Am Sonntag wird Óscar Romero heiliggesprochen. Immer noch fordern Menschen Sühne für seine Ermordung.

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El Salvador scheint bestens vorbereitet auf seinen neuen Heiligen: Am Flughafen Monseñor Óscar Arnulfo Romero y Galdámez wird der Reisende von einem überlebensgroßen Wandbild des 1980 auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs ermordeten Erzbischofs begrüßt. Und das nicht ohne Grund. Denn "Erzbischof Romero", wie er hier von allen genannt wird, wird am 14. Oktober heiliggesprochen.

Souvenirshops verkaufen Bücher, T-Shirts und Schlüsselanhänger mit seinem Antlitz. Doch es herrscht keine ungetrübte Feierstimmung. Auch 38 Jahre nach Romeros Tod sind die Wunden des Bürgerkriegs längst nicht vernarbt, ist das Land polarisiert und versinkt in Gewalt. Selbst die Kirche stand nicht immer geschlossen hinter Romero – weshalb dieser zuerst vollkommen abseits der Kirchenhierarchie zum Volksheiligen avanciert war.

Um kirchenrechtlich heiliggesprochen zu werden, verlangt der Vatikan den Nachweis heroischer Tugenden einschließlich vollbrachter Wunder oder das Märtyrertum, also den Tod für den Glauben. Anforderungen, denen Romero durchaus gerecht wird, schließlich hat er sich zu Lebzeiten auf die Seite der Armen gestellt und vehement ein Ende der Repression durch das Militär gefordert. Schlussendlich wurde er von einem Auftragsmörder während einer Messe am Altar erschossen. Trotzdem fand er keine Gnade vor den Augen von Papst Johannes Paul II., der sonst mit Heilig- (482) und Seligsprechungen (1.345) nicht gerade zurückhaltend war. Erst unter dem ersten Latino-Papst Franziskus kam das Dossier Romero im Vatikan in Schwung.

Politischer Unwille

Auch in seiner Heimat dauerte es, bis dem Geistlichen offizielle Würden zuteilwurden. Vermutlich auch deshalb, weil der Auftraggeber des Mordes, Roberto D'Aubuisson, nicht nur Chef der Todesschwadronen, sondern gleichzeitig auch der Gründer der stramm antikommunistischen, erzkatholischen Partei Republikanisch-Nationalistische Allianz (Arena) war, die bis 2009 die Regierung stellte und ein wichtiger Gönner der Kirche war.

Erst 2010, nach dem Sieg der linken Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), räumte der damalige Präsident Mauricio Funes eine staatliche Mitschuld an dem Mord ein. 2014 benannte er den Flughafen San Salvador nach ihm. "Die rechten Regierungen davor sprachen immer schlecht von Romero", sagt Kardinal Gregorio Rosa Chávez, ein Weggefährte Romeros. "Als Romero starb, feierten die Reichen in den Villenvierteln den Tod des 'Kommunisten'. Es gab damals sogar Autoaufkleber mit der Aufschrift 'Mach dich verdient ums Vaterland, töte einen Priester'", erzählt der Kardinal. Romero stand in den Augen der Elite den progressiven Jesuiten und den linken Befreiungstheologen zu nahe; manche sahen in ihm in Zeiten des Kalten Krieges sogar einen kommunistischen Abweichler und fürchteten später, eine Selig- oder gar Heiligsprechung würde von Linken zu Propagandazwecken ausgenützt.

Inzwischen sind viele Jahre ins Land gegangen, ist der Kalte Krieg Geschichte, und in El Salvador ist längst Frieden geschlossen. FMLN und Arena koexistieren seit 1992 demokratisch. Doch eine Aufarbeitung der Vergangenheit hat nur sehr zögerlich stattgefunden. Zwar hat die von der Uno im Rahmen des Friedensprozesses eingerichtete Wahrheitskommission umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Doch weder wurde ihr Abschlussbericht in Bildungspläne aufgenommen, noch wurden die Empfehlungen der Kommission umgesetzt.

Vor allem Arena spielt die Verantwortung für die Massaker des Bürgerkriegs noch immer herunter. Erst kürzlich erklärte Präsidentschaftskandidat Carlos Callejas, es sei ja nur eine Spekulation, dass D'Aubuisson hinter dem Mord an Romero stecke. Eine Behauptung, die den Erkenntnissen der Wahrheitskommission entgegensteht. Sogar D'Aubuissons Schwester Marisa bestätigt, dass ihr Bruder, der an der berüchtigten US-Folterakademie School of Americas ausgebildet wurde und 1992 an Krebs starb, Romero gehasst und mit Komplizen den Mord geplant habe: "Er hatte eine Liste, und wer darauf stand, wurde umgebracht." Marisa ist Katholikin und gehört der Romero-Stiftung an. Ihr Bruder hielt sie bis zu seinem Tod für eine "Guerillera".

"Jeder, der damals auf der Seite der Armen stand und Gerechtigkeit forderte, war für Leute wie meinen Bruder ein Kommunist", erzählt sie. Vereinnahmungen von links gebe es dementsprechend ebenfalls zahlreiche. "Wir haben immer wieder betont, dass Romeros Einsatz für die Armen der christlichen Nächstenliebe entspringt, nicht einer marxistischen Doktrin", sagt Kardinal Gregorio Rosa Chávez.

Repression und Gewalt

Die Kirche hofft, Romero zu einer Integrationsfigur zu machen in einem Staat, der nach dem Bürgerkrieg nie wirklich zur Ruhe kam: Derzeit sind mehrere Expräsidenten wegen Korruption angeklagt, kriminelle Banden terrorisieren das Land, das zu den gewalttätigsten der Welt gehört, und jedes Jahr flüchten 100.000 Salvadorianer vor Gewalt und Armut ins Ausland. Rosa Chávez ist trotzdem optimistisch: "Gerade die Jugend sieht in Romero einen Leuchtturm, jemanden mit moralischer Autorität, authentisch und glaubwürdig."

"Romero hat sich für soziale Gerechtigkeit eingesetzt und uns beigebracht, für unsere Rechte zu kämpfen, die heute noch immer mit Füßen getreten werden", bestätigt die 18-jährige Gregoria Acevedo. Sie ist Teil der Nachkriegsgeneration, die von vielen als "verloren" bezeichnet wird. Denn seit Ende des Krieges werden die jungen Leute zwischen kriminellen Jugendbanden und einem repressiven Staat aufgerieben. Für die einen sind sie leichte Beute, für den anderen potenzielle Verbrecher. Die Kirche ist eine der wenigen Institutionen, die zu vermitteln versuchen. Es ist ein steiniger Weg. Vor ein paar Jahren scheiterte eine Art Waffenstillstand zwischen dem Staat und zwei der größten Banden; präventive Projekte werden immer wieder vom populistischen Ruf nach einer harten Hand zunichtegemacht.

Romeros Heiligsprechung, so die Hoffnung der Kirche, könnte die Gesellschaft aufrütteln. "Er ist auch ein ethisches Vorbild", sagt Rosa Chávez. "Unserer Gesellschaft fehlt es an Brüderlichkeit und Solidarität. Es gibt zu viele, die Geld und Macht vergöttern." (Sandra Weiss, 12.10.2018)