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Mary Beard ist eine der bekanntesten Alterrumsforscherinnen.

Foto: Picturedesk/John Stillwell

Lehnen Sie sich doch einmal einen Augenblick zurück, schließen die Augen und stellen sich einen mächtigen Menschen vor. Geschafft? Die meisten von uns sehen bei so einem Versuch keine Frau vor sich, lautet der Befund von Mary Beard. Und das sei selbst dann der Fall, wenn man selbst eine Frau in einer Machtposition ist wie Beard, Universitätsprofessorin in Cambridge: "Das kulturelle Stereotyp ist so stark, dass es mir bei jener Fantasie mit geschlossenen Augen immer noch schwerfällt, mir mich oder jemanden wie mich in dieser Rolle vorzustellen."

Die britische Altertumsforscherin hat sich in ihrer akademischen Arbeit immer wieder zur Aufgabe gemacht, jenen Minoritäten eine Stimme zu geben, die bislang im Hintergrund der Geschichtsschreibung gestanden sind: Homosexuelle in der Antike, Fremde im Alten Rom, Frauen in der antiken Gesellschaft.

Ihr jüngstes Buch Frauen & Macht, das heuer auf Deutsch erschienen ist, vereint einen Aufsatz zur öffentlichen Stimme der Frau und einen Aufsatz zu Frauen in Machtpositionen. Beard beschäftigt sich darin mit der Frage, welche Mechanismen in der westlichen Kultur verwurzelt sind, die Frauen zum Schweigen bringen und sie aus Machtzentren ausschließen. Sie sei sehr wütend gewesen, als sie den Text geschrieben hat, ließ Beard wissen. Und so ist ein historisch fundierter und bisweilen angriffslustiger Text entstanden, dem die Bezeichnung "Manifest" gut ansteht.

Den Mund verbieten

Beard ist nicht zimperlich in ihrer Kritik: "Die abendländische Kultur ist seit Jahrtausenden geübt darin, Frauen den Mund zu verbieten." Um das zu belegen, unternimmt sie einen Streifzug durch eine ganze Reihe an großen und kleinen Beispielen aus der Antike, in denen Frauen ihrer Stimme beraubt wurden.

Beards Analyse zufolge hat das damit zu tun, dass in der antiken Kultur Männlichkeit auch über die öffentliche Rede definiert war. Wenn Frauen die Rede ergreifen, waren sie daher nicht mehr Frau, sondern androgyn. Dieses Denkmuster setze sich bis heute in der öffentlichen Debattenkultur fort.

Warum es wichtig ist, die Brücke zu schlagen zwischen Shitstorms auf Twitter und Co, die Frauen aktuell erleiden, und antiken Mythen der Erniedrigung von Frauen, begründet Beard: "Natürlich lässt sich das derzeitige Klima mit 'Frauenfeindlichkeit' beschreiben. Wenn wir jedoch verstehen wollen, warum Frauen, selbst wenn ihnen nicht der Mund verboten wird, noch immer einen sehr hohen Preis zahlen, um Gehör zu finden – und wenn wir daran etwas ändern möchten -, dann müssen wir einsehen, dass das Ganze komplizierter ist und eine lange Geschichte dahintersteht."

In der jetzigen Situation sei es "unerheblich, welche Richtung eine Frau einschlägt, die sich in traditionell männliches Territorium vorwagt – die Beleidigung erfolgt auf jeden Fall". Dabei schöpft Beard auch aus persönlichen Erfahrungen. Als eine der bekanntesten zeitgenössischen Altertumsforscherinnen ist sie selbst immer wieder Adressatin von Feindseligkeiten gewesen.

Pointierte Analyse

Beard ist freilich nicht die Erste, die sich mit der Frage der Stimme und Macht von Frauen beschäftigt. Ihre pointierte Analyse, die bis zu den Anfängen der abendländischen Kultur zurückreicht, bietet in der #MeToo-Debatte einen fundierten Beitrag zur Frage, warum viele Frauen erst Jahre nachdem ihnen Unrecht widerfahren ist darüber sprechen. Es steckt eine lange Kulturgeschichte dahinter, die Frauen erschwert, das Wort zu ergreifen. Nur wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen verstehen, können wir ihnen entgegenwirken, lautet Beards Credo.

Somit entpuppt sich ihr Manifest für Frauen auch als eines für die Altertumsforschung: "Ein genauerer Blick auf Griechenland und Rom verhilft uns zu einem genaueren Blick auf uns selbst und zu einem besseren Verständnis davon, wie wir gelernt haben, so zu denken, wie wir es tun." (Tanja Traxler, 15.10.2018)