Es gibt nur wenige Bauten, über die mehr als 100 Jahre nach ihrer Errichtung weltweit und nicht nur in Fachkreisen mit so viel Ehrfurcht und Bewunderung gesprochen wird. Das Palais Stoclet ist ein solches: Das Denkmal einer Wiener Kulturepoche, das fernab in Brüssel zwei Weltkriege, Immobilienspekulationen und Städteverdichtung unbeschadet überstand. 2009 wurde es als Gesamtkunstwerk von der Unesco zu einer der Welterbestätten Belgiens ernannt.
Der sorgsame Umgang mit dem Erbe ist zeitgleich eine bittere Pille für Interessierte: Der öffentliche Zugang bleibt verwehrt, denn es befindet sich bis heute im Besitz der Familie des einstigen Bauherren. Einblick gewähren deshalb nur die in der Fachliteratur publizierten historischen Aufnahmen des Interieurs und sporadisch solche jüngeren Datums. Etwa aktuell, in einem Auktionskatalog von Christie's, anlässlich der Versteigerung von 28 Meisterwerken afrikanischer und ozeanischer Herkunft aus direktem Familienbesitz in Paris (30. 10.).
Alles begann 1902 in Wien
Die Geschichte zu deren prunkvoller Herberge nahm im Jahre 1902 in Wien ihren Anfang. Der damals 31-jährige Adolphe Stoclet, ein ausgebildeter Ingenieur und Sohn des vermögenden Eisenbahnexperten und Bankiers Victor Stoclet, übersiedelte mit seiner Ehefrau Suzanne und drei Kindern nach Wien. Aus beruflichen Gründen, zum Zwecke der Restrukturierung der von der Austro-Belgischen-Eisenbahngesellschaft betriebenen Aspangbahn.
Das Ehepaar genießt das kulturelle Angebot, besucht regelmäßig Ausstellungen, und dementsprechend wächst ihr Bekanntenkreis: Dazu gehörten etwa Oskar Kokoschka, Alma Mahler, Gustav Klimt, Carl Otto Czeschka und Fritz Wärndorfer. Der Schlüsselmoment begab sich während eines Spaziergangs auf der Hohen Warte und angesichts einer Villa: jener von Carl Moll, 1900/01 nach Plänen von Josef Hoffmann erbaut. Der Hausherr fungiert als Vermittler, rückblickend ein Glücksfall für die Architekturgeschichte.
Einzigartiges Materialfest
Die Pläne für eine Villa in der Umgebung zerschlugen sich. Stoclets Vater erkrankte schwer, Adolphe musste dessen Geschäfte übernehmen und kehrte mit seiner Familie nach Brüssel zurück. Dort beauftragte er Josef Hoffmann 1905 mit dem Bau eines Palais in der Avenue de Tervueren: Hier realisierte der Architekt in Zusammenarbeit mit "seiner" Wiener Werkstätte (WW) in sechsjähriger Bauzeit die Idee eines Gesamtkunstwerkes, das in mehrerlei Hinsicht seinen Vergleich sucht.
Auch gemessen an dem dabei verprassten Vermögen. Bis heute sind die Gesamtkosten für das Prachtwerk nicht bekannt, Stoclet, so besagt die Legende, soll dieses Geheimnis ebenso mit ins Grab genommen haben wie ein schwarz-weißes Stofftaschentuch, entworfen von Hoffmann. Schon 1906 belief sich allein der WW-Kostenvoranschlag für Einrichtung und künstlerische Ausstattung auf 600.000 Kronen (umgerechnet 3,45 Mio. Euro). Das Budget wurde deutlich überschritten, allein aufgrund des bis zur Fertigstellung verarbeiteten Marmors (u. a. Paonazzo, Bleu Belge), von Gustav Klimts opulentem Fries für den Speisesaal mit kostbaren Halbedelsteine ganz zu schweigen.
Hinwendung zum Kunstgewerbe
Die mit diesem Materialbild verbundene Hinwendung zu kunstgewerblichen Techniken spiegelt sich auch in zeitnah geschaffenen Gemälden Klimts wider: Etwa im 1907 fertiggestellten Bildnis Adele Bloch-Bauer I oder ein Jahr später im Liebespaar (Kuss), in denen er Gold, Silber, Metall, Buntsteine, Keramik, Email, Mosaik und Perlmutt mit den Mitteln der Malerei nachzuahmen versuchte.
Beim Stoclet-Fries konnte er seine Vorstellungen realisieren, wenngleich sein Perfektionismus andere nahezu in die Verzweiflung trieb: "Jetzt habe ich ihm eine ganze Marmortafel mit eingelegtem Goldmosaik in sieben verschiedenen Nuancen und 20 Emailproben geschickt, damit er wählt und natürlich ist ihm gar nichts recht", schrieb Fritz Wärndorfer (WW-Geschäftsführer) 1910 an Stoclet, und zur Figur der Tänzerin vermerkte selbiger, "die Dame bekommt ein Kleid, das ganz voll mit WW-Schmuck behangen sein muss. Am Schluss wird der Klimt noch verlangen, dass die Madame Stoclet ihre Perlen auf den Marmor hängt."
So weit die Geschichte des Palais, das von der zeitgenössischen Kritik teils überschwänglich gelobt wurde: ein "einzigartiges Materialfest", ein "Markstein in der Geschichte der modernen Baukunst".
"Das vollkommenste Haus der Welt"
Für den Bauherren war es einfach nur "das vollkommenste Haus der Welt", das er bis zu seinem Tod 1949 mit Kunstwerken aus aller Welt und über Epochen hinweg füllte: mit Gemälden Alter Meister, Antiquitäten, mittelalterlichen Relikten sowie Antiken, Asiatika und Kultgegenständen außereuropäischer Herkunft. Im Laufe der Jahre verkaufte die Familie einige Objekte aus dieser einst opulenten Sammlung, deren Name für Qualität bürgt und unter Sammlern dementsprechend gefragt ist. Nicht selten waren damit Zuschläge in unerwarteter Höhe und Rekordwerte verknüpft. Gerade auch im Bereich afrikanischer Kunst, wie eine Lega-Maske aus dem Kongo belegt, die 2016 bei Sotheby's statt der erwarteten 1,5 stattliche 3,67 Millionen Euro einbrachte.
Stammeskunst-Objekte
Für die nun bei Christie's in Paris anberaumte Auktion hält Erwin Melchardt den einen oder anderen Rekord für sehr wahrscheinlich. Weniger als jahrelanger Kunstkritiker (Kronen Zeitung), sondern als leidenschaftlicher Sammler außereuropäischer Kunst. Als Experte hielt er Vorlesungen an der Universität für angewandte Kunst, beriet das Dorotheum (2010-2017) und erstellte nebenher einen Bestandskatalog der Stammeskunst-Objekte im Leopold-Museum. Die Sammlung Stoclet sei in Fachkreisen wohlbekannt, betont der 74-Jährige.
Welche der 28 Lots ihm besonders gefallen? Die einen Leoparden darstellende Nackenstücke aus dem Kongo oder auch der Karyatidenhocker eines Louba-Häuptlings gleicher Herkunft. Für beide Objekte beziffert Christie's den Schätzwert auf jeweils 300.000 bis 500.000 Euro. Stolze Schätzwerte? Nein, für diese erstklassige Qualität sei das marktkonform. Melchardt prognostiziert eher Zuschläge, die deutlich darüber liegen. Das Auktionshaus gibt sich indes bescheiden und beziffert die Erwartungen für die Stoclet-Schützlinge auf zwei Millionen Euro insgesamt. (Olga Kronsteiner, 7.10.2018)