Bild nicht mehr verfügbar.

Den Künstlern stiehlt er niemals die Show: Der Galerist David Zwirner (54) mit der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama in New York 2013.

Foto: Getty Images / Andrew Toth

Jeff Koons, Isa Genzken, Neo Rauch – der Galerist David Zwirner vertritt Künstler, für deren Werke Museen und Sammler Schlange stehen. Dieses Jahr feiert der Deutsche 25-jähriges Geschäftsjubiläum, von einer Klitsche im New Yorker Bohemeviertel Soho hat er es zu museumsgroßen Ausstellungsräumen in Chelsea sowie Dependancen in London und Hongkong geschafft. Mit einem geschätzten Umsatz von einer halben Milliarde US-Dollar ist er der zweitwichtigste Kunsthändler der Welt, nach Larry Gagosian. Die Kölner Herkunft hört man dem mit seiner Familie in New York Lebenden noch leicht an. Beim Gespräch lehnt er sich leicht vor. Er strahlt Vertrauen aus. Man will ihm sofort ein Bild abkaufen.

STANDARD: Ihre Galerie gibt es seit 25 Jahren. Seither ist der Kunstmarkt explodiert. Darf ein Künstler, der heute am Anfang seiner Laufbahn steht, damit rechnen, ein finanzielles Auskommen zu haben?

Zwirner: Nein. Von 100 jungen Künstlern, die starten, macht mit Glück einer Karriere. Es gibt zwar heute eine viel breitere Öffentlichkeit für Kunst und einen größeren Markt, aber wie viele tatsächlich von ihm gestützt werden können, vermag ich nicht zu beurteilen.

STANDARD: Der Kunstbetrieb gilt als diskret. Ist es vulgär, über Zahlen zu reden?

Zwirner: Das halte ich für ein absolut beknacktes Klischee. Wir verkaufen sehr teure Kunst, und wenn Sie sich für ein Werk interessieren, müssen Sie mit dem Preis umgehen. Ich kann nicht so tun, als ob ich mich für die Zahlen schämte. Das wäre zutiefst unehrlich.

STANDARD: Die Werke einiger Ihrer Künstler verkaufen sich für sechs- bis siebenstellige Summen. Staunen Sie selbst darüber?

Zwirner: Na ja, hätte ich mir vor 25 Jahren nicht so vorgestellt. Diese Karrieren sind von Ausstellungen in den bedeutendsten Museen begleitet. Daher machen mir die Zahlen keine Angst, weil ich weiß, es handelt sich nicht um Potemkin'sche Dörfer, sondern um eine gesund gewachsene Nachfrage.

STANDARD: Ihr Vater war der Kunsthändler Rudolf Zwirner. Sein Ratschlag: nicht feilschen, wenn es um gute Kunst geht.

Zwirner: Man grämt sich im Nachhinein nie darüber, dass man vielleicht ein bisschen zu viel bezahlt hat. Aber man ärgert sich unendlich, wenn einem ein Werk durch die Lappen gegangen ist. Und das ist mir einige Male passiert.

STANDARD: Sind Sie ein guter Geschäftsmann?

Zwirner: Wir haben einen gestandenen Betrieb mit 170 Mitarbeitern und tausende Quadratmeter Ausstellungsfläche. Das hätte ich vermutlich als schlechter Geschäftsmann nicht hingekriegt.

STANDARD: Haben Sie über die Jahre einmal einen Crashkurs in Betriebswirtschaft belegt?

Zwirner: Nein, ich gucke mir manchmal am Flughafen die Harvard Business Review im Zeitschriftenladen an und denke: Müsste ich einmal lesen. Mache ich trotzdem nie. So spannend finde ich Wirtschaft doch nicht.

STANDARD: Was finden Sie spannend?

Zwirner: Die Vermittlung von Kunst. Bevor meine Galerie eröffnet wurde, habe ich für einen Verleger in New York gearbeitet, der wunderschöne Grafiken von John Baldessari, Lucian Freud und Bruce Nauman produzierte. Doch keiner wollte die Weltkunst haben, weil gerade der Markt komplett einbrach. Ich habe mir gesagt, einen Abnehmer muss es immer geben: die Museen. Also habe ich mit einem großen Koffer und einem Minivan die Museen Amerikas abgeklappert. Da stand ich als 26-Jähriger und erklärte den absoluten Profis Kunst. Zunächst habe ich mich fürchterlich blamiert, aber mit der Zeit habe ich einiges verkauft. Danach wusste ich: Ich will meinen eigenen Laden aufmachen.

