"Wer hochkonzentriert arbeitet, muss auch faul sein und sich langweilen", sagt Informatikprofessor Cal Newport.

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Der Psychiater Carl Gustav Jung baute sich 1922 einen Turm am nördlichen Ufer des Zürichsees. Nicht als Ferienhaus, sondern als Ort, wo er ungestört arbeiten konnte. Bereits im 16. Jahrhundert schrieb Michel de Montaigne in einer eigens errichteten Privatbibliothek, und Bill Gates zieht sich für seine "Denkwochen" in eine Hütte am See zurück. Jung, de Montaigne und Gates erschufen dort einzigartige Ergebnisse. Was machte sie so erfolgreich?

Mit Sicherheit nicht das eigens errichtete Gebäude – wobei das mitunter hilfreich sein kann. Sondern: Deep Work, sagt Cal Newport, Informatikprofessor an der Georgetown University in Washington, D.C. und Autor des gleichnamigen Bestsellers. Deep Work ist keine neue Arbeitsmethode, der Name aber kommt von Newport und meint hochkonzentrierte Arbeit für etwa vier Stunden, bei der man nicht unterbrochen und abgelenkt wird, sodass man wertvolle Ergebnisse erzielt, die schwer zu kopieren sind und die einen beruflich weiterbringen, weil man unersetzbar wird, so sein Versprechen. Das erzeuge zudem Sinnhaftigkeit in der eigenen Arbeit.

High Performer

Das Gegenteil definiert Newport als Shallow Work: anspruchslose Arbeit, die keine speziellen Fähigkeiten oder Konzentration verlangt, sondern oberflächlich ist, etwa Meetings oder E-Mails verfassen. Daraus resultiert die Deep-Work-Hypothese, wie Newport in seinem Buch schreibt: "Die Fähigkeit zu Deep Work ist zunehmend selten und gleichzeitig zunehmend wertvoll in unserem wirtschaftlichen Umfeld. Infolgedessen gehört der Erfolg den wenigen, die diese Fähigkeit kultivieren und zum Kern ihrer beruflichen Tätigkeit machen." Zu diesen wenigen zählt Newport hochqualifizierte Arbeitskräfte, Talente an der Spitze der unterschiedlichen (globalen) Branchen und jene, die das Kapital haben, in neue Technologien zu investieren und so Umstrukturierung vorantreiben.

Sein Buch gibt, nach einem Plädoyer für Deep Work, anhand von vier Regeln eine Anleitung, wie man zu einem dieser gefragten High Performer wird. Erstens: Häufiger konzentriert arbeiten. Zweitens: Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, erhöhen. Drittens: Ablenkungen eliminieren. Und viertens: Shallow Work minimieren.

STANDARD: Sie trainieren seit zehn Jahren Ihre Konzentration. Haben Sie manchmal trotzdem Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren?

Newport: Ja, denn Konzentration ist harte Arbeit. Man muss wie ein Athlet kontinuierlich üben, um seine Konzentrationsfähigkeit zu erhalten und sie zu verbessern. An manchen Tagen fällt es mir schwerer als an anderen. Es ist gut, wenn einem das bewusst ist, so weiß man, wann konzentrierte Phasen sinnvoll sind – viele haben etwa ein Nachmittagstief, dann sollte man eher am Vormittag sogenannte Deep Work einplanen.

STANDARD: Haben Sie ihr Höchstmaß an Konzentration schon erreicht?

Newport: Ich denke nicht. Wir agieren alle unter unserem kognitiven Potenzial. Anders als bei Athleten, wo wir relativ genau wissen, wie man das Höchstmaß physischer Performance erreicht und wie diese aussieht, wissen wir über hohe Konzentration recht wenig. Wir sind erst dabei herauszufinden, wie man diese am besten trainiert und in Arbeitsumgebungen ermöglicht.

