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Die Gedenkstätte für den Verunglückten in Kärnten: Bei einem guten Teil seiner Landsleute ist die Sonne nach dem Tod des Landeshauptmanns vor zehn Jahren noch immer nicht wieder aufgegangen.

Foto: REUTERS/Francois Murphy

Was wird ihm nicht alles zugeschrieben. Da ist er für viele der furchtlose Ritter Jörg, der den bösen, rot-schwarzen Drachen Proporz erlegt hat. Da ist er der rechtsextreme Populist, der einen für Europas Demokratie gefährlichen Trend eingeleitet hat. Jörg Haider ist vieles – und das Gegenteil von vielem. Aber das ist er zuallererst in der Wahrnehmung im Diskurs der geschwätzigen Klassen, der "chattering classes", die sich an das maßlos überzogene Bild Haiders gewöhnt haben – überzogen im Guten wie im Bösen.

Und doch ist die Bilanz des vor einem Jahrzehnt in schwer alkoholisiertem Zustand in den Tod Rasenden viel banaler. Haider wollte Erfolg haben, und hatte ihn – aber immer wieder war es er selbst, der seinen Erfolg zerstörte. So, als er – als Landeshauptmann von Kärnten – im Landtag das Loblied auf die "ordentliche Beschäftigungspolitik" Hitlers sang, was ihn auch im Kärnten des Jahres 1991 zum Rücktritt zwang; so, als er um die Jahreswende 1999/2000 eine Koalition mit Schüssels ÖVP schmiedete und damit der von der Vranitzky-SPÖ verordneten Quarantäne entkam – nur um bald darauf, in Knittelfeld, dieses sein Werk zu zerstören und seine Partei in eine schwere Niederlage zu stürzen; so, als er 2005 seine Partei spaltete und das BZÖ gründete – eine Partei, an die sich wohl schon kaum jemand erinnern wird, während die von den Clownerien Haiders befreite FPÖ nun eine zweite Chance des Regierens hat, die sie – vielleicht, vermutlich – besser wahrnehmen kann, als dies Haiders FPÖ vermochte.

Politik als Unterhaltung

Haider verstand Politik als Unterhaltung. Er warf mit bunten Bällen um sich, ohne sich Sorgen um die Schlüssigkeit seiner Vorstellungen zu machen. Da wollte er gelegentlich das Amt des Bundespräsidenten abschaffen, dann aber wieder in einer "Dritten Republik" aufwerten; am Ulrichsberg demonstrierte er NS-Nostalgie, und zeitgleich stellte er den Abschied des "dritten Lagers" vom Deutschnationalismus zur Diskussion; er erwies der Generation seiner Eltern Reverenz – die in seinem Verständnis vor allem von den Soldaten der Wehrmacht repräsentiert war, und in den Discos biederte er sich als bereits über 50-Jähriger den Teenies an; das böse Wort von der "Ostküste" kam da gelegentlich über seine Lippen, ein Code für Antisemitismus und Antiamerikanismus, aber hinter seinem Schreibtisch hing lange die Staatsflagge Kaliforniens, und aus PR-Gründen ließ er sich auf dem Rasen der Harvard University ablichten.

Haider hatte die Politik der Beliebigkeit zu seinem Markenzeichen gemacht – doch nicht mit letzter Konsequenz. Immer spürte man den Respekt, den er der Generation seiner Eltern entgegenbrachte – freilich nicht der Generation in ihrer Gesamtheit, nicht den Opfern der NS-Herrschaft; die kamen bei ihm kaum vor. Was bei seinem schillernden Tanz um das Feuer beliebiger Popularität nie vorkam, das war die konkrete Distanzierung von dem, was er undifferenziert mit dem Begriff "Soldatengeneration" verband – und, damit wohl in direktem Zusammenhang, das Fehlen klarer Grenzen gegenüber dem Nationalsozialismus. Das sollte die Nach-Haider-FPÖ anders machen: Die Strache-FPÖ schließt offen neonazistisch auftretende freiheitliche Funktionäre und Aktivisten aus der Partei aus. Von Haider sind solche Klarstellungen nicht bekannt.

