Der Meister Pieter Bruegel der Ältere wandert höchstpersönlich durch seine Malerei wie durch ein Bühnenbild, arrangiert die Szenerie der sich bis zum Horizont jenseits des Golgotha-Hügels ausbreitenden Landschaft. Er skizziert und zupft an dem sich bauschenden roten Mantel einer knienden Heiligen.

Den Traum, durch so ein meisterlich inszeniertes Bruegel-Gemälde zu spazieren, alle rätselhaften Details aus der Nähe zu betrachten haben viele. Regisseur Lech Majewski hat ihn sich 2011 in Die Mühle und das Kreuz erfüllt. Man folgt dem Müller die nicht enden wollenden Treppen im Inneren eines Felsen hinauf zu seiner Windmühle. Dort oben überschaut er wie Gott die Verkommenheit seiner Schöpfung: Die Kreuztragung Christi hat Bruegel 1564 ins bäuerliche Flandern, mitten hinein in die Grausamkeiten der spanischen Inquisition, gesetzt – ja regelrecht versteckt. (>>>Weiterlesen: Süße Hüllen für bittere Wahrheiten: Pieter Bruegel traf mit seiner Kunst einst den Nerv der Zeit)

Ganze 90 Werke von Pieter Bruegel d. Ä. – Zeichnungen, Kupferstiche, Gemälde – sind in der "Bruegel"-Schau versammelt. Die Wiener Schätze bekommen dabei Besuch von nahen Verwandten: Der "Turmbau zu Babel" etwa vom kleineren, nach 1563 entstandenen Bruder aus dem Rotterdam Museum Bojmans Van Beuningen (Bild).
Foto: Studio Tromp, Rotterdam /Museum Bojmans Van Beuningen

Das brutale Rädern eines Bauern, der dann den Vögeln als Leckerbissen vorgeworfen wird, bleibt einem beim Projekt "Inside Bruegel" erspart. Die Website wurde zum heutigen Start der am Montag in Anwesenheit des belgischen Königspaares Philippe und Mathilde eröffneten, in der Tat einmaligen Bruegel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum (KHM) präsentiert. Eintauchen kann man in das gewaltvolle Geschehen dieses und anderer berühmter Wiener Tafelbilder Bruegels dennoch. Hineinzoomend bis zum Pinselstrich, entdeckt man dort Dinge, die man mit bloßem Auge im Museum niemals erkennen könnte.

Auratische Kraft

Allen Bildreisen und Pixelschwelgereien zum Trotz, die auratische Kraft der Originale des flämischen Altmeisters (1525/30-1569) lebt auch im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit als Keksdosenmotiv. Und umso kräftiger, wenn einem deren Fragilität so bewusst gemacht wird wie aktuell im KHM. Denn Restauratorin Elke Oberthaler und das internationale Kuratorenteam (Sabine Pénot, Manfred Sellink, Ron Spronk) entschieden sich dazu, das monumentale Bild der Kreuztragung aus seinem Rahmen zu nehmen und frei im Raum zu präsentieren.

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Tritt man heran, sieht man am Rand das rohe Holz, ja die Maserung der wenige Millimeter dicken Holztafel aus uralter baltischer Eiche. Demütig macht diese augenscheinliche Verletzlichkeit des Materials, bereit für die Pracht, die hier nach sechs Jahren Forschungs-, Organisations- und Überzeugungsarbeit in fünf Sälen versammelt wurde. Denn die Hüter der Bruegel-Schätze wollen im Grunde nicht, dass diese reisen. Und man geht davon aus, dass dies nach dieser Kraftanstrengung im Vorfeld des 450. Todestag des Meisters 2019, auch nicht mehr der Fall sein wird.

Im KHM ist man jedenfalls gerüstet. Um dem Ansturm gerecht zu werden, sperrt man künftig auch an Montagen auf, hat eine sprechende Website www.bruegel2018.at eingerichtet und auf den Maria-Theresien-Platz zwei Ticketcontainer gepflanzt. Im Budenzauber des Weihnachtsmarkts, wo sich die Schlangen dann wärmen können, werden sie bald nicht mehr weiter auffallen.

