"Wir ticken international. Gegen Fremdenfeindlichkeit, für Toleranz und Weltoffenheit" ist auf dem Transparent zu lesen. Es ist ein klares Statement in politisch aufgewühlten Zeiten, wie sie Deutschland und insbesondere Sachsen gerade erleben. Angebracht ist es am Firmensitz der Uhrenmarke Nomos, der sich im ehemaligen Bahnhofsgebäude von Glashütte befindet.

Jener Kleinstadt am Fuße des waldreichen Erzgebirges, die für ihre über 170 Jahre alte Uhrenmachertradition, ihre großen Uhrenmarken und für ihre Abgeschiedenheit bekannt ist. Letzteres könnte man beklagen, muss man aber nicht. Offenbar braucht es genau diese Ruhe, um tickende Kleinode von Weltgeltung zusammenzuschrauben.

Klare Ansagen, gewissenhafte Langsamkeit
Foto: Markus Böhm

Uwe Ahrendt tritt aus einem lichtdurchfluteten Besprechungsraum hinaus auf die Terrasse. Zu seinen Füßen Bahngleise, der Regionalzug hat gerade angehalten. Die politische Entwicklung macht ihm persönlich und als Unternehmer Sorge, weil es nach dem Erfolg der AfD in Sachsen zu Auftragsstornierungen kam. "Wir haben bereits 2017 klargemacht, dass wir uns gegen jegliche Art von Fremdenhass stellen", hält der Nomos-CEO fest. Man wolle damit einen Beitrag leisten, um die Demokratie zu stärken, betont er und fügt hinzu: "Dennoch machen wir keine Politik, wir bauen Uhren."

Das Nomos Hauptquartier: Untergebracht im ehemaligen Bahnhofsgebäude.
Foto: Nomos Glashütte

Und das so erfolgreich, dass man sich mittlerweile als der größte Hersteller mechanischer Uhren in Deutschland bezeichnet. Schätzungen sprechen von 60.000 Uhren pro Jahr. "Danke für die Schmeichelei", sagt Ahrendt dazu nur und grinst breit. Von ihm wird man keine Zahlen erfahren.

Start-up-Spirit

Fakt ist, dass Nomos auch in Zeiten der Krise, die die Branche in jüngster Vergangenheit beutelte, ein respektables Wachstum hinlegte. Der Umsatz stieg in den letzten vier Jahren um 65 Prozent. Das Unternehmen zählt mittlerweile rund 300 Mitarbeiter. Und auch sonst ist man gewachsen. In Schlottwitz, einem Ortsteil von Glashütte, wurde 2017 eine neue, 1,8 Millionen Euro teure Produktionsstätte eingeweiht. Hier werden die teils irrwitzig kleinen Uhrenteilchen hochpräzise gedreht, gefräst, erodiert und gereinigt. Es geht um Tausendstel Millimeter. Vieles davon geschieht in Handarbeit.

"Die Designer brauchen die Energie und den Trubel der Großstadt. Sie würden in Glashütte eingehen."

Uwe Ahrendt, CEO
Foto: Nomos Glashütte

Insgesamt vier Standorte hat man über ganz Glashütte verstreut. Es ist eben eng im Müglitztal. Da lässt man keine Gelegenheit aus, um sich Raum zu verschaffen. Ahrendt deutet den Hang hinter den Schienen hinauf. Dort steht der jüngste Immobilienerwerb der Manufaktur, die ehemalige katholische Kirche. Was man damit machen wird? Steht noch nicht fest, meint Ahrendt. Es wird sich was finden.

Der gelernte Werkzeugmacher und studierte Maschinenbauer wurde in Glashütte geboren. Schon Großvater und Vater waren Uhrmacher. Seit 2000 ist er bei Nomos. Davor bei der A. Lange & Söhne beschäftigt, musste er nur die Straßenseite wechseln, als er von Nomos-Gründer Roland Schwertner abgeworben wurde. Der Düsseldorfer sicherte sich die Marke 1990, kurz nach der Wende, ohne große Vorkenntnisse in Sachen Uhrmacherei. Glashütte kannte der IT-Experte, weil seine Tante dort lebte.

Was danach geschah, liest sich wie die Geschichte eines IT-Start-ups und ist Teil der Firmenlegende. 1992 begann er mit drei Angestellten und unter Einsatz seiner Ersparnisse die ersten Uhren herzustellen. Er mietete dafür eine kleine Wohnung. Den Telefonanschluss teilte man sich mit "Heidi's Imbiss" im Parterre.

