An diesem Wochenende bilden sich in Österreich tausende neue Paare. Das ist eine gute Nachricht – selbst wenn es sich dabei mehrheitlich wohl um eher flüchtige Begegnungen handelt. 10.000 Menschen treffen einander in ganz Österreich – für eine Stunde oder zwei, manchmal auch kürzer, mitunter länger. Um miteinander zu reden, um über die heißen Themen zu diskutieren, die gerade die Welt bewegen. Sie treffen sich auch, um zu streiten – und sich vielleicht darauf zu einigen, dass sie sich nicht einigen können. Oder sie finden sogar doch eine kleine Gemeinsamkeit, einen gemeinsamen Nenner bei aller Unterschiedlichkeit.

Zusammengeführt hat sie der STANDARD über die Aktion "Österreich spricht". Elf Medienhäuser im deutschsprachigen Raum beteiligen sich an dieser Initiative – in Österreich setzte sie der STANDARD um. Das Echo, das "Österreich spricht" auslöste, ist ein weiterer Anlass zu großer Freude. 3800 Gesprächspaare sind daraus geworden, die einander in ihrer Freizeit treffen, um sich die Meinung eines fremden Menschen anzuhören, die sie nicht teilen. Das ist eine beachtliche Zahl.

Sie widerlegt das Klischee, dass in Österreich nur "gematschkert" wird. Das Matschkern ist sicherlich Teil der österreichischen DNA, aber eben nicht nur. Viele Menschen fühlen sich abgestoßen vom Tonfall der Geringschätzung und des Hasses, der sich zunehmend Bahn bricht – nicht nur in den sozialen Medien. Die Begeisterung darüber, dass "im Netz" jeder alles sagen kann, dass hier basisdemokratische Kommunikation auf Augenhöhe möglich wird, ist einer gewissen Ernüchterung gewichen.

Gleichgewicht des großen Ganzen

Einerseits ist das normal. Wo viel Gutes gedeiht, wächst daneben auch einiges Schlechte. Die #MeToo-Debatte oder der demokratische Aufbruch des Arabischen Frühlings konnten ihre Kraft vor allem über die sozialen Medien entfalten. Zeitgleich gediehen aber auch Fake-News und blühen Verschwörungstheorien. Das ist alles höchst verwirrend, und viele Menschen sind erschöpft von der "großen Gereiztheit". Sie ziehen sich in Echokammern zurück, in denen wenigstens alle einer Meinung sind.

Für den Einzelnen mag das der kürzeste Weg in Richtung seelischen Gleichgewichts sein. Dem Gleichgewicht des großen Ganzen ist ein solcher Rückzug aber abträglich. Desinteresse an Beteiligung und Unlust am Diskurs schwächen Demokratie, Rechtsstaat und Gesellschaft – und stärken Demagogie, populistische Vereinfachung, und politische Gängelungsversuche gelingen leichter.

Die rege Teilnahme an "Österreich spricht", aber auch an den jüngsten Volksbegehren zeigt, dass viele die Gefahr erkennen – und dagegen etwas tun wollen. Das zeigt auch der "Österreichische Demokratie Monitor" der Meinungsforscher von Sora. Ihm zufolge lehnt die große Mehrheit der Österreicher die "illiberale Demokratie" ab. Und überwältigende 91 Prozent gaben an, dass das "Miteinander-Reden und Lösungen-Suchen" für sie überhaupt erst Demokratie ausmachten.

Die Geistesfreiheit sei entscheidend, sagte der französische Staatstheoretiker Montesquieu schon im 18. Jahrhundert. Sie bedürfe des besonderen Schutzes, denn: Es gibt keine Freiheit, wenn nicht gestritten wird. (Petra Stuiber, 12.10.2018)