Im Anton-Reinthaller-Haus nahe dem Attersee fand 1970 die erste Tagung des Arbeitskreises statt. 2014 wurde der Verein wiederbelebt.

Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/dinkaspell

Der STANDARD-Bericht über den Atterseekreis vom 28. September kommt ohne jede Bezugnahme auf dessen Texte aus. Eine Ergänzung um diese inhaltliche Dimension ist aber dringend notwendig, um nicht lediglich die freiheitliche Selbstdarstellung zu reproduzieren. Denn von einer Abkehr vom völkischen Rechtsextremismus kann hier keine Rede sein, sondern nur von dem Versuch einer Intellektualisierung.

Kurz nach seiner Kür zum Präsidenten des Atterseekreises absolviert Norbert Nemeth, der Direktor des FPÖ-Parlamentsklubs, ein Interview mit der FPÖ-nahen Plattform unzensuriert.at. Darin stellt er das Projekt explizit in den Dienst der "konservativen Konterrevolution". Nemeth muss wissen, dass der Begriff "konservative Revolution" eindeutig mit den intellektuellen Wegbereitern des Nationalsozialismus während der Weimarer Republik konnotiert ist; etwa Oswald Spengler, Ernst Jünger oder Carl Schmitt. Es handelt sich um eine Chiffre, die bei Identitären, Deutschnationalen und Neonazis gleichermaßen auf offene Ohren stoßen wird.

Bizarrer Vergleich

Und es ist auch ausgerechnet Schmitt, der "Kronjurist des Dritten Reichs", der in einem richtungsweisenden Beitrag mit dem Titel "Der Wal" im August 2017 herbeizitiert wird. In diesem "Einstandstext" als neuer Chef geht es Nemeth um den Versuch, ein freiheitliches Staatsverständnis zu umreißen. Die zentrale Metapher dazu findet er in Melvilles Roman "Moby Dick" und in der biblischen Jonas-Geschichte. Als Furchtbild gegen diesen schützenswerten Staat fungiert Andreas Baader, denn die RAF wollte den Staat in blindem Hass zerstören, ähnlich wie Kapitän Ahab in blinder Kompromisslosigkeit den Wal jagt. Das ist zwar bizarr, erklärt aber noch nicht, was da für ein Begriff von Staat verteidigt werden soll. Einer Erläuterung dazu am nächsten kommt Nemeth mit folgendem Zitat, das gewissermaßen den dramaturgischen Höhepunkt des Textes bildet: "Wenn der Staat den Ausnahmezustand nicht mehr rechtlich zu verfassen vermag, verbürgt die theologische Reflexion noch die rechtliche Wertung. Jenseits des Staates gibt es ein Gottesrecht."

Dieses Zitat wird von Nemeth Carl Schmitts Hobbes-Analyse von 1938 zugeschrieben. Es sei nämlich Schmitt gewesen, der den biblischen Leviathan mit dem Bild des starken Staates verbunden habe. Und über diesen Leviathan sei der freiheitliche Mensch aufgerufen, seine schützende Hand zu halten. Der Schlüssel zum Verstehen von Nemeths Text, der wie ein einziger mythisch aufgeladener Code wirkt, liegt also offenbar in Schmitts Hobbes-Buch.

Schmitts Verschwörungstheorie

In "Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols" entfaltet Schmitt die These, dass der Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588–1679) in seinem berühmten Leviathan-Buch eine folgenschwere "Bruchstelle" eingebaut habe: die politische Unterscheidung von "öffentlich" (dem äußeren Bekenntnis) und "privat" (dem inneren Glauben des Individuums). Im historischen Verlauf habe sich das als "Todeskeim" des Leviathan erwiesen, denn damit war der souveräne Staat bereits mit dem Liberalismus infiziert, der sich letztlich im Rechts- und Verfassungsstaat durchgesetzt hat. Unnötig zu erwähnen, Schmitt ist kein Freund dieser Entwicklung, aber er weiß immerhin die Schuldigen zu benennen: die Juden.

