Die Künstlerin Pia Eisenträger hat das Buch "Nicht nur Mütter waren schwanger" illustriert.

Foto: Pia Eisenträger

Autorin Alisa Tretau will überhörten Stimmen zu Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein Raum geben.

Foto: privat

Alisa Tretau (Hg.)
Nicht nur Mütter waren schwanger

Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt
Edition Assemblage 2018
176 Seiten, 14 Euro

Foto: edition assemblage

Schwangerschaften passieren einfach so, heißt es. Als romantisches Nebenprodukt der Liebe quasi. Was aber, wenn dem nicht so ist? Wenn man auf künstliche Befruchtung angewiesen ist, um überhaupt schwanger zu werden? Oder wenn die ersehnte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt endet.

Die deutsche Autorin Alisa Tretau versammelt in ihrem soeben erschienenen Buch "Nicht nur Mütter waren schwanger – Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt" oft überhörte Stimmen zum Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein.

STANDARD: In Ihrem Buch setzen Sie sich mit Themen wie lesbische Kinderwünsche, Chancen und Fallstricke der Reproduktionsmedizin, Krebs und Kinderwunsch, Schwangerschaften von Transmännern genauso wie mit Rassismus, Abtreibung und Fehlgeburt auseinander. Wie kam es zu dieser Zusammenschau?

Tretau: Die Unsichtbarkeit war der Anstoß für dieses Buch. Zu all diesen Themen wird viel geschwiegen. Mit dem Buch möchte ich diesen unterschiedlichen, teilweise sehr schmerzhaften Geschichten Raum geben. Durch diese intime Art zu schreiben gelingt es, sich mit anderen zu verbinden, Empathie zu ermöglichen. Die Texte zeigen auch, dass Schwangerschaft eben nicht die "natürlichste Sache der Welt" ist – jedenfalls nicht für alle. Und dass es neben meiner Perspektive viele andere Positionen gibt.

STANDARD: Es gilt als ausgemacht, dass man über unerfüllten Kinderwunsch und Fehlgeburten kaum spricht. Und das, obwohl viele davon betroffen sind. Warum eigentlich?

Tretau: Es geht um Versagensängste, Gefühle des Scheiterns und des Ausgegrenztseins. Was es schwer macht, darüber zu sprechen, ist, dass es keine Gesprächskultur dazu gibt. Nachdem ich zwei Fehlgeburten hatte, wusste mein Umfeld auch nicht, wie es mit meiner Trauer umgehen sollte. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, wird die Sache beschwiegen. Ähnliche Erfahrungen machen ja auch Menschen, die über den Tod eines geliebten Menschen trauern.

STANDARD: Bei unerfülltem Kinderwunsch spielt das Alter der Frauen auch eine wichtige Rolle, heißt es. Die magische Grenze sei in diesem Kontext 35. Wie viel Pathologisierung ist hier im Spiel?

Tretau: Pathologisierung ist ein gutes Stichwort. Natürlich verändert sich der Körper, aber warum die Grenze 35 derart aufrechterhalten wird, hat auch damit zu tun, dass Reproduktionsmedizin und die damit zusammenhängende Schwierigkeiten so tabuisiert sind. Es ist ein anstrengender Prozess, sich in die Hände der Reproduktionsmedizin zu begeben, sich all den Untersuchungen zu unterziehen, die rechtlichen Dinge zu klären und auch das Geld dafür aufzubringen. Hinzu kommt der Mythos, dass man es als Frau später bereuen werde, wenn man kinderlos bleibt. Frauen sollten sowohl Kinder als auch Karriere bis 35 geschafft haben. Für Männer hingegen ist diese Altersfrage kein Thema. Wenn ich von Frauen und Männern spreche, möchte ich betonen, dass diese ganzen Themen auch Transpersonen betreffen. Auch sie haben Kinderwünsche und gehen bei dem Thema noch stärker unter als alle anderen.

STANDARD: Das Thema Fortpflanzung wird generell noch immer stark an das Leben von Frauen geknüpft. Ist unerfüllter Kinderwunsch bei Männern kein Thema?

