Vivienne Stern will europäische Unis und Forscher angesichts der Folgen des bevorstehenden Brexits beruhigen. Wie diese genau ausfallen, ist aber noch nicht ganz klar.

Foto: Universities UK

Eines, das betont Vivienne Stern immer wieder, ist ihr wichtig: Keep calm, carry on. "Wir wissen, dass die Dinge ein bisschen kompliziert sind", sagt die Chefin der Rektoren-Organisation Universities UK am Freitag zum STANDARD, aber trotz Brexits sage sie ihren EU-Partnern immer wieder: "Arbeitet weiter mit uns! Schickt weiter Studenten in Erasmus-Programme! Wir machen das Gleiche."

Stern war als Teil einer elfköpfigen Delegation am Freitag in Wien, um unter anderem mit Bildungsminister Heinz Faßmann und Eva Blimlinger von der Universitätenkonferenz über die Folgen des EU-Austritts zu sprechen. Wichtig sei, dass es weiterhin Vertrauen darein gebe, dass laufende Projekte auch nach dem Brexit stattfinden und der Austausch von Studentinnen und Wissenschafterinnen ungefährdet sei.

STANDARD: Österreichische Gesprächspartner aus der Forschung erzählen oft von ihrer Überraschung darüber, wie normal Verhandlungen mit den Briten trotz Brexits laufen. Wird das Thema verdrängt?

Stern: Das würde ich nicht sagen. Britische Wissenschafter sind vom Brexit besessen. Es ist aber beruhigend zu sehen, dass es im Ausland nicht die gleiche Besessenheit gibt. Wir empfehlen den Leuten, so weiterzuarbeiten wie immer. Wir müssen uns eingestehen, dass es einen Grad an Unsicherheit gibt. Ich glaube, dass es möglich bleiben wird, in der Forschung zusammenzuarbeiten und weiter Studentinnen- und Mitarbeiterinnenaustausch zu betreiben. Die echte Herausforderung wird es sein, das Vertrauen zu bewahren. Unsere Botschaft ist: Arbeitet weiter mit uns! Wir wissen, dass die Dinge ein bisschen kompliziert aussehen, aber arbeitet weiter mit den Kollegen in der Forschung! Schickt weiter Studenten in Erasmus-Programme! Wir machen das Gleiche.

STANDARD: Gibt es dieses Vertrauen noch?

Stern: Teils ist es ein bisschen schwierig. Ein Beispiel: Man arbeitet mit einer britischen Kollegin und bewirbt sich um eine Förderung – und dann denkt man sich: Wird das so weitergehen? Macht das Erfolg unwahrscheinlicher? Schadet es uns, wenn unsere Projektleiterin aus Großbritannien kommt? Das entspricht der menschlichen Natur. Wir glauben aber, dass diese Sorgen nicht nötig sind. Es gibt eine Garantie der britischen Regierung, dass auch im schlimmsten Fall, also bei einem Brexit ohne Deal, alle UK-Teilnahmen von der britischen Regierung finanziert werden, für die es vor dem Brexit eine Bewerbung gab.

STANDARD: Allerdings laufen Projekte ja oft in Ketten. Gibt es da nicht doch Unsicherheiten?

Stern: Wichtig ist, dass es hoffentlich einen Trennungsvertrag zwischen Briten und EU gibt. Wir wissen aus Vertragsentwürfen, dass London dann voll in Erasmus und Horizon 2020 bis zum Ende des Programms bleiben würde – in einer Übergangsperiode. Wenn das nicht passiert, wäre das ziemlich zerstörerisch, das wird hoffentlich nicht geschehen. Und dann geht es um längere Zeitspannen. Wir hoffen, dass Großbritannien nach dem tatsächlichen Brexit voll am neuen Horizon Europe und dem nächsten Erasmus-Programm teilnehmen wird. Das ist im beidseitigen Interesse, es sollte auch möglich sein – etwa über einen Assoziationsvertrag, so wie es ihn heute schon mit Israel gibt.

STANDARD: Wir haben viel über Geld gesprochen – aber es geht ja auch um die Reise- und Niederlassungsfreiheit.

Stern: Wir arbeiten hart, um der britischen Regierung in Erinnerung zu halten, wie wichtig es für ein gutes Uni-System ist, dass es offen für Mitarbeiterinnen und Studentinnen aus aller Welt ist. Wir haben 440.000 Studenten aus dem Ausland. Sie kommen aus der EU, aber auch aus China, den USA, Afrika, aus allen Teilen der Welt. Vieles, war wir hören, ist ermutigend – etwa was die Möglichkeit für schon hier lebende EU-Bürger betrifft, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu bekommen.

STANDARD: Der Brexit wird von britischen Wissenschaftern überwiegend negativ gesehen. Aber gibt es auch Positivpunkte?

Stern: Es gibt aus meiner Sicht zwei Punkte, auch weil ich grundsätzlich ein optimistischer Mensch bin. Zum einen hat unsere Regierung Versprechen gemacht, die unseren Platz in der internationalen Forschung sichern sollen. Man sieht, dass es große Investitionen in internationale Forschungszusammenarbeit gibt. Und der zweite positive Punkt ist aus meiner Sicht, dass gewisse Beziehungen zu europäischen Unis, die bisher als gegeben hingenommen wurden, jetzt wieder im Fokus sind. Ich habe vor vier Jahren in diesem Job begonnen, alle meine Kraft galt Ländern wie Indonesien, Vietnam, Mexiko. Jetzt haben wir einen guten Grund, mehr über die historisch wichtigen Verbindungen nach Europa nachzudenken.

STANDARD: Ich nehme allerdings an, dass die Mexikaner und Indonesier das nicht als so positiv wahrnehmen.

Stern: Es gibt jetzt insgesamt mehr Möglichkeiten, auch für die nichteuropäischen Kooperationen. In dieser Sicht weht der Wind gewissermaßen aus der richtigen Richtung.

STANDARD: Vor dem Referendum warnten viele Wissenschafter vor einen Austritt. Genützt hat es nichts. Fehlt es der Wissenschaft an Autorität?

Stern: Eine Sache, die wir gelernt haben, ist, dass wir leider eine tief gespaltene Gesellschaft haben. Was uns offensichtlich erscheint, ist nicht für jeden offensichtlich. Es gibt einen Backlash gegen Expertenwissen, Beweise und gegen die Wahrheit. Für uns war es ein echter Schock, als wir festgestellt haben, wie sehr wir uns nur mit uns selbst unterhalten hatten. Wir müssen besser darin werden, zu erklären, dass wir Dinge tun, die das Leben der Menschen verändern: Krebs heilen, Verschmutzung reinigen, Mikroplastik aus den Ozeanen entfernen, der Klimawandel. Wir müssen zeigen, dass es dabei nicht um unser Eigeninteresse gibt. Unis können die Menschheit in Richtung Lösungen führen, in einer Zeit, in der es scheint, als würden nur die Probleme wachsen. Aber ich kann mit den Armen fuchteln, wie ich will, wenn die Leute nicht wissen, was ein Wissenschafts-Framework ist, was ein Zitat ist, wenn sie auf Durchgang schalten, sobald das Wort "Mikrobiologie" fällt. Wie schaffen wir es, die Botschaft zu vermitteln, dass wir wirklich in bedeutender Weise für die Menschheit arbeiten? Das ist schwierig. Aber es ist ein toller Job – meine Mission. (Manuel Escher, 19.10.2018)