STANDARD: Ihnen scheint das gelungen zu sein: In den zehn Jahren schrieben Sie fünf Bücher und einige wissenschaftliche Artikel, machten Ihr Doktorat, wurden Professor, gründeten eine Familie – ohne Überstunden zu machen und das Büro um 17.30 Uhr zu verlassen. Wie geht das?

Newport: Glücklicherweise habe ich in meinem Beruf die Flexibilität, mich relativ rücksichtslos auf Deep Work zu konzentrieren und dabei Shallow Work so zu kontrollieren, dass sie kaum in meinem Terminkalender vorkommt. In der Wissenschaft ist das derzeit einfacher möglich als in anderen Jobs, wo von den Wissensarbeitern verlangt wird, hart zu arbeiten und sich gleichzeitig mit Oberflächlichkeiten zu beschäftigen.

STANDARD: Sie sagen, Deep Work ist wichtiger denn je. Wieso?

Newport: Es gibt mehrere Trends in der Arbeitswelt, die hohe Konzentration bedeutender werden lassen: Wissensarbeiter stehen heute in einem zunehmenden Wettbewerb, und die Jobs werden immer komplizierter. Um mit der schnelllebigen Arbeitswelt mitzuhalten, erfordert es hohe Konzentration, um sich erstens schwierige Inhalte und Skills schneller anzueignen und zweitens wertvollere Inhalte zu produzieren, die einen in seiner Karriere weiterbringen, herausstechen lassen. Im Informationszeitalter ist Deep Work eine Schlüsselqualifikation, die einem Vorteile bringt – ähnlich dem industriellen Zeitalter, wo der mit der besser ausgestatteten Fabrik mehr produzieren konnte.

STANDARD: Was fördert diese Arbeitsweise?

Newport: Erstens jene Dinge, die einem helfen, Deep Work in den Arbeitsalltag zu integrieren. Ich empfehle, konzentrierte Arbeit wie jeden anderen Termin in den Kalender einzutragen und genauso zu verteidigen, sodass man sich wirklich Zeit dafür nimmt. Es funktioniert nicht, darauf zu warten, bis man in der Stimmung ist – das Gehirn macht ungern freiwillig harte Arbeit. Auch Rituale rund um die Deep-Work-Session helfen dem Verstand, sich auf Konzentration einzustellen. Etwa immer den gleichen Weg zur Arbeit zu nehmen oder mit einer guten Tasse Kaffee zu starten. Und zweitens sind jene Dinge hilfreich, die das Gehirn trainieren und es an hohe Konzentration gewöhnen. Dafür gibt es unterschiedliche Aktivitäten. Die wirksamsten sind Social Media vom Handy zu verbannen, abends nicht vor Netflix zu sitzen, während man am Tablet scrollt und am Handy Nachrichten schreibt, sondern sich auf eine Sache zu fokussieren und Langeweile zuzulassen.

STANDARD: Warum soll man sich langweilen und faul sein?

Newport: Wer hochkonzentrierte Arbeit leistet, muss genauso wie ein Sportler eine Regenerationsphase einlegen, damit das Gehirn Informationen verarbeiten und am nächsten Tag wieder solche Höchstleistungen erbringen kann.

STANDARD: In Ihrem Buch bringen Sie das Beispiel einer Firma mit Viertagewoche, wo sich der Anteil an Shallow Work deutlich reduziert hat. Ändert das wirklich etwas?

Newport: Interessanterweise gibt es einige Studien, die zeigen, dass dadurch die Produktivität, was den wertvollen Output angeht, steigt. Das liegt vor allem daran, dass die Leute respektvoller mit ihrer Zeit umgehen, was die Zeit an Shallow Work reduziert und wodurch jene für Deep Work erhalten bleibt. Die Beispiele zeigen, dass wir uns mehr unnötige Arbeit machen, als wir denken. Und sie zeigen, dass Deep Work das ist, worauf es ankommt, und gar nicht so viel Zeit benötigt.

