Bill Gates will sich nicht in ein Links-rechts-Schema pressen lassen. Was Humanität und seine soziale Ader betrifft, sieht er sich als Linksliberaler und Hochleistungsmensch.

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STANDARD: Die 28 EU-Regierungschefs haben beim EU-Gipfel gerade darüber debattiert, wie sie die Europäische Union im Mittelmeer von Migranten aus Afrika abschotten können. Sie sind nach Brüssel gekommen, um über die Chancen in Afrika zu reden. Warum sind Sie so optimistisch und die Europäer so furchtsam?

Bill Gates: Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der ein Anwalt für unkontrollierte Migration sein will. Zu entscheiden, wie legale Migrationspolitik im Detail gestaltet werden soll, darüber kann jedes Land oder jede Staatengruppe selber entscheiden. Unkontrollierte Migration ist keine schöne Sache für alle Beteiligten. Die Menschen zahlen dafür sehr viel Geld, manche müssen großes Leid erfahren, werden auf dem Meer ausgesetzt. Viele verlieren ihr Leben.

STANDARD: Haben wir in Europa den falschen Fokus auf Afrika, wenn wir diesen Kontinent auf das Thema Migration reduzieren?

Gates: Ich will damit nur sagen, die meisten Leute wollen einfach, dass Migration unter kontrollierten Bedingungen abläuft. Das macht auch Sinn. Wir sind in unserer Stiftung keine Experten für Migration. Aber wir sind Experten für die armen Regionen von Afrika. Das betrifft natürlich nicht die nordafrikanischen Staaten, wo das Transitproblem mit Migranten ein großes Thema ist. Wir beschäftigen uns mit den enormen Krankheitsproblemen, mit der extremen Armut in Afrika. Wir reden also von der Subsahararegion. Wenn wir mit den Europäern sprechen, sagen wir, wir können nicht helfen bei dem, was ihr in den nordafrikanischen Staaten tut. Wir investieren viel in der Sahelzone, in Sahel, in Burkina Faso, dem Niger, dem Tschad.

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Bill und Melinda Gates machen sich gegen Armut stark.
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STANDARD: Ist es also richtig, wenn die EU-Staaten versuchen, in die Migration mehr Recht und Ordnung zu bringen, dass das aber getrennt gesehen werden sollte von der Hilfe zur Entwicklung?

Gates: Das ist richtig, für die Lösung dieses kurzfristigen Problems der illegalen Migration habe ich auch kein Rezept. Wir haben verstanden, dass das eine politische Priorität in der EU ist. Deshalb geht auch einiges Geld aus dem EU-Budget in diese kurzfristige pragmatische Hilfe in der Subsahararegion. Auf lange Sicht aber brauchen wir mehr Stabilität. Warum gab es eine Welle unkontrollierter Migration? Der Bürgerkrieg in Syrien hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Es gab eine Menge legitimer Ansuchen um Asyl, und dann haben sich die Wirtschaftsflüchtlinge da draufgesetzt, nachdem sie gehört hatten, dass die Türen offen sind. Wenn man auf lange Sicht Kriege vermeiden, Stabilität erreichen will, dann muss man in Humankapital investieren, sprich in Bildung und Gesundheit. Das ist sehr wichtig.

STANDARD: Was ja auch geschieht.

Gates: Europa hat diese Geschichte, eine der großzügigsten Regionen der Welt zu sein. Mehr als 60 Prozent der Hilfsgelder weltweit kommen aus einer Kombination der Budgets der EU und der Budgets ihren Nationalstaaten. Für unsere Stiftung ist Europa ein wichtiger Partner bei der Entwicklungshilfe oder im Polioprogramm. In der Subsahararegion haben wir einige gemeinsame Prioritäten, besonders auf dem Gebiet der Gesundheit.

STANDARD: Sollten sich die Europäer stärker auf die Subsahararegion konzentrieren? Sie haben mit Bundeskanzler Kurz in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident gesprochen. Was haben Sie ihm geraten?

Gates: Die gute Nachricht in der Entwicklungshilfe ist, dass das in Asien sehr gut funktioniert hat. Indien hat sich ökonomisch gut entwickelt, sogar in Bangladesch und Pakistan gibt es Fortschritte. Die wirklich problematischen Länder wie Afghanistan oder der Jemen haben nicht eine so große Bevölkerung. Das bedeutet, der größere Teil der Hilfe der Welt und vor allem Europas muss an den vergessenen Kontinent gehen, an Afrika, dort gibt es die extremste Armut, das größte Bevölkerungswachstum, die schlimmsten ansteckenden Krankheiten. Da müssen wir mehr tun.

