Bonn – Die medizinische Forschung setzt große Hoffnung in den Einsatz von Stammzellen. Sie könnten dazu dienen, neurologische Krankheiten zu erforschen und womöglich Ersatz für defektes Hirngewebe zu züchten.

Wissenschafter des Universitätsklinikums Bonn und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) konnten nun Blutzellen von Erwachsenen zu neuralen Stammzellen umprogrammieren und sie gleichzeitig verjüngen. Als Ausgangsbasis dienten ganz normale weiße Blutkörperchen. Diese hatten sie zuvor erwachsenen Spendern unterschiedlichen Alters entnommen.

In die Zellen schleusten sie anschließend zwei so genannte Transkriptionsfaktoren ein, also Proteine, die selektiv die Aktivität bestimmter Gene steuern. Dadurch gelang es ihnen, die Blutkörperchen zu neuralen Stammzellen umzuprogrammieren. Aus diesen wiederum konnten die Forscher dann sowohl Nerven- als auch unterschiedliche Arten von Gliazellen züchten. Das sind jene Gewebetypen, die den Großteil des menschlichen Gehirns ausmachen.

Verjüngerungskur für alte Zellen

"Wir haben also Blut- in Gehirnzellen umgewandelt, ohne sie genetisch in irgendeiner Form zu verändern", betont Michael Peitz vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn. Was die Wissenschafter noch beobachten konnten: Mit dieser Verwandlung verjüngten sich auch die Zellen.

Während des Alterungsprozesses von Zellen werden manche Gene mit einem chemischen Etikett versehen und dadurch hoch- oder heruntergefahren. Alte Zellen haben daher ein charakteristisches Genaktivitätsmuster, das sich von dem junger Zellen unterscheidet. Die Forscher konnten beobachten, dass bei der Reprogrammierung die altersbedingte Etikettierung nahezu vollständig rückgängig gemacht wurde.

"Die Stammzellen unterschieden sich in ihrer Genaktivität und ihrer Funktion kaum von denen eines Neugeborenen." Diese "jugendlich-fitten" Zellen eignen sich möglivherweise besonders gut für Gewebeersatz-Therapien, hoffen die Forscher.

Abkürzung nehmen

Dass sich aus weißen Blutkörperchen Hirnzellen züchten lassen, ist keine neue Erkenntnis. Allerdings war der Herstellungsprozess bislang komplizierter: Aus dem Blut wurden zunächst so genannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) hergestellt, die sich in die unterschiedlichsten Gewebetypen entwickeln können. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die Umwandlung dieser zellulären Allrounders in neurale Stammzellen. "Insgesamt kann dieser Prozess vier Monate und mehr in Anspruch nehmen", erklärt Peitz.

Die neue Methode ist sozusagen eine Abkürzung, ohne den Zwischenschritt über die iPS-Zellen. Sie benötigt daher nur gut zwei Wochen. Die Forscher nutzten ihr Verfahren bereits, um aus den Blutzellen von Patienten mit einer seltenen angeborenen neurologischen Störung Hirngewebe zu züchten. Solche Zellkulturen erlauben einen detaillierteren Einblick in die Krankheitsmechanismen. Dieser wiederum ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung neuer Behandlungsansätze. (red, 2.10.2018)