Inhaltlich war Haider in keinem Punkt originell: Den neonationalistischen Populismus hatte Jean-Marie Le Pen Jahre vor Haider erfolgreich umgesetzt; und das Rezept der Mobilisierung der Kärntner Urangst gegen eine erfundene Slowenengefahr hatten vor Haider schon "echte" Kärntner der verschiedensten Parteien angewendet. Einem freilich könnte – vielleicht – Haider Vorbild gewesen sein, dem Herrn, der seit 2017 im Weißen Haus residiert. Haider und Trump – sie entsprechen dem Politikertyp, der die politische Bühne zur Unterhaltung nützt. Wichtig ist, die Schlagzeilen zu bestimmen – weniger wichtig, womit; und unwichtig, ob der dümmliche Witz von heute noch zu dem von gestern passt. Wichtig ist, durch das Spielen mit Emotionen zu polarisieren: So wie heute Donald Trump niemanden kaltlässt, so war, so ist auch das Bild Jörg Haiders durch das Aufeinanderprallen von Fanklubs und unbedingten Gegnern bestimmt.

Politische Beweglichkeiten

Der Abstieg des Jahrzehnte hindurch bestimmenden rot-schwarzen Proporzes hatte vor Haider begonnen. Als Haider sich anschickte, am Parteitag in Innsbruck 1986 die Parteiführung zu übernehmen, war die letzte große Koalition schon zwei Jahrzehnte Geschichte. Haider zerstörte 1986 die Grundlage einer seit 1983 bestehenden, auf eine weitere Legislaturperiode angelegten SPÖ-FPÖ-Koalition – und bewirkte so die Renaissance der großen Koalition. Und die hinter den politischen Beweglichkeiten der letzten drei Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts wirkende Dynamik war nicht politisch gemacht – nicht von Haider und nicht von Kreisky. Es war eine neue gesellschaftliche Mobilität, die Studenten- und vor allem Studentinnenzahlen explodieren ließ, kirchliche und gewerkschaftliche Loyalitäten reduzierte und politisches Verhalten immer weniger berechenbar machte.

Haider verstand es, auf den Wellen dieser Veränderungen zu reiten. Aber Bleibendes konnte er eigentlich nicht schaffen. In seiner Zeit stürzte die Attraktivität der akademischen Vorfeldorganisationen seiner Partei (der Burschenschaften und der Korps) dramatisch ab. Die Spaltung des ÖGB durch die Gründung einer (FP-nahen) "Freien Gewerkschaft" blieb Stückwerk. Und in Kärnten muss eine von der SPÖ geführte Regierung die aus der Ära Haider stammenden Scherben einer maßlos expandierenden Landesbank wegräumen.

Sicherlich, mit Haider beginnt der Wandel der FPÖ von einer "bürgerlichen" Honoratiorenpartei zu einer Partei der Modernisierungsverlierer, die erfolgreich der SPÖ den Titel der ersten Arbeiterpartei des Landes streitig macht. Aber Haider persönlich hat erfahren müssen, wie sehr die heute noch freiheitlich Orientierten morgen politisch schon wieder ganz woanders sein können. Die Haider'schen Wahlerfolge waren auf Flugsand gebaut.

Aufgeweichte Strukturen

Das freilich ist kein Spezifikum der Haider-FPÖ. Nach Jahrzehnten hoher Berechenbarkeit ist das Wahlverhalten in Österreich in den 1980er-Jahren sehr unberechenbar geworden. Das nützt einmal den einen – und dann wieder den anderen, wie 2017 der Kurz-ÖVP. Diese Beweglichkeit, mit all ihren Vor- und Nachteilen, hat Haider – vielleicht – als Katalysator befördert. Aber verursacht hat er sie nicht. Denn die Aufweichung der starren politischen Strukturen der ersten drei, vier Jahrzehnte der Zweiten Republik, die war das Ergebnis gesellschaftlicher Megatrends (wie der Feminisierung, wie der Säkularisierung) und die Folge ökonomischer Globalisierung.

Jörg Haider, das war der – in bestimmten Phasen seines politischen Lebens – sehr erfolgreiche Nutznießer tiefer gesellschaftlicher Veränderungen. Und er war ein geschickter Manager seines eigenen Rufes, seines "Images". Aber er war auch der große Zerstörer – gerade dessen, was er als Erfolge hätte verbuchen können. Dass sein zehnter Todestag dazu führen kann, über das Heroische und über das Dämonische in Haider zu reflektieren – das ist der vielleicht einzige wirkliche Meisterstreich eines begabten Schaumschlägers, eines sich selbst Inszenierenden. Aber er war kein Heros – und auch kein Dämon. (Anton Pelinka, 14.10.2018)