STANDARD: Was konkret muss dort getan werden?

Gates: Ich habe viel Zeit in Afrika verbracht, habe mir die Entwicklung angeschaut, die Budgets, die Möglichkeiten. Mit dem österreichischen EU-Ratsvorsitz wollte ich diese Erfahrungen austauschen, wo ich die Herausforderungen sehe. Ich bin dankbar für die Großzügigkeit der Europäer. Wir haben über den nächsten mittelfristigen EU-Finanzrahmen gesprochen, und was damit geschehen wird. Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der sich mit zwei Forschungsgebieten befasst, auf die wir einen Fokus haben. Kurz versteht europäische Politik besser als ich. Er hat mir die Lage erklärt. Ich habe ihm gesagt, was aus meiner Sicht in Afrika gut funktioniert. Ich habe Kurz das erste Mal getroffen.

Gates erzählt von seinem Treffen mit Bundeskanzler Kurz.
Foto: Thierry Monasse

STANDARD: Hat er Sie zum Afrikagipfel nach Wien eingeladen, der zu Jahresende stattfinden soll?

Gates: Wir werden dabei sein als Stiftung. Aber ich fürchte, ich kann meinen Kalender nicht ändern und selber nicht teilnehmen. Es ist sehr gut, dass dieses Treffen stattfindet. Es werden Länder dabei sein, die exemplarisch sind dafür, wie man helfen kann, Äthiopien zum Beispiel, da tun wir sehr viel. Die Armut ist dort noch immer sehr groß, aber sie haben das Gesundheitssystem sehr verbessert, auch die landwirtschaftliche Entwicklung. Äthiopien ist ein ideales Beispiel dafür zu zeigen, wie Entwicklungshilfe das entscheidende Element sein kann, damit in Humankapital investiert werden kann.

STANDARD: Wenn Sie sagen, Nigeria und die Republik Kongo würden in den nächsten 20 bis 30 Jahren jene Staaten sein, die mit ihrer stark wachsenden Bevölkerung Schlüsselländer in Afrika sein werden, was bedeutet das für Europa?

Gates: Es braucht eine langfristige Strategie, so wie das in Asien schon funktioniert hat. Es gibt sehr gute Modelle. Nehmen Sie Vietnam, wo es ein exzellentes Bildungssystem gibt. Früher hat man Hilfsbudgets oft verwendet, um sich in dieser Region Freundschaft zu kaufen. Die französische Hilfe in frankophonen Ländern zum Beispiel war oft nicht darauf angelegt, die Ergebnisse im Gesundheitswesen oder dem Bildungssystem zu verbessern, es ging eher um wechselseitige politische Unterstützung. Seit der Kalte Krieg zu Ende ist, hat sich das aber geändert. Niemand würde heute schlecht geführten Regierungen einfach so Geld in die Hand geben, keiner würde wie früher einem Mobutu im Kongo unterstützen, wenn er das Ziel hat, die humanitäre Situation zu verbessern.

STANDARD: Was hat sich geändert?

Gates: Nun, es gibt noch immer diesen Konflikt, dass Länder immer auch die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern wollen oder Allianzen suchen, um den Einfluss Chinas zu begrenzen. Aber im Vordergrund ist die Hilfe nun getrieben vom Ziel, die Kindersterblichkeit zu senken, der schlechten Ernährung entgegenzuwirken. Am besten sind die Resultate dabei bei medizinischer Hilfe, im Gesundheitswesen. Wir kennen die Mechanismen dafür. Wenn wir das Richtige tun, dann sinkt die Kindersterblichkeit sogar in einem sehr, sehr armen Land wie Ruanda dramatisch.

STANDARD: Wie wichtig ist es, daneben Programme zu fahren, die die Demokratie in diesen Ländern stärken, den Rechtsstaat, die der Bekämpfung der Korruption dienen?