Tretau: Ich habe viele Männer getroffen, die sich damit beschäftigen – und es wäre wichtig, dafür mehr Öffentlichkeit zu schaffen. Gleichzeitig ist das Kinderkriegen aber derart an den weiblichen Körper geknüpft, dass ich diese Perspektive in den Vordergrund rücken wollte. Der gesellschaftliche Druck lastet weiterhin auf den Frauen. Geht es zum Beispiel um Fehlgeburten und Reproduktionsmedizin, wo ich persönliche Erfahrungen gemacht habe, wenden sich fast alle Angebote und Untersuchungen an Frauen. Entscheidet sich ein Paar für künstliche Befruchtung, dann muss der Mann einmal sein Sperma abgeben und testen lassen, während die Frau permanent mit Blutuntersuchungen und Ultraschall konfrontiert wird. Kommt es zu keiner Schwangerschaft, dann ist die Medizin viel besser darauf vorbereitet, die Frau zu untersuchen als den Mann. Und dass, obwohl es tatsächlich sehr häufig an der Spermaqualität liegt.

STANDARD: Wie könnte es anders aussehen?

Tretau: Die Frage, was erlaubt ist und was für wen erlaubt ist, hängt vom jeweiligen Land ab. Es gibt in dem Buch ein Interview mit einer Frau aus Israel. Dort ist Reproduktionsmedizin viel leichter zugänglich: Man muss in Israel nicht verheiratet sein, um Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Die Krankenkassen übernehmen dort schneller die Kosten. Und es stehen mehr Techniken zur Verfügung. In Deutschland sind bestimmte Sachen nicht erlaubt, wie etwa Eizellentransfer. Ich darf nicht die Eizelle einer anderen Frau in meinem Körper heranwachsen lassen. Ich wünsche mir eine Öffnung des Diskurses. Dass diejenigen, die es betrifft, mitreden können und gehört werden. Im Buch kommt der Satz vor: "Ich weiß nicht, wie ich mich in diesem Moment entschieden hätte. Ich weiß nur, dass ich über Entscheidungen, die ich nicht treffen muss, kein Urteil fällen kann." Das ist für mich die Haltung, mit der ich dieses Buch betrachte.

STANDARD: Sie wünschen sich mehr Offenheit und Selbstbestimmung im Umgang mit Kinderwünschen – von heterosexuellen genauso wie von homosexuellen Paaren. Inwiefern unterscheiden sich hier die Diskurse?

Tretau: Es gibt einen großen Unterschied, welche Geschichten zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren erzählt werden. Es gehört zur heterosexuellen Erzählung dazu, dass Schwangerschaften "einfach so" passieren. Dass man verhüten muss, damit man nicht ungewollt schwanger wird. Die Erfahrung, nicht "einfach so" schwanger zu werden oder eine Fehlgeburt zu erleiden, ist so abseits von den gängigen Geschichten, dass wir uns erstmal dafür schämen und uns mit dieser Geschichte allein fühlen. Schwulen, lesbischen und transsexuellen Personen hingegen wird der Kinderwunsch tendenziell abgesprochen – so als wäre dieser Wunsch an die sexuelle Orientierung gekoppelt.

STANDARD: Worin äußert sich das?

Tretau: In Deutschland wird es homosexuellen Paaren rechtlich sehr erschwert, Eltern zu werden. Zum einen im Adoptionsrecht, zum anderen was den Zugang zu Reproduktionsmedizin betrifft. Wenn man als lesbisches Paar künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen will, kriegt man keine finanzielle Unterstützung, selbst wenn man verheiratet ist. Das ist bei heterosexuellen Paaren gänzlich anders.

STANDARD: Daran hat sich auch in den letzten Jahren wenig geändert?

Tretau: In Deutschland ist 2016 die Ehe für alle verabschiedet worden. Das wurde als großer Erfolg gefeiert, hat aber für die Familienplanung von homosexuellen Paaren gar keine Verbesserungen gebracht. Das ist sehr bezeichnend. Bekommt eine Frau in einer lesbischen Beziehung ein Kind, muss ihre Partnerin das Kind adoptieren, um als Erziehungsberechtigte zu gelten – das kann bis zu drei Jahre dauern, wo die Adoptionsbehörde prüft und die Familie besucht. Das würde sich in einer Vater-Mutter-Kind-Konstellation wahrscheinlich niemand anmaßen. Was mir persönlich Sorge macht, ist, dass in den letzten Jahren durch rechtspopulistische Gruppen und Parteien ein familienpolitischer Backlash vollzogen wurde. Auch wenn unterschiedliche Modelle gelebt werden, werden Regenbogenfamilien angefeindet. Genauso wird das Recht auf Abtreibung und Selbstbestimmung von rechter Seite wieder in Zweifel gezogen. Hier bezieht das Buch auch Position und zeigt, dass wir eigentlich gesellschaftlich schon viel weiter sind – und das ist auch gut so. (Christine Tragler, 14.10.2018)