"Tangente"-Sonderedition zu 100 Jahre Bauhaus: Beweis, dass deutsche Gründlichkeit auch schön sein kann.
Foto: Nomos Glashütte

Kurz darauf kam das erste Modell auf den Markt, die "Tangente". Jene Ur-Uhr, die den gesamten Spirit der Manufaktur widerspiegelt und bis heute ihr Bestseller ist: ein Zeitmesser, geradlinig und ausgewogen, klar und schlicht, ein moderner Klassiker. Sie zeigt, dass deutsche Gründlichkeit auch schön sein kann. Mittlerweile ist sie in 19 Varianten erhältlich. Zwölf weitere Geschwister haben sich in den letzten 26 Jahren zu diesem Leitmodell der Marke gesellt.

Millionenprojekt

Was uns auf den Glashütter Erbenhang führt, wo sich die Nomos Chronometrie befindet. Dort über den Wipfeln, auf dem Balkon frische Luft tankend, kann man die ländliche Idylle auf sich wirken lassen – und den Kopf auslüften. Das tut gut. Denn was hier passiert, ist höchst technisch. Es ist die Wirkstätte von Theodor Prenzel, dem stellvertretenden Leiter der hauseigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Er erklärt die mikromechanischen Errungenschaften des Hauses, die jede Menge Hirnschmalz erfordert haben. Die Rede ist von den elf hauseigenen Kalibern, die man bei Nomos entwickelt hat.

"Unser Ziel war es, ein möglichst flaches Automatikwerk zu entwickeln."

Theodor Prenzel, stellv. Leiter F&E
Foto: Nomos Glashütte

Wobei besonders das zehnte Kaliber, DUW 3001, heraussticht. Ein Millionenprojekt, das sieben Jahre Entwicklungszeit in Anspruch genommen hat. "Unser Ziel war es, ein möglichst flaches Automatikwerk zu entwickeln. Es sollte uns von Schweizer Zulieferern weitgehend unabhängig machen", erklärt Prenzel. Er berichtet von Frust, Rückschlägen und der großen Erleichterung, als es dann endlich so weit war: 2015 präsentierte Nomos das nur 3,2 Millimeter flache Kaliber mit einem eigenen Assortiment, dem "Herz" des Zeitmessers, ohne das eine mechanische Uhr weder Tick noch Tack macht. Von Nomos wurde es "Swing-System" getauft.

International viel beachtet, kam es einem Befreiungsschlag gleich. Denn damit löste man sich aus der Abhängigkeit der Swatch Group: Diese hatte und hat über eine Tochterfirma quasi ein Monopol auf das lebenswichtige Reguliersystem und hütet das Wissen um dessen Konstruktion wie einen Schatz.

Tangente neomatik 41 Update: Der Datumsring trägt hier zwei
rote Punkte, die das jeweilige Datum rahmen und den grafischen Charakter der Tangente unterstreichen.
Foto: Nomos Glashütte

Mit dem Swing-System erhob sich Nomos in den Adelsstand der Uhrmacherei. Denn es gibt nur zwanzig Manufakturen weltweit, die eigene Werke entwickeln und fertigen. Die meisten von ihnen gehören zu großen Luxuskonzernen. Die Fertigungstiefe, ein wichtiges Kriterium in der Uhrmacherei, stieg damit auf 95 Prozent. Die Wertschöpfung vor Ort bewegt sich in ähnlich hohen Sphären.

Wieder ganz speziell

Dementsprechend stolz präsentiert Prenzel das Swing-System. Er erklärt die Funktionsweise von Ankerrad, Anker und Unruh. Sichtbar wird deren Zusammenspiel als Taktgeber am besten unter dem Mikroskop. Und weil man auch noch den Automatikaufzug neu erfunden hat, steht auf den Zifferblättern jener Uhren mit hauseigenem Selbstaufzug das Wörtchen "neomatik". Heuer kam der Zusatz "Update" hinzu. Sprich: Nomos-Uhren können jetzt das Datum anzeigen. Aber nicht irgendwie, sondern auch wieder ganz speziell. Auch die dafür benötigten technischen Kniffe kann Prenzel ziemlich gut erklären.

