schon 1974 entstanden sein soll. Ein anderes Mal soll der Film Muriels Hochzeit verantwortlich gewesen sein.

Aber egal, was es war, wenn Cher von etwas schwärmt, unternimmt sie etwas: Cher if you care. Und ein Scheitern ist im System Cher nicht vorgesehen. Klar kennt der teilweise 72 Jahre alte Popstar Rückschläge. Nur ließ sie sich davon nie von ihrer Mission abhalten.

Berühmt wurde die 1946 geborenen US-Amerikanerin mit dem Folkpopduo Sonny & Cher (I Got You Babe, …). Damals war es Sonny Bono, der für die noch sehr junge Cherilyn Sarkisian alle Entscheidungen getroffen hat.

Lange bevor das Murmeltier täglich gegrüßt hat, war das ein Welthit: I Got You Babe von Sonny und Cher.
TheOldrecordclub

Doch im Wort Entscheidung ist die Scheidung bereits enthalten. Und nachdem Cher sich von dem um elf Jahre älteren Sonny trennte, emanzipierte sie sich. Sie hostete erfolgreiche TV-Shows, hat bis heute 26 Studioalben veröffentlicht und in 18 Filmen gespielt. Niederschlag fand ihr Tun in Auszeichnungen aus den Häusern Oscar, Emmy, Golden Globe oder Grammy.

Wider die Niedertracht

Lange schon ist Cher nicht nur eine Schauspielerin und Sängerin – sie ist eine Marke. Das klingt nach harter Vermarktung zum Zwecke der Gewinnmaximierung. Doch Cher gönnt sich bis heute eine aufgeweckte Renitenz, pflegt ihre Launen und ihren Instinkt, ist aber im richtigen Moment demütig und bescheiden.

Das entspringt einem tiefsitzender Humanismus: Cher kämpft gegen alles, was das individuelle Glück zu beeinträchtigen droht. Der menschlichen Niedertracht entsprechend ist das ein Krieg an vielen Fronten. Doch Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen erscheint ihr weder fair noch Cher.

Leicht und gerecht

Zurzeit reibt sie sich via Twitter vor einem Millionenpublikum an Donald Trump; der soll sie blockiert haben. Das mag mäßig originell sein, doch Cher balanciert Gelassenheit und Gerechtigkeitssinn mit einer Leichtigkeit, die nie in Verbissenheit kippt – die Zeit hat sie gar nicht. Schließlich muss sie ja in Las Vegas auftreten, Gutes tun, tausende Perücken ordnen oder Termine wahrnehmen, mit denen sie den Tücken der Zeit und der Schwerkraft trotzt.

Zuschreibungen, was ihr erlaubt und möglich sei, ignoriert sie seit einem halben Jahrhundert. So wurde sie ein Role-Model für unzählige Frauen – für Popstars wie für Jane Does. Ebenso gibt es kaum eine friedliche Minderheit, die in Cher nicht eine verständnisvolle Patronin und Befürworterin finden würde. Cher, die fleischgewordene Diversität.

Keine Problemkinder

Dazu muss man sich nur das Video zu ihrer Version von Abba-Songs SOS ansehen. Das wirkt wie die Geschichte aller Benetton-Werbungen in drei Minuten. Bloß Männer kommen keine darin vor. Warum sollte sie diesen prächtigen Popsong mit den Problemkindern des Planeten verstellen?

SOS von Cher– keine Männer im Bild. Gut so.
Cher

Und selbst wenn sie diesen zum Weltkulturerbe des Pop gehörenden Songs keine neuen Erkenntnisse entreißen kann, ist sie doch die Frau für dieses Projekt. Die Euphorie dieser Lieder und die ihnen eingeschriebene Melancholie – sie spiegeln das Wesen Cher wider.

Ein Mann nach Mitternacht

Dass sie es sich nicht nehmen lässt, Autotune als stimmveränderndes Werkzeug zu verwenden, mag manchmal stören. In Chers Fall ist es ein Verweis auf ihre Vergangenheit. Schließlich hat sie ihren heuer 20 Jahre alten Hit Believe ehedem ebenfalls autotunisch verändert, gilt also als Mutter dieses Unfugs. Der minimiert das vorhandene Schmachtpotenzial. Denn der leidige Effekt kastriert ein wenig Chers Hingabe an diese Lieder.

Man reiche mir einen Mann! Cher singt Abbas nimmersattes Gimme! Gimme! Gimme! ( Man After Midnight).
Cher

Andererseits ist das Kleingeld, denn Cher geht halt zu ihren Bedingungen in einen Song. Ein Waterloo passiert ihr dabei nicht, sie singt bloß davon. Und von Fernando und dem Mann, den man ihr nach Mitternacht reichen möge: Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight).

Am Ende ist sie dann doch der Winner, der alles nimmt. Aber auch einer, der alles gegeben hat. Deshalb folgt auf The Winner Takes it All noch One of Us. Das stimmt ein bisschen – und ist gleichzeitig kokett bis unters Dach. Eben echt Cher. (Karl Fluch, 27.9.2018)