Situationen wie diese und ärgere: Alltag im Schulbetrieb. Durch eine Anzeigenkultur lässt sich das Problem nicht lösen.

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"Transparenz" ist das neue Zauberwort. Die Wiener Stadtregierung macht gerade Schlagzeilen damit. Der Stadtschulrat ließ erheben, wie viele Anzeigen es gegen Schüler und Schülerinnen gibt. Dieser Wissensdurst wird allgemein sehr positiv aufgenommen, man lobt die Tatsache, dass Wien nun "endlich den Problemen auf den Grund geht" – sogar vonseiten der Bundesregierung vulgo des Bildungsministeriums.

So kann man das natürlich sehen. Man kann sich aber auch fragen, was die Erhebung bringen soll: noch mehr Anzeigen gegen Kinder und Jugendliche? Ist dann alles gut?

Schon als Kind abgestempelt

Grundsätzlich kann jeder jeden anzeigen – sogar ein Kind. Das passiert auch laufend, nicht nur bei Schulkindern. Der Kurier hat vor Jahren einmal erhoben, dass jährlich über 5.000 Kinder angezeigt werden. Das kann ein Sandkistenstreit unter Windelkindern sein, bei dem die Eltern des einen das andere vor den Kadi zerren wollen, weil es dem eigenen Engel ein Matchbox-Auto an den Kopf geworfen hat. Das kann auch die SchuldirektorIn sein, die sicherheitshalber den "schwierigen" Taferlklassler gleich einmal anzeigt oder anzeigen lässt, um ihn verlässlich loszuwerden. Soll sich doch eine andere Schule um den kümmern. Oder die Pädagogin, die sich gegen einen pubertierenden Macho nicht anders zu helfen weiß. Und, ja: Vor allem Buben werden angezeigt.

Gewonnen ist damit nichts. Kein einziges Problem wird so gelöst. Die Anzeige wird (wenn das Kind minderjährig ist, und das sind die allermeisten im Pflichtschulbereich, für den Wien verantwortlich ist) von der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall zurückgelegt. Trotzdem bleibt zehn Jahre lang eine Vormerkung im justizinternen Datensystem bestehen – mit Namen und Aktenzahl. Zehn Jahre sind eine lange Zeit in einem Kinderleben: Sollte der Teenager dann etwa eine Dummheit begehen und straffällig werden, wissen Bezirksstaatsanwaltschaft und Richter gleich, dass der oder die Betreffende schon einmal als Sechsjähriger "auffällig" war. Mit Anzeigen werden Kinder, die Hilfe bräuchten, abgestempelt – schon als Minderjährige.

Falsche Schlüsse

Dass diese nun "von Amts wegen" erfasst werden und in den Medien für Schlagzeilen sorgen, könnte auch den Effekt haben, dass noch mehr angezeigt wird – weil es quasi von oben legitimiert ist, die Polizei anzurufen, statt sich eine Lösung zu überlegen.

Dass es ein Problem gibt mit Mobbing in Klassenzimmern, sollte sich mittlerweile von den Schulgängen bis in die Politikerbüros durchgesprochen haben. Dass es an "Brennpunktschulen" viel zu wenige Psychologen und Sozialarbeiter gibt, dass in fast allen Klassen Wiens zu wenige Lehrer sich um zu viele Schüler kümmern müssen.

An der "Basis" ist man sich dieser Herausforderungen längst bewusst. An vielen Wiener Schulen behilft man sich irgendwie selbst, tut, was man kann. In einigen Schulen wurden "Streitschlichter" eingesetzt: Vertrauensschüler, die versuchen, gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern Konflikte unter Schülern und Schülerinnen zu lösen.

Jetzt wäre die Politik gefordert – um die Probleme an ihrer Struktur anzugehen.

Beleg für Versagen

Warum aber benötigt es dafür diese Auflistung von Anzeigen? Was sagt das aus? Ist es nicht eher ein krasser Beleg für das Versagen eines Bildungssystems, wenn Kinder angezeigt werden? Spielt man damit nicht jenen in die Hände, die Integration für verfehlte Politik halten, die von Eliteschulen träumen und jene, die ohnehin einen schweren Start ins Leben haben, am liebsten separieren und sich selbst überlassen würden?

Die von der FPÖ so hoch geschätzte und mit Presseförderung bedachte Publikation Zur Zeit hat kürzlich in einem Kommentar ganz klar gemacht, was mit "schwierigen" Schülern zu geschehen habe: "Renitente Schüler sind zur Räson zu bringen: Aberkennung des elterlichen Erziehungsrechts, Wegfall der Familienbeihilfe und sonstiger Vergünstigungen, Ausdehnung der Minderjährigkeit wegen fehlender charakterlicher Reife, Abschiebung in geschlossene Sonder-Schulen ..."

Solchen Leuten mit solchen Ansichten spielt Wien damit in die Hände. Bleibt nur zu hoffen, dass das zumindest nicht beabsichtigt war. (Petra Stuiber, 18.10.2018)