Nach Schmitts Verschwörungstheorie gab es eine Reihe von liberalen Juden (angefangen mit Spinoza), die aus Hobbes – lediglich als Vorbehalt gemeinter – Unterscheidung ein Prinzip machten: Damit trat die individuelle Gedankenfreiheit an die Stelle der – sich aus dem "Volk" legitimierenden – souveränen Staatsmacht. Dies sei eine "kleine, umschaltende Gedankenbewegung aus der jüdischen Existenz heraus" gewesen. Nach Schmitt wird der Staat folglich zu so etwas wie einer entkernten, neutralen Maschine; es zählt nicht länger der mythologisch und rassisch begründete Volkswille – in dem private und öffentliche Meinung dasselbe zu sein haben –, sondern ein volksfeindlicher Individualismus, der dem Judentum dient. Antisemitismus, Antiliberalismus und Antiindividualismus sind hier nicht mehr voneinander zu unterscheiden; vielmehr imaginiert Schmitt Liberalismus als "jüdisches Prinzip".

Der Text ist resignativ: Unter der Vorherrschaft einer "jüdischen Deutung" sei der große Wal erlegt und ausgeweidet worden. Dem Schmitt-Experten Reinhard Mehring zufolge halte Schmitt dennoch an der "Utopie eines 'totalen' Staates" und seiner "politischen Theologie" fest. Deshalb habe er in dem Hobbes-Text nach einem neuen Niveau zur "Verwissenschaftlichung seines Antisemitismus" gesucht. Kurzum: Schmitts "theologische" Formulierungen zielen auf ein völkisches Homogenitätsideal und verhandeln dieses als die "wahre Demokratie", deren Feind stets als "das Jüdische" bestimmt wird.

"Die Stoßrichtung"

Was reitet nun Nemeth, den selbsternannten Walschützer, dazu, sich so explizit auf diesen Schmitt-Text aus der NS-Zeit zu beziehen? Der Wal-Beitrag ist immerhin kein Artikel unter vielen, sondern er gibt "die Stoßrichtung" der Zeitschrift vor, so Chefredakteur Jörg Mayer; auch die ästhetische Aufmachung des Attersee-Reports scheint die Bedeutung des Textes zu unterstreichen: Ein Wal ziert das Cover jedes Heftes, und eine Walflosse bildet das Logo des Projekts.

Die Tatsache, dass Nemeth Mitglied bei der deutschnationalen Burschenschaft Olympia ist, ist aufschlussreich. Auf deren "Verstrickungen mit dem organisierten Neonazismus" weist das DÖW seit nunmehr 20 Jahren hin; mehrfach medial aufgefallen ist die Verbindung aufgrund ihres bizarren Fetischs für singende Neonazis; zudem gibt es den begründeten Verdacht (keinesfalls zu verwechseln mit dem "stichhaltigen Gerücht" nach Johann Gudenus), dass der Holocaustleugner David Irving 2005 zu Gast bei Olympia gewesen wäre, wäre da nicht seine Verhaftung dazwischengekommen. All das ist nicht neu, aber eingedenk dessen, das Nemeth inzwischen allen Ernstes als Koordinator bei der sogenannten Historikerkommission mitarbeitet, ist es nötig, all dieses Altbekannte zu wiederholen.

Neuer Ton für Altbekanntes

Zurück zum Atterseekreis, der von Granden des dritten Lagers unter der Schirmherrschaft des stellvertretenden oberösterreichischen Landeshauptmanns Manfred Haimbuchner betrieben wird. Dort finden sich also nicht nur neoliberale und konservative Positionen. Nein, in Nemeths Denkfabrik werden auch völkische, deutschnationale, rassistische, reaktionär-romantische und antisemitische Traditionslinien amalgamiert; für dieses Altbekannte soll ein neuer Ton entwickelt werden. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. (Simon Stockinger, 9.10.2018)