STANDARD: Gestartet haben Sie in einem Ladenlokal in Soho. Die Heizung funktionierte nicht, Sie wärmten sich mit Dosenbier.

Zwirner: Das verbuche ich unter Betriebsromantik. Wir tranken eigentlich Rolling Rock aus der Flasche, das billigste Bier, das uns schmeckte. Irgendwann wurde mir klar, dass die Stadtalkoholiker um sechs vor der Galerie stehen und drei Bier hintereinander trinken. Seitdem schenken wir keinen Alkohol mehr auf unseren Eröffnungen aus. Als Allererstes muss ich die Arbeiten beschützen, damit nichts kaputtgeht.

STANDARD: Kein Alkohol. Worin unterscheidet sich Ihr Geschäft ansonsten von dem Ihres Vaters?

Zwirner: Was nicht mehr machbar ist: sich nicht klar zu Künstlern bekennen. Mein Vater machte Ausstellungen, kümmerte sich aber nicht um das Karrieremanagement. Wenn wir heute mit Künstlern arbeiten, versuchen wir, sie weltweit zu vertreten.

STANDARD: Was hat der Vater dem jungen Zwirner beigebracht?

Zwirner: Genauer hinzugucken. Sich nicht nur vor ein Bild zu stellen und zu sagen: Ah, Adam und Eva, sondern zu versuchen, es zu entschlüsseln. Künstler machen es uns nicht einfach, sie bauen verschiedene Ebenen ein. Wer hochinformiert vor dem Werk steht, hat den schärfsten Blick.

STANDARD: Als Jeff Koons vor sechs Jahren seinen Galeristen Larry Gagosian verließ und bei Ihnen ausstellte, war das ein Coup.

Zwirner: Das war eine Überraschung. Jeff wollte sich neu orientieren. In der Öffentlichkeit hat das freilich für Wirbel gesorgt. Klar, für Larry wird es unangenehm gewesen sein, aber ab einem gewissen Niveau kann ein Künstler das allein entscheiden. Die meisten möchten das nur nicht. Gerhard Richter arbeitet seit Jahrzehnten mit Marian Goodman.

STANDARD: Ihre Künstler sind weltbekannt. Das heißt, jeder Neureiche möchte ein Kunstwerk bei Ihnen ergattern.

Zwirner: Deshalb tun wir etwas, was sich gestelzt anhört: Wir platzieren die Werke. Uns interessiert der Kontext der Sammlung, was die Käufer damit vorhaben. Es gibt gewisse reiche Leute, die glauben, mit ihrem Vermögen können sie jede Arbeit kaufen. Falsch. Wer einfach nur anruft und nach einem Neo-Rauch-Gemälde fragt, wird nicht weit kommen. Da gibt's eine lange Liste von Leuten, die auf ein neues Bild warten.

STANDARD: Ist es Ihnen egal, ob ein Bild am Ende an einer Wand endet oder in einem Lager in Singapur verschwindet?

Zwirner: Das Lager in Singapur oder in der Schweiz möchten wir so weit wie möglich vermeiden. Nur oft haben gute Kunden bereits Riesensammlungen, die erwerben schon lange nichts mehr für die Wand. Ich freue mich, wenn ich einem Künstler nach einer erfolgreichen Ausstellung in die Augen schauen und sagen kann: Zwei Bilder sind im Museum gelandet, ein anderes hängt bei einem Sammler im Wohnzimmer.

STANDARD: Der deutsche Bildhauer Thomas Schütte sagt: "Von mir gibt es nur etwas, wenn die Sammler im Atelier auftauchen. Ich will sehen, wer meine Werke kauft. Das ist so eine Art Gesichtskontrolle."

Zwirner: Das hört sich natürlich cool an. Die meisten Künstler möchten die Sammler jedoch nicht kennenlernen. Und das verstehe ich auch, weil da Welten aufeinanderprallen, die vielleicht gar nicht so kompatibel sind. Mein Job besteht darin, die Künstler davor zu schützen. Ihnen die Ruhe zu geben, sich der Urproblematik ihrer Arbeit zu stellen – morgens die Tür zum Studio aufzumachen und vor dem Nichts zu stehen: vor der weißen Leinwand, vor dem Klumpen Material.

STANDARD: Bleibt New York der Nabel der Kunstwelt?

Zwirner: Auf absehbare Zeit sicher. Ich kann mir vorstellen, dass der asiatische Markt größer wird und vielleicht in Schanghai oder Peking ein Zentrum entsteht. (Ulf Lippitz, 14.10.2018)