Gates: Für uns in der Entwicklungscommunity ist eines klar: Wenn Sie ein Budget haben und dann überlegen, wie man die Hilfe am besten einsetzen kann, um die Gesundheit oder die Bildung zu verbessern, dann gibt es ein klares Setting, wie man das Schritt für Schritt umsetzt, insbesondere wenn man es mit einer funktionierenden Regierung in dem Land zu tun hat. Äthiopien ist dafür ein Beispiel. Korruption ist eine üble Sache, das wirft einen wirklich dramatisch zurück. Nehmen Sie das Beispiel Nigeria. Sogar die Wähler dort sind gegen Steuererhöhungen, weil sie nicht glauben, dass sie das als staatliche Leistungen zurückbekommen. Es gibt daher einen total unterfinanzierten Staat, das ist ein Teufelskreis, weil das Bildungswesen dann natürlich nicht gut ist.

STANDARD: Was kann man dagegen tun?

Gates: Wir sollten darüber nachdenken, wie die digitale Revolution uns helfen könnte zu verfolgen, was die Regierungen tun, die Ausgaben zu kontrollieren, die Lehrer zu prüfen, ob die Impfstoffe in den Kliniken ankommen und so weiter. Es gibt eine Menge Innovation, die das unterstützen kann. Ich habe vor kurzem den Regierungschef von Estland getroffen, er hat mir erzählt, wie stolz sie darauf sind, wie durchgehend die staatliche Verwaltung digitalisiert ist. Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf die ärmsten Länder übertragen. Aber es gibt Beispiele, wo man ansetzen kann. Man kann digitale Werkzeuge dafür erfinden. Es ist nicht ganz leicht. Bei der Abdeckung mit medizinischer Hilfe in Äthiopien haben wir das gemacht. Wir wussten genau, was da vorgeht. Wenn Sie die Korruption zurückdrängen wollen, dann ist das viel schwieriger. Zu erwarten, dass solche Länder sich in perfekte Demokratien verwandeln, ist oft nicht realistisch. Das gilt sogar, wenn wir Beispiele in Asien anschauen. Südkorea war keine Demokratie, als es Hilfe bekam, Taiwan ist keine Demokratie, Vietnam ist sicherlich keine Demokratie. Indonesien oder Indien sind Gegenbeispiele.

STANDARD: Bei einem Auftritt im EU-Parlament sagten Sie, wir alle bräuchten viel mehr Großzügigkeit. Muss man so reich sein wie Sie, um großzügig Entwicklungshilfe zu leisten, gibt es da einen Sozialisten, einen Leftie, der in Ihnen steckt?

Gates: Ich bin in gewisser Weise doch ein Leftie. Ich glaube zum Beispiel, dass die Steuern noch progressiver sein sollten als heute. Ich bin ein Linker, wenn es darum geht, dass reiche Länder viel großzügiger sein sollten gegenüber den armen Ländern. Ich bin sicher kein Linker in dem Sinn, dass gesagt wird, Konzerne sind schlecht, Gewinne sind schlecht. (lacht) Ich bin sehr liberal, wenn es um soziale Dinge geht. Das passt alles nicht so gut in ein Links-rechts-Schema. Jeder, der die Chance hat zu sehen, was in der Welt passiert und wo man zum Beispiel Impfstoffe hin liefern kann, kann helfen. Wenn man ein humaner Mensch ist, tut man das.

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Bill Gates, 1999 noch Microsoft-Geschäftsführer, beim Shakehands mit Nobelpreisträger Nelson Mandela in Seattle, Washngton.
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STANDARD: Was kann Europa als Ganzes tun?

Gates: Europa, die europäischen Wähler, das ist sehr abstrakt. Da tauchen die Fragen auf: Wird das Geld verschwendet? Bedeutet das, dass dann die Großzügigkeit auf meiner lokalen Ebene nicht so groß ist, wie ich möchte? Oder manche sind über Regierungen verärgert. Dann wird von manchen ein Konnex zur Migration hergestellt. Das führt dann oft dazu, dass die Wähler sagen, wir sollten doch besser auf uns selber schauen. Aber ich habe schon gesagt, Europa ist schon sehr großzügig in der Entwicklungshilfe, das kann man nicht als selbstverständlich ansehen. Das ist der Grund, warum ich da war. Ich bin eine hocheffiziente Person aus dem Privatsektor, ich kann sagen: Schaut her, ich stecke da bei einem Projekt mein eigenes Geld hinein, zum gleichen Anteil wie aus dem EU-Budget.

