Anhand dutzender Merkmale soll ein Programm künftig alle Arbeitslosen in drei Kategorien einteilen: in jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen,

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Die österreichische Arbeitsmarktpolitik ist in einer Umbruchphase. Dank der guten Konjunktur sind die Jahre stark steigender Arbeitslosigkeit vorbei, die Zahl der Jobsuchenden geht zurück. Zugleich kündigt sich ein politischer Wandel an. Im türkis-blauen Regierungsprogramm ist fixiert worden, dass das Arbeitslosengeld neu gestaltet werden soll. Die Notstandshilfe soll gestrichen werden und in der Mindestsicherung aufgehen. Damit nicht genug.

Auch das AMS geht ab 2019 neue Wege. Nach mehrjähriger Vorbereitung wird ab Jänner des kommenden Jahres flächendeckend ein neues EDV-Programm zum Einsatz kommen, das die Perspektiven aller Arbeitslosen in Österreich bewertet. Anhand von dutzenden Merkmalen wird ein Algorithmus die Arbeitslosen, die Kunden des AMS, in drei Kategorien einteilen: in jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen, am Arbeitsmarkt unterzukommen.

Dazu werden vom Programm verschiedenste Daten verarbeitet. Viele sind persönlicher Natur: Die bisherige Erwerbskarriere der Betroffenen fließt in den Algorithmus ein, also wie oft und wie lang jemand arbeitslos war, welchen Beruf er erlernt hat und welcher ausgeübt wurde. Auch das Alter, die Staatsbürgerschaft und die Ausbildung werden bewertet. Ältere Personen und nichtösterreichische Staatsbürger sind tendenziell häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, ihre Chancen stehen also de facto schlechter. Daneben werden auch weitere Faktoren analysiert.

Explizite Dreiteilung

So etwa, wie die Chancen in der Region sind, in der Arbeit gesucht wird, und ob jemand Voll- oder Teilzeit arbeiten möchte. Der größte Teil der Informationen soll automatisch verarbeitet werden. Das AMS hat zum Beispiel Zugriff auf die Daten des Hauptverbands der Sozialversicherungen. Das Projekt geht auf das Betreiben des AMS-Vorstands unter Johannes Kopf zurück, die technische Entwicklung erfolgte durch die Wiener GmbH Synthesis Forschung.

Die Kriterien zur Einteilung der Arbeitssuchenden spielen in der täglichen Arbeit der 4.500 AMS-Berater bereits eine zentrale Rolle. Neu ist, dass eine explizite Dreiteilung der Arbeitslosen mittels Programm erfolgt. Das System soll 2019 in die AMS-EDV eingespielt werden. Die AMS-Berater werden ab dann bei jedem der von ihnen betreuten Arbeitssuchenden sehen, wie das Computersystem die Lage einschätzt.

Personen mit hoher Arbeitsmarktchance sind jene, bei denen mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit angenommen wird, dass sie es binnen sieben Monaten schaffen werden, eine dreimonatige Beschäftigung zu finden. Kunden mit niedrigen Chancen sind jene, bei denen das System davon ausgeht, dass die Wahrscheinlichkeit bei weniger als 25 Prozent liegt, dass die Betroffenen binnen zwei Jahren für sechs Monate in Beschäftigung gebracht werden können. Alle anderen zählen zur Gruppe mit mittlerer Perspektive.

2020 wird es ernst

Zunächst soll die Bewertung durch den Algorithmus keine Folgen haben, sagt AMS-Vorstand Kopf. Sprich: Die Vergabe von Fördermaßnahmen wird nicht daran geknüpft werden, wer in welcher Gruppe ist, auch spezielle Zielsetzungen in Verbindung mit der Dreiteilung gibt es 2019 noch nicht.

Ab 2020 könnte sich das aber ändern und die AMS-Ausgaben entsprechend der Einteilung angepasst werden. Ziel des Unterfangens ist es laut Kopf, die Ressourcen der Arbeitsmarktpolitik langfristig effizienter einzusetzen (siehe Interview). Darüber, was das genau bedeutet, gehen die Meinungen auseinander.

In einem AMS-Papier zu den Ursprüngen des Programms, das dem STANDARD vorliegt, heißt es, dass der Algorithmus zu Einsparungen bei Ausgaben für Kunden mit guten Perspektiven führen soll: Sie können sich selbst helfen und brauchen primär Stellenangebote vom AMS und nur selten Förderungen.

