Silvia Ulrich: Der Schutzgüteransatz ist in der digitalen Welt zu eng gefasst und gehört repariert.

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Justizminister Josef Moser sieht im Fall Sigrid Maurer keinen Grund für Anlassgesetzgebung, konstatierte aber Lücken im Gesetz, was Beleidigungen in digitalen Medien betrifft. Die Wortwahl erweckt den Eindruck, als seien die sexistischen Hasspostings gegenüber der grünen Ex-Abgeordneten ein Ein zelfall, der keine Änderung der Rechtslage rechtfertigt. Sexualisierte Hasspostings gegen Frauen in den sozialen Netzwerken sind jedoch keineswegs ein Einzelfall.

Was Maurer widerfahren ist, ist eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt, mit der unzählige Frauen konfrontiert sind. Es ist ein weitverbreiteter Mechanismus, die weibliche Würde und Integrität zu verletzen, um einen patriarchalen Machtanspruch auszuleben. Auch wenn diese Gewalt als Einzelakte Privater in Erscheinung tritt, hat sie politische, öffentliche und strukturelle Dimensionen.

Österreich ist durch internationale Menschenrechtsverträge verpflichtet, Frauen effektiv vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Dies verlangt sowohl die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) als auch das Europaratsabkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbulkonvention.

Hasspostings pönalisieren

Gewalt gegen Frauen wird darin verstanden als Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig trifft. Gewaltakte werden nicht nur als individueller Übergriffe erfasst, sondern auch im Kontext ungleicher Machtverhältnisse und frauenfeindlicher Geschlechterstereotype gesehen, die Gewalt an Frauen begünstigen. Es zählt daher zu den Schutzpflichten des Staates, die Rechtsordnung so zu gestalten, dass Frauen vor solchen Übergriffen effektiv geschützt werden.

Sexistische Hasspostings stellen einen massiven Eingriff in die Persönlichkeit dar. Daher ist es aus menschenrechtlicher Perspektive notwendig, dieses brutale, sozialschädliche Verhalten gegenüber Frauen in sozialen Netzwerken zu pönalisieren. Mit Hasspostings werden aber auch sehr viele Menschen aus rassistischen oder homophoben Gründen in ihrer Würde und in ihrem Selbstwert verletzt. Das Recht stellt jedoch nicht auf diese Persönlichkeitsverletzungen an sich ab, sondern verknüpft diese mit dem Erfordernis der Begehung in der Öffentlichkeit. Üble Nachrede, Beleidigung, Cybermobbing und Ehrenbeleidigung sind so konstruiert. Dies ist in der digitalen Netz werkrealität ein zu eng gefasster Schutzgüteransatz, der dringend repariert gehört: Es geht bei sexistischen Hasspostings nicht um Ehrverletzung unter den Augen der Öffentlichkeit. Ziel ist vielmehr die Beeinträchtigung der persönlichen Autonomie und Geschlechtsidentität durch Herabwürdigung und Verächtlichmachung. Es ist dies ein Ausleben verletzender Definitionsmacht unter Ausnützung von Schutzlücken im Recht.

Schutzlücke reparieren

Der Sache nach handelt es sich bei Hasspostings um Psychoterror. Die unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensführung durch Psychoterror ist derzeit im Strafrecht aber nur in Fällen von Stalking als "beharrlicher Verfolgung" pönalisiert. Stalking-Opfer können zudem unabhängig von einer strafrechtlichen Anzeige beim Zivil gericht ihres Wohnortes eine einstweilige Verfügung zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre beantragen.

Maurer hat angekündigt, dass sie gegen ihre Verurteilung wegen übler Nachrede alle Instanzen ausschöpfen und notfalls auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen wird. Sie könnte alternativ wegen Verletzung ihrer Rechte eine Individualbeschwerde beim CEDAW-Komitee in Genf einbringen. Die Chancen stehen aber auch beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gut, dass Österreich wegen mangelnder Gewährleistung von Gewaltschutz eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verantworten hat. Denn es ist mittlerweile auch ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass ein Unterlassen von staat lichem Schutz vor Gewalt gegen Frauen eine spezielle Form einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung ist.

Keine Anlassgesetzgebung

Eine Schutzlücke zu reparieren, die bisher eine systematische Verletzung der persönlichen Integrität von Frauen ermöglicht, ist keinesfalls "Anlassgesetzgebung". Der Fall Maurer zeigt nur in aller Deutlichkeit auf, dass Österreich säumig ist, den digitalen Wandel so zu regulieren, dass ein effektiver Schutz vor persönlichkeitsverletzender Diskriminierung sichergestellt ist. (Silvia Ulrich, 16.10.2018)