STANDARD: Und was behindert Deep Work?

Newport: Eines der größten Hindernisse für Deep Work, das häufig übersehen wird, ist, dass bereits kurze Ablenkung langfristige Folgen hat. Viele denken, dass sie konzentriert arbeiten, weil sie nicht multitasken, doch wer dabei 15 Sekunden in die Inbox oder auf sein Handy schaut und sich dann wieder der eigentlichen Arbeit widmet, hat später weniger Konzentrationsfähigkeit. Wechselt man von einer Aufgabe zur anderen, verharrt ein Überrest an Aufmerksamkeit im Nachdenken über die ursprüngliche Beschäftigung, also etwa bei einer Mail, und man braucht länger, um eine Aufgabe zu erledigen.

STANDARD: Warum machen Erwerbstätige das dann?

Newport: Weil es der einfachste Weg ist und eine simple Arbeitsweise, die sich in den meisten Firmen durchgesetzt hat. Jeder hat eine E-Mail-Adresse und ist jederzeit erreichbar, das macht die Arbeit zu einer Abfolge unstrukturierter Kommunikation. Das hat aber die angesprochenen negativen Einflüsse auf unser Aufmerksamkeitskapital und die Produktivität. Als Individuum kann man nicht einfach keine E-Mails mehr checken, weil man sonst Nachteile hätte. Man muss also den Workflow der Firma ändern. Das ist schwierig, da es unbequem und kompliziert ist, am Ende ist es aber produktiver. Und führt dazu, dass die Arbeitswelt künftig auf das Aufmerksamkeitskapital ausgerichtet ist, weil man nur mehr so erfolgreich sein kann. Es würde mich wundern, wenn ein teurer Programmierer in zehn Jahren noch eine E-Mail-Adresse hat.

STANDARD: Und was ist mit Großraumbüros?

Newport: Die sind eine Katastrophe für Deep Work. Ich vermute, dass Firmen mit Großraumbüros potenziellen Mitarbeitern und Investoren zeigen wollen, dass sie innovativ sind – aber sie schaffen damit nicht mehr Wert für und mit ihren Mitarbeitern. Die Forschung zeigt, dass Großraumbüros dazu führen, dass Mitarbeiter weniger face-to-face, sondern mehr mit digitalen Tools kommunizieren, weniger zusammenarbeiten und die Produktivität sinkt. Ich gehe aber davon aus, dass der Trend zum Großraumbüro bald wieder zurückgeht , denn wenn jeder eines hat, ist es auch nicht mehr innovativ.

STANDARD: Es scheint, als würden Firmen die Vorteile von Deep Work nicht sehen, sondern alles tun, um sie zu verkomplizieren. Wieso?

Newport: Dieses Paradoxon liegt daran, dass es relativ lange dauert, bis neue Technologien bestmöglich in die Arbeitswelt integriert werden. Die Wissensarbeit wird seit etwa dreißig Jahren relevanter, aber wir haben noch keine passende Umsetzung für das digitale Zeitalter gefunden.

STANDARD: Handwerker machen das hingegen seit jeher ...

Newport: Ja, sie haben schon lange die Relevanz von intensiver Konzentration entdeckt, weil sie ein direktes Feedback haben. Je besser sie sich konzentrieren, desto besser ist das Werk, das sie am Ende des Tages in den Händen halten. Wissensarbeiter haben nur selten die Verbindung von Konzentration und dem Wert der Arbeit, weshalb sich ihre Produktivität kaum messen lässt. Das ist auch der Grund, warum sie E-Mails sofort beantworten, um sichtbar zu sein, geschäftig zu wirken, anstatt wirklich produktiv zu sein und sich zu konzentrieren – denn die argumentativen Fakten, um Deep Work zu verbreiten, sind auf den ersten Blick nicht sichtbar. (Selina Thaler, 16.10.2018)