Fokus auf die Mitte

Bei Personen im mittleren Segment sollen künftig laut dem AMS-Papier die Ressourcen konzentriert werden, weil man hier erwartet, dass jeder ausgegebene Euro, etwa für Facharbeiterausbildungen und Kurse, am meisten wirkt. Für diese Gruppe könnten Maßnahmen im Idealfall auch schneller gesetzt werden. Aktuell beginnen intensive Beratungsgespräche meist erst drei bis vier Monate nachdem sich jemand arbeitslos gemeldet hat. Künftig soll durch den Algorithmus rascher feststehen, wer was braucht.

Bei Personen mit schlechter Perspektive, und genau das ist der Knackpunkt für Kritiker, soll laut dem Dokument aber ebenfalls gespart werden. Begründung: Arbeitsmarktpolitische Interventionen sind hier vergleichsweise teuer und können nur einer beschränkten Zahl von Menschen die Rückkehr auf den Jobmarkt ermöglichen. Der damalige Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) verhinderte im Herbst 2016, dass die neue EDV flächendeckend eingespielt wird. Seine Begründung: Mit dem System würden perspektivlose Arbeitssuchende künftig weniger gefördert.

Grünes Licht

Im Frühjahr 2018 gab es nun grünes Licht für das Projekt im AMS-Verwaltungsrat, dem obersten Lenkungsgremium. Im türkis-blauen Regierungsprogramm wird das Projekt unter dem Begriff "Umsetzung von kundenspezifischen Tools" angekündigt. AMS-Vorstand Kopf sagt, dass es weder gewollt noch geplant ist, arbeitsmarktferne Personen künftig nicht oder weniger zu fördern. Das neue System ermögliche so, das gleiche Geld gezielter einzusetzen.

Judith Pühringer, Chefin von Arbeit plus, einem Netzwerk von rund 200 gemeinnützigen Unternehmen, sieht das anders. "Aus Sicht des AMS ist das nachvollziehbar, dass man in Zeiten sinkender Budgets genauer schaut, welche Integrationsmöglichkeiten die Kunden haben", sagt die Betriebswirtin. "In Summe heißt das dennoch, dass mit dem bisherigen System gebrochen wird. Derzeit ist es so, dass Personen, die den höchsten Bedarf haben, die meiste Unterstützung bekommen. Jetzt rückt man von dieser Logik ab. Man konzentriert sich auf das mittlere Segment."

Regionale Unterschiede

Und: Laut Pühringer wird das neue System vor allem für Wien zur Herausforderung. Denn in der Hauptstadt gibt es mit Abstand am meisten Personen, die in das niedrige Segment bei der Einteilung der Arbeitslosen fallen. Sie spricht von über 40 Prozent. Das AMS hat heuer ein Budget von rund 1,4 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Im kommenden Jahr werden es 1,25 Milliarden sein.

Die Arbeitgeber unterstützen das Vorhaben. "Alles, was Vermittlungschancen erhöht, ist aus unserer Sicht gut", sagt Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer, der selbst im Verwaltungsrat des AMS sitzt. Oberstes Ziel müsse sein, die AMS-Mittel "effizient einzusetzen".

Arbeitnehmer sagen "Ja, aber"

Bei den Arbeitnehmern ist man grundsätzlich auch nicht gegen das Programm, zeigt sich aber deutlich reservierter. Gernot Mitter von der Arbeiterkammer, der ebenfalls im AMS-Verwaltungsrat sitzt, sagt, dass man zwei Bedingungen an das neue System gestellt habe. Zunächst müssen AMS-Berater die computergenerierte Zuordnung verändern können, was er erfüllt sieht. Auch im Arbeitsmarktservice wird betont, dass AMS-Berater auch künftig die Einteilung von Menschen durch den Algorithmus ändern können.

"Und uns war auch wichtig, dass bei den arbeitsmarktpolitischen Zielen abgesichert wird, dass die Gruppe mit schlechten Perspektiven nicht nur stabilisiert wird. Diese Menschen müssen weiter Unterstützung bekommen, um auf den Arbeitsmarkt zurückehren zu können", sagt Mitter. Das sei "positiv aufgenommen worden" von der AMS-Spitze. Mitter weiter: "Insgesamt wäre begrüßenswerter gewesen, hätte das AMS mehr Personal bekommen."

Dem Vernehmen nach hat die neue EDV innerhalb des AMS zu Debatten geführt, unter manchen Beratern soll die Angst umgehen, obsolet zu werden, ist zu hören. Zentralbetriebsratschef Heinz Rammel ist im Gespräch mit dem STANDARD allerdings entspannter: "Die Beratungen sind sehr intensiv und oft komplex. Das neue System könnte da tatsächlich eine Hilfe sein." (András Szigetvari, 10.10.2018)