Michael Amon: Kreisky wäre nie ohne Maßschuhe und Maßanzug aus dem Haus gegangen.

Illustration: Felix Sunshine Grütsch

Die steirische SP-Landtagsabgeordnete Michaela Grubesa hat unlängst mit scharfem Blick und klarem Verstand erkannt, woran es bei der Sozialdemokratie krankt: An jeder Ecke hockt ein Bobo und versperrt den Wählern den Blick auf die SPÖ. Insbesondere die Bestellung von Thomas Drozda stieß der aufmerksamen Beobachterin auf, ein "Bobo" und "Akademiker im Anzug" sei er, und – horribile dictu – "jemand, der sicher jedes große Shakespeare-Zitat in fünf verschiedenen Sprachen auswendig kennt". Was soll man da sagen außer: "My kingdom for a horse" ... Ein Königreich für einen Pferdefuß!

"Thomas! Mir graut's vor dir", wird es Genossin Grubesa durchzuckt haben. Nicht ahnend, dass sie tief im Bildungsmorast wühlend leicht abgewandelt Goethe zitiert. Zur Strafe muss sie rüber ins Eckerl zu den Bobos, die leider nicht "im Fußballstadion ein paar Bier kippen oder Eisstock schießen gehen würden". Liebe SPÖ! Alle Probleme sind gelöst: ein paar Bierchens im Westblock von Rapid und Eisstockschießen auf der zugefrorenen A2 ist das, worauf die Stammwählerschaft wartet. Übrigens: Der Begriff des Bohémien wurde im Paris des 19. Jahrhunderts neu geprägt für jene arbeitslosen Pseudokünstler, die in dunklen Löchern dahinvegetierten und sich mehr mit Alkohol als mit Kunst beschäftigten. Ka Hackn, ka Kohle, kurz: ein Scheißleben. Merke: Nichts ist verächtlicher, als wenn Bobos Bobos Bobos nennen (frei nach Tucholsky).

Vorwurf Allgemeinbildung

Das Ärgerliche an den Aussagen von Frau Grubesa ist der Vorwurf, über eine gewisse Allgemeinbildung zu verfügen. Es war eine der vornehmsten Aufgaben der Sozialdemokratie, die Arbeiterschaft aus dem Stumpfsinn zu holen und ihr den Wert der Allgemeinbildung mitsamt deren Inhalten zu vermitteln. Unter anderem auch Shakespeare und nicht zu meinen, Ausbildung sei schon Bildung und es reiche, die Gesellschaft im Wortmüll des Boulevards absaufen zu lassen. Es wäre eine der dringendsten Aufgaben der SPÖ, Vorschläge zu machen, wie man die 25 Prozent Analphabeten in die Lage versetzt, Shakespeare wenigstens auf Deutsch lesen zu können.

Frau Grubesa aber würde ich einen erhellenden Geschichtskurs empfehlen. Dann würde ihr dämmern, dass die großen sozialen Umwälzungen nicht auf dem Fußballplatz oder beim Eisstockschießen errungen worden sind. Die Führungsteams der Sozialdemokratie rekrutierten sich nur in geringer Zahl aus den Kartendipplerrunden im Stadtpark oder den winterlichen Eisstockschützen auf dem Altausseer See, sondern meist aus hochgebildeten Leuten der Oberschicht.

Wenn wir gleich am Beginn beginnen: Friedrich Engels war Industrieller mit frivolem Liebesleben und Bobo, bevor diese noch erfunden waren. Karl Marx kam für damalige Verhältnisse aus vermögendem Haus und war mit einer Adeligen verheiratet (Jenny von Westphalen). Hurtig geht es weiter mit Ferdinand Lassalle. Er war Sohn eines steinreichen Seidenhändlers und einer der Gründerväter der deutschen Sozialdemokratie. Als das Gründungswerk erledigt war, starb das Mitglied der Breslauer Burschenschaft im aktiven Klassenkampf: bei einem Duell um die Tochter des Adeligen Wilhelm von Dönniges. Wer es nicht ganz so adelig will: Herbert Marcuse war bis 1918 Mitglied der SDAP, was den Zugang der Partei zur Arbeiterschaft keineswegs beeinträchtigte.

In Österreich war einer der herausragendsten Intellektuellen, Otto Bauer, nicht nur Sohn eines schwerreichen Textilfabrikanten, sondern auch Begründer des Austromarxismus und jahrzehntelang Parteivorsitzender. Victor Adler war der Sohn eines vermögenden Prager Kaufmannes, der mit Immobiliengeschäften reich geworden ist, steckte sein Vermögen in die Arbeiter-Zeitung und gründete die österreichische Sozialdemokratie. Bruno Kreisky, Säulenheiliger der SPÖ, hatte es auch nicht so mit der Armut und wäre nie mit etwas anderem als Maßanzug und Maßschuhen aus dem Haus gegangen. Er wohnte in einer riesigen Villa, die ihm von einem der reichsten Industriellen das Landes zum Okkasionspreis zur Verfügung gestellt worden war. Heute würden sich da Fragen der Compliance stellen.

Kleist in der Künette

Mein Vorschlag an Frau Grubesa: beim Wiener Bürgermeister Michael Ludwig nachfragen, ob er einen Weiterbildungstipp geben kann. Der hält nämlich seit Jahrzehnten als Chef des Aufsichtsrats der Volkshochschulen bis heute die Idee der Arbeiterbildung hoch, ohne dabei die Nase zu rümpfen, wenn ein Arbeiter in der Künette Kleist zitiert.

Wo waren die "echten" Arbeiter im Bundesparteivorstand der SPÖ seit 1945? Die kann man an einer Hand abzählen. Und waren längst und lange vor Androsch "Nadelstreifsozialisten". Wenn Frau Grubesa nun so etwas Ähnliches wie die ReproletARISIERUNG der SPÖ verlangt, kann das nur und bestenfalls komisch enden. Denn wie Marx uns belesenere Bobos lehrt: "Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

Die Farce sind wir gerade dabei hinter uns zu bringen. (Michael Amon, 5.10.2018)