Ein echter Pieter Bruegel d. Ä., wie sich nach der Restaurierung und Reinigung des Bildes aus der Galleria Doria Pamphilj in Rom herausstellte: "Der Hafen von Neapel" (um 1563)
Foto: Galleria Doria Pamphilj, Rom

Der Superlativ-Sprech ist dieses Mal keine Marketinghülse. Auch den teils seit 40 Jahren zu Bruegel d. Ä. forschenden Kuratorinnen und Kuratoren scheint ein wenig die Stimme zu brechen. Denn – um kurz die Zahlen sprechen zu lassen – von 40 erhaltenen Tafelbildern sind jetzt ganze 30 in Wien zu sehen; und Wien ist mit zwölf Malereien ohnehin schon die Hauptstadt auf der Bruegel-Landkarte. Genau genommen sind es nun insgesamt 41 Gemälde. Denn der Hafen von Neapel, dieser von Schiffen mit geblähten Segeln übersäte Blick auf Bucht und Vesuv, der lange nur als Kopie nach Bruegel galt, stellte sich nach der Restaurierung, befreit vom Schmutz der Jahrhunderte, jüngst doch als von der Hand des Meisters gemalt heraus.

Ein Stückchen Sommer, um Frühling, Herbst und Winter zu komplettieren: "Die Heuernte" aus dem Jahreszeitenzyklus reiste aus Prag an.
Foto: The Lobkowicz Collections

Was die Besucher schon bisher scharenweise in den Bruegel-Saal lockte, ist sein Jahreszeitenzyklus. Aber der Reigen war nie komplett. Jetzt sind mit der Heuernte aus Prag immerhin vier der ursprünglich sechs für den Geschäftsmann Daniel de Bruyne in Antwerpen entstandenen Bilder beisammen. Nachdem de Bruyne pleiteging, wurde dessen Kollektion, darunter 16 Werke Bruegels, zerschlagen.

Vier Werke zeigen also nun, wie der Künstler die Landschaftsmalerei erneuerte: Frühling, Sommer, Herbst und Winter vermitteln sich nicht nur durch typische Tätigkeiten wie das Schlachten eines Schweines, sondern Bruegel lässt Wetter und Licht sprechen, lässt im Graugrün die Kälte des Eises erzählen. Er zeigt die Weite der Landschaft, die im Verknüpfen der alpinen Gebirgsformationen und der flämischen Dörfer fantastisch und dokumentarisch zugleich ist, baut so genannte Weltlandschaften. Und erzählt zugleich im Kleinen Anekdoten.

Rätselhaft, verborgen

Seine Darstellung des Winters in der Heimkehr der Jäger (1565) löste sogar eine regelrechte Mode aus. Bruegel war Innovator. Ja, in seiner Anbetung der Könige im Schnee (1563) wurde vielleicht sogar zum allerersten Mal in der Malereigeschichte der Zauber gerade zu Boden sinkender Flocken eingefangen. Ganz an den Rand gerückt, verborgen wie so oft, sind die Hauptfiguren der biblischen Erzählung.

Ein Bruegel aus dem Prado zu Gast in Wien: Der "Triumph des Todes zeigt die Welt überrannt und gepeinigt von seiner Skelett-Armee.
Foto: Museo Nacional del Prado

Man kann es Bruegels Spezialität nennen, dass auch das zentrale Thema nicht offensichtlich wird. Er kaschiert, verbirgt, zwingt auf diese Weise dazu, dem Augenfälligen zu misstrauen und sich wie ein Entdecker Zentimeter für Zentimeter der Bildoberfläche zu erobern. Die Schaulust ist schier endlos. Bei Bruegel sogar, wenn es um die gnadenlose Skelett-Armee im Triumph des Todes (nach 1562) geht. (Anne Katrin Feßler, 2. 10. 2018)