Menschenmassen sind im Museum die Ausnahme. Im Belvedere 21 wurde nun dennoch ein Personenleitsystem aufgestellt. So eines aus schwarzen Absperrbändern, wie wir es zum Beispiel vom Flughafen kennen. Es verhindert vorm Security-Check Chaos, sorgt dafür, dass wir uns brav platzsparend anstellen. Im Kunstraum platziert, führt ein solches Minilabyrinth dazu, dass man in Schlangenlinien dahinspaziert, wo man ansonsten geradeaus ginge.

Spätestens bei der dritten Kurve beginnt man sich zu wundern: Wie selbstverständlich einem nichts als ein paar textile Bänder den Weg vorschreiben können. Wie rasch man sich, drastisch formuliert, ohne echten Anlass ein Stück seiner Freiheit rauben lässt. Wie "faul" man eigentlich geworden ist, dass man sich nicht einfach unter dem Band durchduckt. Kinder zuckten da nicht mit der Wimper.

Der erste Schritt zur Freiheit ist nicht selten, dass man sich ein bisschen querlegt. Die Performance im Bild stammt aus Anna Witts Projekt "The Radical Empathyarchy", für das die Künstlerin mit Jugendlichen arbeitete.
Foto: Anna Witt

Zarte Verwunderungen

Wer sich auf diese zarten Verwunderungen einlässt, ist eingestimmt auf die aktuelle Ausstellung im Belvedere 21 (ehemals 21er-Haus). Sie befasst sich mit keinem geringeren Thema als dem Wert der Freiheit. Das klingt nicht nur nach einem steilen Unterfangen, es ist eins. Wenige Begriffe sind geistesgeschichtlich so vorbelastet wie die Freiheit. Diskussionen über das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft werden vermittels dieses Begriffs geführt; auf die Beziehung des Einzelnen zur Gesellschaft lässt er sich münzen; Philosophen der Aufklärung zielten damit auf die Unabhängigkeit des Geistes vom Körper. Usw.

Der Belvedere-Kurator Severin Dünser weiß überdies, dass Freiheit ein "Prozess" und etwas Relatives ist. Er begegnet ihrer Komplexität, indem er sie in rund 50 Positionen der Gegenwartskunst "umkreist". Ein bisschen müssen Betrachter dabei achtgeben, dass ihnen nicht schwindlig wird. Die Perspektivwechsel können rasant sein im dicht bestückten Ausstellungsraum.

Ein Zeichen gegen die Wegwerfkultur setzt Igor Grubic mit der Aktion "Against Trash" (2008-2009).
Foto: Igor Grubic

Strichcodes und blutige Tücher

Eben war man noch mit einer Smartphone-App befasst, die dem zur Mündigkeit bereiten Konsumenten per Strichcode-Scan detaillierte Informationen über Produkte im Supermarkt ausspuckt. Dann trifft man schon auf Fotografien Igor Grubics, dessen Interventionen im öffentlichen Raum von Zagreb die Geschichte der Freiheitskämpfe thematisieren. Zum Beispiel band der Künstler antifaschistischen Statuen rote Tücher um, um sie symbolisch zu neuem Leben zu erwecken.

Irgendwo dazwischen traf man noch auf ein Objekt der Mexikanerin Teresa Margolles, die das blutige Tuch einer Ermordeten besticken ließ, um die Gewalt gegen Frauen in Nicaragua anzuprangern. So triftig indes die Absicht, so drastisch die Umsetzung sein mag: Durch die Überfülle in der Ausstellung wird Margolles' Statement auf eigenartige Weise eingeebnet. Generell droht manche Position hier schlicht den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie zum Opfer zu fallen.

Bei der Besetzung der Krim 2014 verschleierte Russland die Zugehörigkeit von Soldaten, um internationale Entscheidungsfindungen über ein Eingreifen zu erschweren. Mit dieser Taktik befasst sich Tobias Zielonys Video "Maskirovka" (2017).
Foto: Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin Video

Manifest durch Algorithmus

Das ändert nichts am Reiz einzelner Arbeiten. Wer sich in Anbetracht der politischen Situation wünscht, dass Christoph Schlingensief herunterschauen möge, bekommt hier wenigstens ein Video zu Church of Fear serviert. Unter ebendiesem Titel inszenierte der Aktionskünstler eine satirische politische Bewegung, die das Gefühl der Angst zum Programm machte. Ebenso erfreut ein Selbstporträt der Wiener Transgender-Malerin Ashley Hans Scheirl, das hier im Kapitel über das Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft untergebracht ist.

Eine wichtige Einsicht, die aufzufrischen die Ausstellung Der Wert der Freiheit jedenfalls helfen kann, ist: Ein jedes Ding hat viele Seiten. Zum Beispiel die modernen Technologien. So manche Arbeit der Schau beruft sich auf die Selbstermächtigung, die durch soziale Netzwerke und mobile Technologien möglich ist. Dem Cyberfem Manifesto Generator von Isabella Celeste Maund muss man sieben Fragen beantworten, dann spuckt ein Algorithmus ein personalisiertes feministisches Manifest aus.

Der Medienkünstler Julian Oliver zeigt demgegenüber die dystopische Seite der Technologie. Er hat am Eingang ein Gerät installiert, das Rufnummern von im Raum befindlichen Handys eruiert und diese anpiept. Vollautomatisch und ungefragt. (Roman Gerold, 8.10.2018)