Geradezu kontemplativ ist es, wenn man den Kollegen in den anderen Räumen der Chronometrie bei ihrer Arbeit zuschaut. Mit rosafarbenen Schutzgummis, die wie kleine Kondome aussehen, über den Fingern, montieren sie mit ruhiger Hand Schräubchen, Zahnräder, Platinen, Kloben ... und wie die kleinen Dinger alle heißen. Dann der Höhepunkt: Eine Mitarbeiterin fügt das Swing-System ein, einen Moment später erwacht der Zeitmesser zum Leben. Ein durchaus erhebender Augenblick. Jetzt muss das Werk nur noch mit einem der Gehäuse "verheiratet" werden.

Die Montage des DUW 3001
Foto: Nomos Glashütte

Letztere werden rund zweieinhalb Autostunden vom Erbenhang entfernt erdacht – in einem Fabrikloft in Berlin-Kreuzberg. Der Kontrast zwischen den beiden Orten könnte nicht größer sein. "Die Designer brauchen den Trubel, die Energie und die Eindrücke der Großstadt. Die Designer würden in Glashütte eingehen, die Uhrmacher in Berlin", erklärt Ahrendt die Trennung von "Kreation und Tradition". Berlinerblau heißt die Nomos-Tochter, wo nicht nur das Uhrendesign herkommt, sondern der gesamte Markenauftritt. Werbeagentur mit angeschlossener Uhrenwerkstatt wurde Nomos auch des Öfteren leicht abfällig genannt.

Berliner Schönwetterwolken

Wahrscheinlich war es Neid, denn die Berliner erdachten sich die eine oder andere Frechheit für die tendenziell biedere Luxusuhrenbranche. Als "verhaltensauffälliges Kind der Branche" bezeichnete der Spiegel die Marke: Sie werde nicht müde, sich selbst und die Branche zu veräppeln. So gab es zum Beispiel für die Sylter Klientel zeitweise die Version "Friesennerz" in den Gelb- und Blautönen klassischer Regenmäntel.

Die 40 Berliner Mitarbeiter werken dort, wo einst Knöpfe hergestellt wurden, in einem offenen Büro mit Designermöbeln und unter riesigen Cloud-Leuchten von Frank O. Gehry – "Berliner Schönwetterwolken" sagen die Glashütter Kollegen dazu. "Ahoi Glashütte!", grüßt es neonblau leuchtend von der Wand zurück ins Erzgebirge. Rund ein Dutzend Designer denkt hier "über die gute Form nach". Die ist stark an das Strenge und Funktionale angelehnt.

Gruß aus Berlin
Foto: Markus Böhm

Man hat Bauhaus, Werkbund und Minimalismus mit der Muttermilch aufgesogen. Nicht zufällig ist Nomos Mitglied des Deutschen Werkbunds, einer Vorläuferbewegung des Bauhauses und der Ulmer Schule. Gegen Betriebsblindheit scheut man aber auch die Zusammenarbeit mit "uhrenfremden" Designern nicht. Man holt sich bekannte Namen ins Haus. Mark Braun zum Beispiel, der schon Küchenutensilien und Möbel entwarf und für das Design der "Metro" verantwortlich war. Das jüngste Modell "Autobahn" geht auf Werner Aisslinger zurück. Der Designer kreierte einen Zeitmesser, der zwar seine Verwandtschaft mit Tangente & Co nicht leugnen kann, aber dennoch für sich steht.

Berlinerblau: In einer ehemaligen Knopffabrik nehmen die Zeitmesser ihre Gestalt an.
Foto: Nomos Glashütte

Anders zu sein, anders zu denken, das ist das Erfolgsrezept dieses Uhrenherstellers, der jahrelang als der unangepasste Underdog aus der sächsischen Provinz bezeichnet wurde und sich in dieser Rolle ganz gut gefiel. Das ändert sich nun langsam, längst sind es nicht mehr nur die "Kreativen", die sich für eine Nomos erwärmen können. Die Marke ist "groß" geworden. Das ist eine neue Herausforderung, die nach einem neuen Selbstverständnis verlangt. In Berlin wird man sich davon inspirieren lassen, in Glashütte wiederum wird man die Sache so angehen wie immer: mit gewissenhafter Langsamkeit, die sich auch nicht vor klaren Ansagen drückt. (Markus Böhm, RONDO, 17.11.2018)

Foto: Nomos Glashütte/Menno Aden

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