STANDARD: Sie wollen ein Vorbild sein, von dem andere lernen?

Gates: Ja, aber man kann daraus auch ableiten, dass ein Engagement nicht unsinnig ist, dass man darauf vertrauen kann, dass das Geld nicht in irgendwelche korrupten Kanäle geht. Wir retten Leben, wir verteilen Impfstoff. Institutionen müssen achtgeben auf ihren Output, sie können leicht einen Überhang an Personal aufbauen. Es ist wichtig für die Welt, dass Europa großzügig bleibt. Die beste Motivation dafür ist, dass es humanitäre Gründe dafür gibt. Wenn wir in diesen Teilen der Welt Stabilität schaffen, dann ist das sehr viel wert, auch große Investments.

STANDARD: Reden wir über die Rolle Europas in der Welt, was es global bewegen kann in dieser rasanten Entwicklung von Digitalisierung und Globalisierung, die vielen Menschen Angst macht. Kann es seine Sozialstaatsidee im Konzert mit den USA, Russland und China behaupten?

Gates: Sogar die USA tendieren dazu, im sozialen Netz generöser zu sein, wenn man das über einen längeren Zeitraum betrachtet. Wir liegen natürlich zurück hinter Ländern wie Schweden oder Frankreich, auch hinter Europa als Ganzes. Großbritannien ist näher bei den USA. Aber es ist so: Je reicher Länder werden, desto mehr tun sie proportional bei den Transferleistungen, um die Einkommensverteilung auszugleichen. Die gute Nachricht für die Welt ist, durch diese Digitalisierung und die Globalisierung steigt die Produktivität. Das versetzt uns in die Lage, die Leistungen zu finanzieren, die die Menschen brauchen, und es ist dafür weniger Arbeit nötig. Wenn wir schlau sind, können wir diese gewonnene Arbeitszeit nehmen und sie für Erziehung, zur Betreuung der alten Menschen, von Behinderten verwenden. Vielleicht werden wir sogar so wohlhabend, dass wir weniger arbeiten müssen. Da sind wir noch nicht. Es wäre vorschnell zu sagen, dass es bald eine 30-Stunden-Woche gibt oder Ähnliches.

STANDARD: Das werden Menschen, die keine Arbeit haben, anders sehen.

Gates: Aber der Zuwachs an Produktivität, den wir seit Jahrzehnten gehabt haben, war alles in allem eine gute Sache. Wollen wir zurückgehen und alle Subsistenzbauer werden? Dann hätte man 100 Prozent Vollbeschäftigung, aber in einer sehr negativen Gesamtsituation. Europa ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Modell von sozialem Ausgleich, von Chancengleichheit von Frauen und Männern funktionieren kann. Die ganze Welt strebt danach, diese Art von Gesellschaft einmal zu erreichen.

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Bill Gates mit U2-Frontman Bono (eig. Paul David Hewson) und Computer-Magnat Michael Dell beim World Economic Forum 2008.
Foto: Reuters / HO

STANDARD: Aber es gibt doch die Gegenseite. Es gibt viele Menschen, die nicht profitieren, die um ihren Job bangen, die Angst haben. In Europa gewinnen die Rechtspopulisten, der Nationalismus an Boden, es gibt Präsident Trump in den USA. Sehen Sie das nicht?

Gates: Ich sehe keine Regierung, die sagen würde, steigen wir auf die Bremse, in der Art: keine Medikamente mehr gegen Krebs, wir tun nichts gegen Alzheimer, Bauern, kauft keine Traktoren, sondern erntet wieder mit der Hand. Ich sehe nicht, wieso man den technologischen Fortschritt stoppen sollte. Ja, er führt dazu, dass manche Jobs unwichtiger werden. Tatsächlich ist es so: Je schneller dieser Prozess verläuft, desto mehr müssen Regierungen eingreifen. In der Vergangenheit dauerte der Wandel mehrere Generationen. Wir wurden reicher, und es sind neue Jobs entstanden, man hat sich angepasst.

STANDARD: Sind Sie ein ungebrochener Optimist?

Gates: Ja, neue Technologien bringen Wandel. Und manchmal ist nicht alles positiv, denken Sie nur an Social Media. Es gibt positive und negative Dinge. Aber alles in allem glaube ich, dass diese großartigen neuen Technologien das Leben der Menschen verbessern und erleichtern. Da sollten wir mit Volldampf weitermachen.

