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Laut Schätzungen sind in einem Unternehmen mit hundert Mitarbeitern fünf Beschäftigte alkoholkrank und zwei bis drei von Tabletten abhängig. "Da gibt es natürlich Überschneidungen, aber es ist eine beachtliche Anzahl, und das Problem nimmt zu", sagt Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien und Leiter der Station für Alkohol-, Medikamenten- und Spielsucht.

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Man feiert Erfolge mit Sekt, trinkt ein Glas Wein beim Businesslunch oder geht nach der Arbeit ein Bier trinken. Alkohol ist für viele in der Arbeitswelt allgegenwärtig – und manche Berufstätige brauchen ihn, um überhaupt zu funktionieren. Denn sie sind alkoholkrank. Doch nicht nur Alkoholsucht ist am Arbeitsplatz verbreitet, sondern beispielsweise auch Nikotin-, Medikamenten-, Spiel- oder Onlinesucht. Wie viele Berufstätige abhängig sind, weiß man nicht, es gibt nur Schätzungen. Zu schambehaftet ist das Thema, zu spät geben die Betroffenen zu, dass sie Hilfe brauchen.

Michael Musalek ist Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien und leitet die Station für Alkohol-, Medikamenten- und Spielsucht. Er sagt: "Sucht am Arbeitsplatz ist weitverbreitet, auch weil Sucht in Österreich weitverbreitet ist." Seinen Schätzungen zufolge gibt es etwa 350.000 Alkoholkranke, also circa fünf Prozent der Bevölkerung, 150.000 bis 200.000 Medikamentenabhängige, das sind rund 2,5 Prozent. In einem Unternehmen mit hundert Mitarbeitern sind demnach fünf Beschäftigte alkoholkrank und zwei bis drei von Tabletten abhängig. "Da gibt es natürlich Überschneidungen, aber es ist eine beachtliche Anzahl, und das Problem nimmt zu", sagt Michael Musalek.

Der Grund: In einer Gesellschaft, in der Wissensarbeiter einen immer größeren Anteil der Erwerbstätigen ausmachen und Erfolge erzielen müssen, steigt der Druck, es wird verlockender, Dopingmittel einzusetzen. Andererseits führen auch Mehrfachbelastungen – insbesondere von berufstätigen Müttern – in die Sucht. Familiäre Probleme, Krankheit, der Tod eines Angehörigen oder Unfairness im Büro können ebenso Auslöser sein.

Angst nehmen, Leistung steigern

Die Betroffenen greifen vor der Arbeit zu Beruhigungsmitteln, Tranquilizern oder Alkohol, um die Ängste des Erfolgsdrucks zu nehmen, und nach der Arbeit, um zu entspannen. Spielsüchtige sitzen in der Mittagspause vor dem Automaten oder spielen in Arbeitspausen Onlinespiele. "Sie suchen Zuflucht in einer Pseudowelt, genauso wie Onlinesüchtige, die sich beispielsweise in sozialen Medien verlieren", sagt Suchtexperte Musalek.

Aufputschmittel wie Ritalin, Modafinil, aber auch Kokain oder LSD in Mikrodosen (so, dass man keinen Rausch bekommt) werden genommen, um die Leistung im Büro zu fördern, schneller zu arbeiten. Vor allem Personen, die unter Stress und Druck arbeiten, seien anfällig für sogenannte Neuro-Enhancer, wie die Hirndopingmittel im Fachjargon genannt werden. Besonders aus dem Silicon Valley hört man derzeit von dem Trend, zu Drogen zu greifen, um vermeintlich die Produktivität oder Kreativität zu steigern.

"Sucht zieht sich durch alle Berufsgruppen, aber dort, wo der Erfolgsdruck hoch und der Erfolg schlecht messbar ist, ist es besonders gefährlich", erklärt Musalek. Das ist bei vielen Wissensarbeitern der Fall. Auch Führungspersonen seien gefährdeter als andere. Und je leichter eine Droge für jemanden zugänglich ist, desto höher ist die Suchtgefahr, zum Beispiel Alkohol im Gastgewerbe oder Tabletten bei Ärzten. Doch man dürfe nicht vergessen, dass nicht der vermeintliche Druck von außen das Hauptproblem sei, sondern der Druck, den man sich selbst auferlege. "Personen, die ihren Beruf aus hoher intrinsischer Motivation ausüben, wo es auch um Werte und Idealismus geht, neigen dazu, sich zu übernehmen – und greifen dann zu Amphetaminen oder Koks", sagt Musalek.

Zwar seien alle Suchtmittel in ihrer Wirkung "wunderbar", doch diese hält bekanntermaßen nicht an, sondern macht schnell abhängig. Es kommt zur Toleranzentwicklung und schließlich zum Kontrollverlust. Das passiert auch bei Süchten, die nicht mit Substanzen verbunden sind, etwa der Sex- oder der Arbeitssucht. Betroffene der Letzteren sind bekannt als Workaholics.

Bis zu acht Jahre unbemerkt

In der Regel bleibt die Sucht am Arbeitsplatz lange unbemerkt. Manche Alkoholiker gehen erst nach acht Jahren in Behandlung und arbeiten mehr oder weniger intakt. Aufmerksam sollte man werden, rät Musalek, wenn Kollegen ein Suchtmittel bagatellisieren, zu inadäquaten Zeiten alkoholisiert sind, montags regelmäßig im Krankenstand sind, weil sie noch einen Kater vom Rausch vom Wochenende haben, oder die Arbeitsleistung geringer wird, obwohl nichts dafürspricht.

In dem Fall sollte man die Person nicht mit dem Vorwurf der Sucht konfrontieren, das führe lediglich dazu, dass sie diese abstreitet, sagt Musalek. Durch Schweigen entstehe der sogenannte Co-Alkoholismus, Kollegen decken die Betroffenen. Am besten sollte man die Person auf die eigenen Beobachtungen ansprechen und fragen, ob sie Hilfe brauche. Denn oft suchen Betroffene erst Hilfe, wenn der Job bereits wackelt, dabei gebe es eine "hervorragende Rate der Heilung, wenn man die Sucht frühzeitig erkennt". Zudem fürchten Betroffene einen Jobverlust mehr, als etwa den Partner zu verlieren, denn so geht die Suchtfinanzierung verloren.

Während die Sensibilisierung für Alkoholismus im Arbeitsleben in den vergangenen Jahren gestiegen ist, werden – vermutlich auch wegen des jungen Phänomens – leistungssteigernde Mittel häufig nicht als Problem wahrgenommen, sondern scheinen schon fast in zu sein. "Wir haben im Radsport eine unheimliche Sensibilisierung für Doping, im Alltagsleben sind wir da, wo der Radsport in den 50er-Jahren war", sagt Musalek. Statt einer Kultur des Wegschauens und Negierens brauche es hier eine deutliche Sensibilitätssteigerung. (Selina Thaler, 31.10.2018)