Als dieses Blatt erschaffen wurde, schien das einem weit verbreiteten Bedürfnis nach einem liberalen Medium zu entsprechen, das sich unter den damals herrschenden österreichischen Verhältnissen für Weltoffenheit, Toleranz, parlamentarische Demokratie und die Ablehnung aller Formen des Extremismus einsetzt, eine intelligente, mündige, überregionale Tageszeitung, unabhängig von allen Interessengruppen, nur den Lesern verpflichtet, wie der Herausgeber in seinem Eröffnungsbrief bekundete. Diesem Bedürfnis zu entsprechen, hat sich die Redaktion des STANDARD mit dem heutigen Tag unter nicht immer einfachen Verhältnissen dreißig Jahre lang bemüht. Jetzt ist festzustellen, dass dieses Bedürfnis unter den derzeit herrschenden österreichischen Verhältnissen, aber auch unter denen im Rest der Welt, nicht geringer, sondern dringender geworden und schwerer zu befriedigen ist. Die Zeiten werden härter, die Grenzen enger.

Bundeskanzler war damals ein Mann mit Erfahrung in der Wirtschaft, heute reicht Maturaniveau mit Talent zur innerparteilichen Intrige. Der eine, vorläufig Letzter seiner Art, beendete eine Koalition mit der FPÖ, als Jörg Haider seine innerparteiliche Machtergreifung feierte, und legte ein Bekenntnis zur Mitverantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus ab. Der gegenwärtige koaliert ungerührt mit dem stolzen Anwärter der Jörg-Haider-Medaille, und das, nachdem bereits eine erste schwarz-blaue Koalition desaströs gescheitert ist. Dieser wiederum führt eine Partei, die den alten Ostküsten-Antisemitismus vergessen machen will, indem Funktionäre sich an Israel anschmeißen, und die ihre rassistischen Energien nun eben an Asylsuchenden abarbeitet.

Es vergeht kaum eine Woche, in der einem Funktionär der blauen Regierungspartei nicht irgendetwas "durchrutscht", und zwar nur "aus Versehen", wogegen sich Haiders Entgleisungen beinahe wie Folklore ausnehmen. Rechtsextremisten scheinen Morgenluft zu wittern, sympathisieren offen mit Auto- und Kleptokraten im Ausland, und der Bundeskanzler seufzt, wenn ein – sein – Innenminister vom Konzentrieren und gelenkter Information träumt, man kann auch Zensur sagen.

Wenn sogar ein Freund dieser Koalition wie Erhard Busek Mittwoch in der "Presse" fragte: "Wer schützt uns eigentlich vor Herbert Kickl?", zeigt auch das, was sich seit der Gründung des STANDARD nicht zum Besseren gewendet hat: "Der jetzige Innenminister will uns in Richtung eines Polizeistaats drängen." Damals träumte man von einer Öffnung der Grenzen, jetzt konstatiert Busek Tendenzen zurück hinter den Eisernen Vorhang.

Für Journalisten und für Medien, die ihre demokratische Verantwortung ernst nehmen, sind in diesen dreißig Jahren die Verhältnisse nicht besser geworden. Mediale Geschäftemacher haben es besser. Als würde die "Krone" nicht genügen, dürfen "Heute" und "Österreich" das Stadtbild verschandeln und die Gehirne verkleistern, gefördert von einer Politik, die kaum etwas zur Förderung seriöser Medien tut und Interesse daran bloß vortäuscht.

Es bleibt viel zu tun für die nächsten dreißig Jahre. (Günter Traxler, 18.10.2018)