STANDARD: Sie haben mit ihrer Firma Microsoft dazu beigetragen haben, diesen Wandel revolutionär voranzutreiben. Wir sind nur ein paar Jahre auseinander, ich erinnere mich an die Zeit, als Sie beim rasanten Aufstieg Ihrer Firma vor eineinhalb Generationen sagten, Computer und Internet werde die Welt demokratischer machen. Würden Sie das heute wieder so sagen?

Gates: Es ist mit Sicherheit eine gute Sache, dass es heute leichter als je zuvor ist, Informationen zu bekommen darüber, was in der Welt geschieht. Aber es gibt auch die Seite, dass Leute nur jenen in ihrer Blase zuhören, mit denen sie einer Meinung sind. Es gab Trends zur Polarisierung, bereits lange bevor digitale Medien aufkamen. Es scheint aber so zu sein, dass digitale Medien diesen Trend der Polarisierung verstärken, wenn dann Rechte nur auf Rechte hören, Linke nur mit Linken kommunizieren. Da stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Das ist sicher etwas, was durch digitale Technologie mit ausgelöst und verstärkt wurde. Über die Polarisierung müssen wir in der Tat nachdenken. Ich habe dafür keine technische Lösung.

Bill Gates leitet seit 1999 die nach ihm und seiner Frau Melinda benannte Stiftung. Für sie kommt er auch immer wieder nach Brüssel.
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STANDARD: Sie sind eine Ikone für Milliarden Menschen, die mit Ihren Computerprogrammen von Microsoft aufgewachsen sind. Sie selber sprechen aber von einer zweiten Karriere, die Sie als Philanthrop gemacht haben. Was war Ihre Motivation dafür?

Gates: Als ich auf die fünfzig zuging, dachte ich, ich sei nicht mehr die richtige Person, um einen Technologiekonzern zu leiten. Dann habe ich an einem Punkt definitiv gesehen, dass ich besser meine Sachen packen sollte oder vielleicht nur noch in der Forschung arbeiten sollte. Aber der Erfolg von Microsoft gab mir auf eine erstaunliche Weise diesen gigantischen Reichtum. Dann hatte ich die Idee: Kann ich diesen Reichtum hernehmen und dabei helfen, einen Impfstoff gegen Malaria und gegen HIV zu entwickeln? Zuerst wollte ich vor allem in die Wissenschaft investieren, um die Welt besser zu machen.

STANDARD: Wie sind Sie dann auf die Entwicklungshilfe gekommen?

Gates: Ich bin auf das Problem der Verteilung gestoßen, dass man zwar gute Impfstoffe hat, aber sich die Frage stellt: Wie kann man sie allen Kindern in Afrika zukommen lassen? So wurde ich da hineingezogen, in eine ganze Menge von Partnerschaften, machte viele Reisen nach Afrika. Wenn man eine Wirkung erzielen will, dann braucht man dafür die Fähigkeiten, die Partnerschaften. Für mich ist dieser zweite Job ein bisschen wie mein erster. Ich arbeite mit Menschen zusammen, ich bin der, der optimistisch ist, ich schaue auf die Messgrößen, schaue, ob das System funktioniert. Ich reise um die Welt und bin davon überrascht, was gut geht, was schlecht geht.

STANDARD: Es klingt nach harter Arbeit.

Gates: Es ist ein Job. Ich stehe früh am Morgen auf. Ich lese alle die Papiere, die man mir vorlegt. Ich muss ständig dazulernen, habe ein Team. Ich bin sehr stolz darauf, dass die Exzellenz der Stiftung, die Qualität der Mitarbeiter mindestens so gut ist, wie es bei Microsoft war. Es geht darum, die Zahlen im Griff zu haben. Fehler einzuräumen, Partnerschaften schaffen. Ich habe so viel über die Vereinten Nationen gelernt, über Nigeria.

STANDARD: Was bedeutet Geld für Sie, hat es eine Bedeutung, wenn man einer der reichsten Menschen der Welt ist?

Gates: Wissen Sie, meine Kinder gehen in gute Schulen, wir haben eine gute Gesundheitsversorgung. Wir brauchen nur einen Bruchteil des Geldes. Ich möchte ein Beispiel geben für andere. 98 Prozent gehen in unsere Stiftung. (Thomas Mayer, 20.10.2018)