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Banskys "Girl with Balloon".

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Sebastian Pohl (35) ist der künstlerische Leiter des Münchener Kunstvereins Positive-Propaganda.

Foto: Sebastian Pohl

Das Bild, das nach Auktionsende geschreddert wird: Die Aktion des britischen Street-Art-Künstlers Banksy beschäftigt seit rund einer Woche die Öffentlichkeit. Mittlerweile hat Banksys Agentur Sotheby's sogar ein Zertifikat ausgestellt, das die Echtheit und den Titel des live bei der Auktion entstandenen Werks bestätigt: Love is in the bin ist sein neuer Name. Zeit für ein Gespräch mit einem Kenner der Street-Art-Szene, dem Münchner Sebastian Pohl.

Neuer Name: "Love is in the bin"
foto: www.banksy.co.uk

STANDARD: Was ist letzte Woche genau passiert: War Banksys Schredderaktion ein Akt der Selbstvermarktung oder eine Kritik am System Kunstmarkt?

Pohl: Vorweg: Ich halte Girl with a Balloon für eines der schlimmsten Motive, die von Banksys Werken bekannt sind. Es hat wenig mit den Inhalten zu tun, die er ansonsten kommuniziert.

STANDARD: Was ist daran schlimm?

Pohl: Es ist gleichermaßen gefällig wie banal. Verglichen mit den Themen, die Banksy sonst anspricht, hat das Bild keinen Biss. Nehmen wir Keith Haring: In dessen Arbeit ging es fast ausschließlich um gesellschaftsrelevante Themen. Und wofür ist Haring bekannt? Für zwei Menschen, die ein Herz hochhalten.

STANDARD: Sie haben meine Frage nicht beantwortet: War das Ganze Kritik oder Marketingaktion?

Pohl: Die Aktion verfolgt für mich eindeutig ein kritisches Ziel. Banksy nutzt bereits seit Anfang der Nullerjahre die sozialen Medien, um auf seine Arbeiten aufmerksam zu machen – nicht, um sie zu verkaufen. Banksy profitiert nicht einmal davon, sondern Menschen, die mit der Street-Art-Bewegung nichts zu tun haben.

STANDARD: Das Bild wurde nur zur Hälfte zerschreddert, es wurde für den Markt also nicht zerstört. Das deutet darauf hin, dass der Preis in die Höhe getrieben werden sollte ...

Pohl: ... oder jemand auf sich und seine Anliegen aufmerksam machen wollte: Banksy hatte vor der Aktion 2,5 Millionen Follower auf Instagram. Seit dieser Woche sind es gut zwei Millionen mehr.

STANDARD: Wie fügt sich die Aktion in Banksys übriges Werk ein?

Pohl: Für Banksy ist die Message das Medium. Er nimmt sich jenes Mediums an, mit dem er seine Aussage transportieren kann. Einmal sind es Schablonen, dann Malerei, dann macht er eine Aktion.

STANDARD: Warum hat er sich über die Jahre hinweg dem Kunstmarkt angenähert?

Pohl: Man muss festhalten: Geld ist ein Werkzeug. Die Frage ist, was Menschen mit diesem Werkzeug machen. Kunst zu verkaufen, um damit Geld zu machen, um damit wieder Aktionen zu finanzieren, daran ist nichts falsch. Banksy lässt sich nicht von Konzernen einspannen. Er finanziert sich durch seine eigene Arbeit. In seinem Film Exit through the Gift Shop zeigte er, was Street-Art ist – indem er zeigte, was sie nicht ist.

STANDARD: Was ist sie nicht?

Pohl: In den 1970er-, 80er-Jahren entstand in New York eine Graffiti-Szene. Der ging und geht es bis heute um das Sprayen von lustigen Ich-war-hier-Motiven. Leute wie Shepard Fairey, Banksy oder Blu setzen hingegen Statements mit Inhalten. Aus der Graffiti-Szene entstand Mitte der 2000er-Jahre die Urban-Art-Szene: Leute, die bunte, gefällige Bilder malen. Das ist der neoliberale Straßenstrich der Kunst.

STANDARD: Ist das nicht eine arg romantisierende Sicht? Auch Fairey kooperiert mit Konzernen.

Pohl: Fairey ist ein enger Freund von mir. Weil ich ihn sehr gut kenne, weiß ich, dass es ihm vor allem darum geht, seine gesellschaftspolitischen Statements so vielen unterschiedlichen Menschen wie möglich nahezubringen. Und dafür geht er Kooperationen ein. Leute wie Blu, NoName oder Escif lehnen diese Art von Kommerzialisierung hingegen radikal ab. Das sind Leute, die vor zwanzig Jahren noch ausschließlich auf der Straße gearbeitet haben, die auf die Rückeroberung des öffentlichen Raums hinweisen möchten.

STANDARD: Nach dem Street-Art-Hype in den Nullerjahren ist es ruhig darum geworden. Hat sich der Markt seine Kritiker einverleibt?

Pohl: 2015 hat Banksy "Disma-land", eine Parodie auf Disneyland, eröffnet. Das war das einzige Mal, dass er Eintritt verlangt hat, drei Pfund. Mit dem eingenommenen Erlös hat er in Bethlehem sein Walled-off-Hotel eröffnet, um auf die dortigen politischen, aber auch gesellschaftlichen Probleme hinzuweisen. Es finden immer wieder Aktionen von Street-Art-Künstlern statt, auch hier in München zum Beispiel. Das sind keine Wohlfühlaktionen. Die meisten Menschen gucken jedoch lieber auf bunt bemalte Wände als auf etwas, das ihren Lebensstil infrage stellt. Von Deichkind gibt es einen Song: Stumpf ist Trumpf.

STANDARD: Ich frage anders: Hat sich der Kunstmarkt die Street-Art einverleibt?

Pohl: Ohne den Kunstmarkt hätten Künstler wie Keith Haring oder Andy Warhol nicht die Bedeutung, die sie heute haben. Das Problem ist, dass der Kunstmarkt bereitwillig jede Scharlatanerie mitmacht. Junge Urban-Art-Künstler produzieren gezielt für den Markt, das Inhaltliche geht verloren – wenn es überhaupt einmal da war. Die wirklich guten Street-Art-Leute haben auf der Straße angefangen. Geld ist für sie Nebensache. Oder Mittel zum Zweck. So wie bei Banksy. Die Gesellschaftskritik steht bei ihm im Vordergrund. Deswegen agiert er auch anonym und sagt: Es ist egal, wer ich bin, macht euch lieber Gedanken über meine Statements.

STANDARD: Auch das könnte man als Marketingtrick sehen.

Pohl: Nein, das ist die Konsequenz aus dem, was er macht: Banksy schützt sich selbst vor strafrechtlichen Folgen und lästigen Menschen.

STANDARD: Banksy, der Robin Hood der Kunstwelt?

Pohl: Ich würde ihm eine noch viel größere Rolle auch außerhalb der Kunstwelt zusprechen. Ich kenne leider niemand anderen, der in solcher Radikalität agiert. (Stephan Hilpold, 12.10.2018)